Nagelsmanns Reifeprüfung in Gladbach
12. August 2021Es schien, als könnte es Julian Nagelsmann kaum erwarten, bis diese neue Bundesliga-Saison 2021/22 endlich losgeht. Wer schon einmal Vorbereitungszeiten auf neue Spielzeiten mitgemacht hat, der weiß, wie lang und zäh sich diese Trainingsperioden gestalten können. "Diese Vorbereitung verlief unter spezielleren Voraussetzungen, als es sonst ohnehin schon der Fall ist", sagte der 34-Jährige einen Tag vor dem Eröffnungsspiel der Bundesliga-Saison am Freitagabend bei Borussia Mönchengladbach (Anpfiff um 20.30 Uhr MESZ).
Die vielen Nationalspieler im Bayern-Kader wie Manuel Neuer, Thomas Müller, Robert Lewandowsi oder Kingsley Coman sind nach ihren späteren Urlauben wegen Einsätzen bei der Europameisterschaft erst vor Kurzem zurückgekehrt. "Einige Spieler sind erst acht, neun Tage im Training", so Nagelsmann. Die Vorbereitungsspiele musste der Fußballlehrer mit der zweiten, teilweise dritten Reihe bestreiten. Drei Niederlagen, ein Unentschieden waren das unbefriedigende Ergebnis.
Im Grunde hat Nagelsmann erst eine Woche das Team zusammen, mit dem er den zehnten Meistertitel in Folge gewinnen und auch international in der Champions League ein ernstes Wörtchen mitreden will. "Ich habe mir vorgenommen, dass ich nie in eine Jammer-Position kommen will. Vom Rumheulen ist noch nie etwas besser geworden", sagte der junge Chefcoach. Einen so großen, hochambitionierten Verein zu trainieren, ist auch für einen selbstbewussten Trainer wie ihn eine riesige Herausforderung.
Ansprüche sind besonders hoch
Das permanente Rampenlicht und die Diskussionen über mögliche Fehler des Fußballlehrers, die ihn bei Misserfolgen der Bayern begleiten werden, hat auch der eloquente Nagelsmann bisher in dieser Ausprägung noch nicht erlebt. "Ich fühle mich wohl", sagt der Coach dennoch fast trotzig. Aber auch er dürfte gespannt sein, was wirklich auf ihn einprasselt, wenn die Saison erst einmal gestartet ist.
Klar ist, dass die Ansprüche beim Rekordmeister besonders hoch sind. "Wie gehen davon aus, dass er die Kompetenz hat, Mannschaften auf die nächste Stufe zu stellen", sagte der neue Vorstandschef der Bayern, Oliver Kahn, jüngst über den neuen Bayern-Coach - ein bemerkenswertes Ziel nach anderthalb Jahren unter Trainer Hansi Flick, der die Titel fast wie am Fließband abgeräumt hatte. "Wenn man die Geschichte der letzten Jahre sieht, sollten wir vor Selbstvertrauen strotzen", meint Nagelsmann. Zweifel? Nicht erlaubt.
Seine Herangehensweise wird eine andere sein als die seines Vorgängers. Das frühe Attackieren, das hohe Pressing, das riskante Defensivspiel, wie unter Flick durchgehend und überaus erfolgreich praktiziert, soll unter Nagelsmann modifiziert werden. "Ein entscheidender Faktor ist es, die Defensive zu verbessern. Die Spieler haben auch keine Lust, immer einen 0:2-Rückstand aufzuholen. Da wollen wir einen Tick mehr Stabilität reinbekommen", sagt Nagelsmann. Hinten besser verteidigen, ohne dabei die offensiven Qualitäten zu vergessen. "Es geht darum, eine gewisse Flexibilität zu haben."
International abgehängt?
Der Kader der Bayern sucht in der Bundesliga weiterhin seinesgleichen. Mit Dayot Upamecano - der Franzose kam für 45 Millionen Euro aus Leipzig - hat Nagelsmann zudem einen neuen Top-Verteidiger zur Verfügung, mit dem er bei RB in den vergangenen beiden Jahren zusammengearbeitet hat. Weitere neue Spieler können noch bis zum Ende der Transferperiode am 31. August dazukommen.
Für die national fast konkurrenzlosen Münchner stellt sich die Frage, ob die Qualität ihres Kaders auch für die große europäische Bühne ausreicht. Denn die Champions-League-Konkurrenz wie Paris St. Germain, Real Madrid oder der frisch gebackene UEFA-Supercup-Gewinner FC Chelsea investiert wieder teilweise schwindelerregende Summen in neue Spieler.
"Die Gefahr besteht, international abgehängt zu werden", sagt Nagelsmann und denkt dabei auch an die anderen deutschen Teilnehmer an den internationalen Wettbewerben. "Für Bayern ist es vielleicht noch einen Tick einfacher als für andere deutsche Klubs." Aber mit den gigantischen Summen, die etwa Paris St. Germain ausgibt, um das Gehalt seines neuen Superstars Lionel Messi zu bezahlen, kann selbst der FC Bayern nicht mithalten. Der Argentinier soll bei PSG mindestens 35 Millionen Euro jährlich verdienen - netto, plus Zusatz-Zahlungen. Die Münchener geben rund 300 Millionen Euro jährlich aus, für ihr gesamtes Personal.
Selbst Julian Nagelsmann wird erst beim Saisonauftakt gegen Mönchengladbach realisieren, wie weit sein Team nach dieser besonderen Vorbereitung schon ist. "Wäre nicht schlecht, wenn es Freitag ab 20.30 Uhr gut laufen würde", sagt Nagelsmann.