"Wir müssen erst einmal Vertrauen schaffen"
18. August 2014DW: Frau Jung, in der liberianischen Hauptstadt Monrovia hat eine aufgebrachte Menge ein Krankenhaus gestürmt. 17 Ebola-Patienten sind dabei geflohen. Die Seuche kann ja nur eingedämmt werden, wenn Infizierte isoliert werden. Warum passiert so etwas trotzdem?
Anne Jung: Das passiert, weil die Bevölkerung ganz tief verunsichert ist. Zum einen ist das Wissen über diese tödliche Krankheit sehr gering, weil es viel zu wenig Aufklärung gibt. Und zum anderen ist in Ländern wie Liberia und Sierra Leone ein Krankenhaus nicht unbedingt der Ort, an dem man sich eine gute Betreuung oder Heilung verspricht.
Woran liegt das? Haben die Menschen schlechte Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem gemacht?
Seit der Unabhängigkeit wurde in den westafrikanischen Ländern nie ein flächendeckendes, gemeindeorientiertes Gesundheitssystem aufgebaut. Das heißt, eine Gesundheitsvorsorge in der Breite gibt es nicht. In Liberia kommt ein Arzt auf 12.000 Einwohner. Dazu kommt, dass das Personal so schlecht bezahlt wird, dass das System sehr korrupt ist. Viele Patienten werden gezwungen, hohe Gebühren zu zahlen, um überhaupt Hilfe zu bekommen. Und das führt zu Wut und Angst. Der Vorfall in Monrovia zeigt die große Verunsicherung, die zu Recht in der Bevölkerung herrscht.
In Monrovia ging zudem das Gerücht um, die Regierung habe den Ausbruch der Ebola-Seuche nur erfunden, um unliebsame Armenviertel räumen zu kommen. Ist dieses Misstrauen das größte Problem im Kampf gegen Ebola in Westafrika?
Es ist ein zentrales Problem. Wenn Sie sich anschauen, wie willkürlich die Menschen dort oft behandelt wurden, wie Menschenrechte verletzt wurden: da sind immer wieder Viertel evakuiert worden, ganze Landstriche wurden entvölkert, um sich der Rohstoffe zu bemächtigen. Grundsätzlich ist die Erfahrung: wir werden herumgeschubst, unsere Rechte werden nicht berücksichtigt. Und dadurch kommt so eine Wut zustande. In Liberia etwa hat der Reichtum des Landes die Menschen immer nur krank gemacht. Wenige haben sich an den Erlösen aus dem Rohstoffverkauf bereichert, und es gab fast keine Investitionen in die Bereiche Gesundheit und Bildung. Das würde ich als eines der größten Probleme ansehen. Das rächt sich jetzt. Und da ist auch die Verantwortung von europäischen Regierungen und der Weltgesundheitsorganisation WHO gefragt, Druck auf die lokalen Regierungen auszuüben, um etwas zu verändern.
Herrscht denn gegenüber der WHO und gegenüber westlichen Hilfsorganisationen ebenfalls Misstrauen oder sieht es da besser aus?
Wir als sozialmedizinische Organisation Medico haben nicht die Erfahrung gemacht, dass uns mit Misstrauen begegnet wird. Es geisterte ja in den letzten Wochen immer das Bild durch die Gegend von den Helfern in den weißen, außerirdisch anmutenden Schutzanzügen und der verängstigten Bevölkerung. So haben wir das bislang nicht erfahren. Wichtig ist es immer, mit den wenigen lokalen Organisationen erst einmal ein Vertrauensverhältnis zu entwickeln. Wir arbeiten immer sehr eng mit lokalen Partnern zusammen. Allerdings sieht man, dass die lokalen Strukturen mit dem schweren Ebola-Ausbruch nicht allein zurechtkommen. Deshalb es ist zurzeit unvermeidlich, auch direkt zu helfen mit einem Top-Down-Ansatz. Und deshalb müssen die internationalen Hilfsorganisationen erst einmal Vertrauen schaffen in der Bevölkerung, wenn sie dort tätig werden.
Was kann man denn tun, damit sich mehr Menschen auf Isolierstationen und strenge Hygienevorschriften einlassen?
Aufklärung über das Radio ist nach wie vor das Mittel aller Mittel. In den ländlichen Regionen sind Tageszeitungen faktisch nicht zu bekommen, auch Internetzugänge sind nur sehr marginal vorhanden. Deswegen sind Community-Radios hier ganz wichtig, um das Misstrauen Krankenhäusern und Gesundheitsstationen gegenüber abzubauen. Zum anderen geht es aber in Aufklärungskampagnen auch darum, der Stigmatisierung von Erkrankten entgegenzuwirken. Unsere Partner aus Sierra Leone berichten, dass sich Erkrankte gar nicht mehr ins Krankenhaus trauen, weil sie befürchten, zu Ebola-Patienten gemacht zu werden. Das Krankenbild ist ja zunächst sehr unspezifisch. Wir hatten jetzt einen sehr tragischen Fall, bei dem eine stark blutende Frau ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Aufgrund der großen Hilflosigkeit wurde sie sofort isoliert und ist dann dort verblutet, obwohl sie nicht an Ebola erkrankt war.
Aus der liberianischen Hauptstadt Monrovia wurde berichtet, dass die Leiche eines Mannes tagelang auf der Straße lag und sich niemand darum gekümmert hat, diese Leiche zu bergen und zu beerdigen. Fehlt es an klaren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten?
Wir haben die Erfahrung gemacht und wissen auch aus unzähligen Studien, dass die Regierung auf nationaler und lokaler Ebene häufig nicht das Wohl der eigenen Bevölkerung im Fokus hat. Stattdessen hat sich ein System von Macht- und Profitstreben etabliert. Das ist natürlich in der jetzigen Situation völlig unverantwortlich, aber dann gibt es eben auch keine lokalen Behörden, die ganz selbstverständlich dafür verantwortlich sind, Leichen zu bergen.
Fehlende Verantwortlichkeiten, ein schlechtes Gesundheitssystem, Misstrauen in der Bevölkerung - das bedeutet, die Aussichten auf eine schnelle Eindämmung der Seuche stehen schlecht?
Das ist richtig. Es wäre naiv, zu denken, dass sich das ad hoc ändern lässt. Umso wichtiger ist es jetzt, eine Organisation wie die WHO zu stärken. Das fordern wir seit Jahren. Das ist eine der UN-Organisationen, die seit Jahren stiefmütterlich behandelt wird. Auch die europäischen Länder haben ihre Gelder zurückgeschraubt. Und um die WHO zu stärken, müssen die Mittel aufgestockt werden, weit mehr als bisher zugesagt. Nur so kann ein massenhafter Ebola-Ausbruch und ein Übergreifen auf weitere Länder verhindert werden.
Anne Jung setzt sich bei der Hilfsorganisation Medico International für bessere Gesundheitssysteme und mehr soziale Gerechtigkeit, insbesondere in Afrika, ein.
Das Interview führte Peter Hille.