Warten auf Asyl
26. Januar 2012Die deutsche Sprache fällt Omar nicht leicht. Seit knapp zwei Monaten lebt er in einer Jugendhilfeeinrichtung in Norddeutschland. Hier hat er ein eigenes Zimmer. Ein schlichter Raum mit Postern an der Wand, auf denen bekannte Schauspieler und Sänger abgebildet sind. Omar, der eigentlich anders heißt, wirkt wie viele andere 17-Jährige in Deutschland. Aber um hier anzukommen, musste er sich auf eine weite und gefährliche Reise begeben.
"Wir waren 28 Stunden auf dem Wasser, bis wir Griechenland erreichten", berichtet Omar in seiner Heimatsprache Dari. "25 Menschen saßen in einem Plastikboot, das mit einem Seil am Boot des Schleppers angebunden war. Als er Gefahr witterte, schnitt er das Seil ab und flüchtete. Unser Boot schwankte die ganze Zeit und trieb vor sich hin."
Reise unter Lebensgefahr
Vor vier Jahren lebte Omar noch in einem Dorf im Norden Afghanistans. Von dort bricht er nach Deutschland auf, wo ein Verwandter lebt. Die Erzählung von der Fahrt über das Meer, lässt die angstvollen Gefühle wieder aufsteigen: "Das Boot versank zwar nicht. Aber wir waren am Ende unserer Kräfte und wollten nicht mehr weiterleben. Ständig strömte Wasser in das Boot und wir mussten es ausschöpfen. Außerdem tranken wir notgedrungen Salzwasser." Omar hat Glück, er überlebt.
So wie Omar machen sich jährlich tausende Afghanen auf den langen und oft sehr gefährlichen Weg nach Europa. Darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Jeder von ihnen hat Gründe, ein neues Leben in Europa zu suchen.
Gründe wie die von Ali (Name geändert), der ebenfalls mit 17 Jahren in Deutschland ankommt. Immer noch aufgewühlt, erzählt er seine Geschichte: Nach dem Tod des Großvaters war es zwischen den Verwandten zum Streit um dessen Land gekommen. Dabei war Alis Vater schwer verletzt worden. "Ich habe beim Streit um dieses Stück Land meinen Bruder und meinen Cousin verloren. Sie sind beide tot. Die Verwandten meines Vaters sind reich und mächtig. Wir konnten dort nicht mehr leben.“
Aus Angst vor weiterer Gewalt schickt die Familie den Jungen zusammen mit einem Cousin auf die Flucht – raus aus Afghanistan. Sie sollen nach Dänemark, wo ein Bruder des Cousins lebt. Im Iran verbringen sie einige Nächte bei einem Onkel, der ihnen einen Schlepper besorgt.
Leben im Müllcontainer
Tödliche Konflikte zwischen seinem Heimatdorf und einer benachbarten Ortschaft haben auch Omar in die Flucht getrieben. Auch er findet den Weg in den Iran und arbeitet dort auf einer Baustelle. Er schickt seiner Familie Geld, die ihn bis nach Pakistan begleitet hat und dort zurückgeblieben ist. 18 Monate bleibt Omar im Iran, dann macht er sich auf den Weg nach Europa. Erst nach Istanbul. Mit Hilfe eines Schleppers landet er schließlich in Griechenland: "Ich war einen Monat in Athen. Manche Nächte habe ich in Müllcontainern verbracht", berichtet Omar. Viele Afghanen leben dort - Omar schätzt fünf- bis sechstausend. Sie seien arm und unglücklich. "Die meisten Afghanen dort sind obdachlos. Viele haben ihr gesamtes Geld den Schleppern gegeben und wurden auch von ihnen betrogen."
"Für minderjährige Flüchtlinge ist die Situation in Griechenland besonders katastrophal", bestätigt Bernd Mesovic von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Oft würden die Jugendlichen zusammen mit Erwachsenen inhaftiert. Die Bedingungen seien unvorstellbar, die Gefängniszellen so klein, dass sie sich kaum bewegen könnten.
Knapp dem Tod entronnen
Ein Schicksal, das Omar erspart bleibt. Er findet den Absprung und den Weg nach Deutschland. Genau wie Ali, der wenige Wochen zuvor in Athen einen Schlepper traf, der ihn in einen Kühl-LKW Richtung Italien setzte. "Etwa 20 Menschen waren darin versteckt. Wir haben zwei Tage und zwei Nächte darin verbracht. Es war wirklich schrecklich", sagt Ali während sein Körper sich anspannt. "In Italien angekommen, waren wir dem Tode nahe. Hätte man die Tür fünf oder zehn Minuten später aufgemacht, wären wir alle gestorben. Wir hatten kaum noch Sauerstoff."
Nach kurzen Zwischenstopps in Italien und Frankreich kommt Ali in Deutschland an. Wenige Wochen später kommt Omar in die gleiche Jugendhilfeeinrichtung und zieht in das Zimmer nebenan ein. In dieser sogenannten "Clearingsstelle" können die Jugendlichen einige Monate bleiben. Zurzeit leben hier elf "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge". Fünf Betreuer wechseln sich ab, organisieren den Deutschunterricht und Sportmöglichkeiten. Sie halten zu Anwälten Kontakt, die das Asylverfahren betreiben. "Am Anfang" sagt Betreuer Jan Taufmann,"haben alle Flüchtlinge ein Schlafdefizit." Ali und Omar hätten sich von ihrer abenteuerlichen Reise allerdings schnell erholt. "Beim Deutschunterricht" so Jan Taufmann weiter "sind sie sehr motiviert." Die beiden Jungen aus Afghanistan beteuern: "Wir mögen unser neues Zuhause - wir sind sehr zufrieden hier."
Warten auf Asyl
Das ist nicht überall in Deutschland so gut organisiert. In Bayern traten kürzlich 60 Jugendliche aus Afghanistan in den Hungerstreik, um gegen ihre Unterbringung in einer alten Kaserne unter miserablen hygienischen Bedingungen zu protestieren. Außerdem gab es kaum Deutschunterricht und auch die Asylanträge wurden offenbar nicht ernsthaft verfolgt. Die Bayerische Landesregierung versprach jetzt Besserung.
Alis und Omars Hoffnungen für die Zukunft werden jetzt immer konkreter. "Ich möchte ein sehr guter Fotograf werden", sagt Omar und fügt hinzu: "Daneben will ich ein gutes und glückliches Leben mit meiner Familie." Alis Wünsche sind bescheiden: "Ich möchte hier ein ruhiges Leben haben und die Schule besuchen. Das ist alles, was ich möchte."
Ob diese ganz normalen Träume auch für diese beiden jungen Afghanen in Erfüllung gehen könnten - darüber entscheidet demnächst ein deutsches Gericht im Asylverfahren.
Autorin: Mehrnoosh Entezari
Redaktion: Ulrike Mast-Kirschning/jov