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Junge Radprofis dominieren den Giro d'Italia

Tom Mustroph
9. Oktober 2020

Beim Giro d'Italia wird der Jugendtrend im Straßenradsport fortgesetzt. Zwei Etappen gingen bereits an den 24-jährige Italiener Filippo Ganna. Das Rosa Trikot trägt der 22-jährige GrandTour-Debütant João Almeida.

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Giro d'Italia 2020 - edizione 103 - Joao Almeida
Joao Almeida beim Giro d'Italia 2020 im Rosa TrikotBild: Gian Mattia D'Alberto/LaPresse via ZUMA Press/picture-alliance

Wo kommen die bloß alle her, mag sich Alt-Star Vincenzo Nibali gefragt haben. Bei der Tour de France mischte der noch 21-jährige Tadej Pogacar das Feld auf. Nibali ließ die Tour aus. Aber auch bei seinem Heimrennen, dem Giro d'Italia, muss sich der 35-Jährige mit einem Konkurrenten des Jahrgangs 1998 auseinandersetzen: João Almeida war nicht nur beim Zeitfahren besser als alle anderen Rundfahrtspezialisten, er hielt auch am Ätna stand. Und bei der anstrengenden Mittelgebirgsetappe über den Apennin holte er sich im Bergsprint der Favoriten noch ein paar Bonussekunden. Der 22-jährige Portugiese fährt clever wie ein Alter.

"Wir müssen ihn ernst nehmen als Rivalen", sagt Paolo Slongo, Trainer Nibalis beim Rennstall Trek Segafredo, voller Hochachtung. Slongo ist seit 24 Jahren Radsporttrainer, erst bei den Junioren, seit 2008 in der World Tour. Er beobachtet einen Kulturwandel im Radsport: “Sicherlich ändert sich gerade der Radsport. Es kommt diese neue Generation.” Die Fahrer, die früher gewonnen hätten und heute Mitte 30 seien, wie Nibali, Chris Froome oder Geraint Thomas, kämen früher oder später an ihre Grenzen und ließen nach, sagt Slongo - im Gegensatz zu den aufstrebenden jungen Fahrern: "Diese neue Radsport-Generation ist sehr stark."

Mehr als nur ein normaler Generationswechsel

Es ist aber nicht nur ein Generationswechsel. Die neuen Fahrer brillieren in jüngerem Alter mehr noch als ihre Vorgänger. Der Kolumbianer Egan Bernal siegte 2019 mit 22 Jahren bei der Tour de France. Tadej Pogacar war noch 21, als er in diesem Jahr auf die oberste Stufe des Podiums in Paris stieg. Und der nur sechs Wochen ältere Almeida führt jetzt den Giro an.

Das Kuriose dabei ist, dass der Portugiese lediglich der Ersatzkapitän für den noch zwei Jahre jüngeren Remco Evenepoel ist. Der erst 20-jährige Belgier, ein Ex-Fußballer übrigens, stürzte vor dem Giro. "Remco kann leider nicht hier sein. Wenn er hier wäre, wäre er ein noch größerer Protagonist", ist Davide Bramati überzeugt, der sportliche Leiter beim Rennstall Deceuninck Quick Step. Aber auch der Ersatz mache es gut.

Tour de San Juan in Argentinien 2020 - 5. Etappe San Martin - Alto Colorado
Davide Bramati hat den Nachwuchs im BlickBild: Augenklick/Roth/picture-alliance

Wie Almeida gelingt das einer ganzen Reihe junger Athleten. Beim Auftakt-Zeitfahren in Palermo zockten sie die alte Garde komplett ab. Die ersten Drei waren zwischen 22 und 24 Jahren alt. An Position fünf folgte der nächste Youngster. Lediglich Ex-Toursieger Geraint Thomas konnte sich als Vierter zwischen die Jungen schieben. Thomas unterlief später aber ein Anfängerfehler, er stürzte über eine weggeworfene Trinkflasche und schied aufgrund der dort erlittenen Verletzungen aus dem Giro aus.

Systematische Vorbereitung und Vertrauen

Solche Fehler macht die junge Truppe nicht. Grund dafür sei auch die immer professioneller werdende Vorbereitung im Jugendbereich, meint Trainer Slongo. "Sie kommen jetzt aus Mannschaften aus dem Continental-Sektor [Teams der drittklassigen Kategorie - Anm. d. Red.], das sind bereits Halbprofis. Früher kam einer wie Nibali an als einer, der sich, wie wir in Italien sagen, von Brot und Salami ernährte - also eher als Amateur." Jetzt sei das nicht mehr so, unterstreicht Slongo. Schon in den Continental-Rennställen seien sie Profis, achteten auf Ernährung, Training und alles weitere. "Da werden ein paar Entwicklungsabschnitte abgekürzt, und sie bringen schon Leistung."

Ein weiterer Grund für deren Stärke sei aber auch, dass die Mannschaften den jungen Rennfahrern Vertrauen schenkten. "Die Mentalität der Teams hat sich etwas verändert", sagt der sportliche Leiter von Astana, Giuseppe Martinelli. "Früher, als einer 21 Jahre alt war, hat man ihn wachsen lassen, hat ihm erst kleinere Aufgaben gegeben - und mit 25, 26 setzte man ihn dann richtig ein." Vielleicht habe man das damals falsch gemacht, hinterfragt Martinelli nachdenklich. Der Astana-Teamchef führte bereits 1998 Marco Pantani zum Double aus Giro und Tour. "Aber vielleicht halten die Jungen auch weniger lange durch", gibt Martinelli zu bedenken: "In zwei bis drei Jahren sehen wir vielleicht, dass wir sie zu sehr ausgebeutet haben."

Generationswechsel auch bei Branchenführer Ineos

Das Team INEOS Grenadiers (GBR)
Auch Ineos setzt auf die Jugend: der Brite Tao Geoghegan Hart (l.) und der Italiener Filippo GannaBild: Marco Al/LaPresse/imago images

Ganz auf die Karte Jugend setzt auch der bisherige Branchenführer Ineos, das frühere Sky-Team. Ineos hat mit Filippo Ganna den zweifachen Etappensieger des Giro in seinen Reihen. Der 24-Jährige siegte erst im Zeitfahren und war als Ausreißer auch am Berg erfolgreich. Vor zwei Wochen holte er sich überlegen den Weltmeistertitel im Zeitfahren. Italienische Journalisten sehen in ihm bereits einen neuen Miguel Indurain. Der holte dank seiner Stärke im Zeitfahren gleich fünf Tour-de-France-Siege.

Ineos hat weitere Top-Talente wie die Kolumbianer Egan Bernal und Ivan Sosa, den Russen Pavel Sivakov und die Briten Tao Geoghegan Hart und Eddy Dunbar unter Vertrag. Hart und Dunbar wurden übrigens im selben Rennstall wie der aktuelle Giro-Führende Almeida ausgebildet: Axeon Hagens Berman. Das Team gilt als wahre Talentschmiede und wird von Axel Merckx geleitet, dem Sohn der Radsport-Legende Eddy Merckx.

Alle rechnen weiter mit Ineos

Sport Cycling - Giro d'Italia 2020
Beim Giro 2020 in vorderster Reihe: Peter Sagan, Joao Almeida und ilippo Ganna (l.-r.)Bild: Massimo Paolone/LaPresse/Zumapress/Picture-alliance

Dass mit den Ausfällen von Bernal und Thomas bei den beiden letzten großen Rundfahrten gleich das Ende der Ära Sky/Ineos eingeleitet ist, glaubt die Konkurrenz ohnehin nicht. "Im Gegenteil", sagt Martinelli. "Es ist weiter eine der stärksten Mannschaften. Bei der Vuelta [der Spanienrundfahrt - Anm. d. Red.] drehen sie vielleicht alles um und werden Erster, Zweiter und Dritter." Die Zukunft gehöre weiter Ineos, prognostiziert der Astana-Teamchef.

Die Verpflichtung Almeidas, des Stars der Stunde beim Giro, hat der britische Rennstall allerdings verpasst. Alle Talente dieser möglicherweise neuen "goldenen Generation" sind eben auch nicht in einem einzigen Team unterzubringen. Das ist die gute Nachricht für alle anderen.