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Türkische Literatur auf Deutsch

Gavin Blackburn / kap21. September 2012

Bücher aus fast allen Ländern der Welt werden regelmäßig für Leser in Deutschland übersetzt und herausgegeben. Türkische Autoren scheinen dabei oft übersehen zu werden. Zwei Schwestern aus Berlin wollen das ändern.

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Bücher vom Binooki-Verlag
Bücher Binooki VerlagBild: Robert Jerzy

Inci Bürhaniye, selbständige Rechtsanwältin, und ihre Schwester Selma Wels, die vor kurzem noch in einem Versicherungsunternehmen gearbeitet hat, waren völlige Anfängerinnen im Buchgeschäft, als sie sich entschieden, ihren eigenen Verlag zu gründen. "Binooki" nannten sie ihr Berliner Unternehmen, mit dem sie 2011 auf den Markt gingen - in Anlehnung an das türkische Wort "binoki", was übersetzt Zwicker oder Monokel heißt. Ziel der beiden Schwestern ist es, junge türkische Autoren auf Deutsch zu veröffentlichen und in Deutschland bekannter zu machen. "Wir sammeln noch Erfahrungen", sagt Wels und lacht. "Wir lernen unseren Job bei der Arbeit. Bislang gab es in unserer Familie noch keine Verleger."

Laut aktueller Untersuchungen leben schätzungsweise rund vier Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland. Damit sind sie die größte ethnische Minderheit im Land. Die Türkei und die Bundesrepublik haben eine gemeinsame Geschichte, die bis in die frühen 1960er Jahre zurückreicht. Damals kam eine erste große Welle von so genannten Gastarbeitern nach Deutschland. Sie wollten der Armut in ihrer Heimat entkommen und wurden in Deutschland mit seinem damals starken Wirtschaftswachstum als Arbeitskräfte dringend benötigt. Seitdem gab es vielfältige kulturelle Verknüpfungen zwischen den beiden Kulturen, doch die Literatur kam dabei wohl etwas zu kurz.

"Vielleicht hat man auf uns gewartet?"

"Binooki will eine Brücke sein", sagt Bürhaniye über den noch jungen Verlag, der erst seit einem Jahr besteht. "Deutsch-türkische Beziehungen waren auf politischer Ebene und auch in den Medien immer wieder Thema, aber die Literatur kam zu kurz. Es gibt Bücher aus allen möglichen Ländern der Welt hier als deutsche Ausgaben. Die Türkei wurde aber bislang offenbar übersehen. Vielleicht hat man auf uns gewartet", meint die Verlagsgründerin.

Bürhaniye und Wels haben sich entschieden, das zu ändern und gründeten ihren eigenen Verlag. Am Anfang bestand das Programm nur aus einer handverlesenen Liste mit rund 15 Titeln. Ständig sind die beiden Schwestern nun auf der Suche nach neuen Autoren - auf Buchmessen oder während regelmäßiger Reisen nach Istanbul und Ankara. "Unser Fokus liegt auf türkischer Gegenwartsliteratur, wir halten Ausschau nach Büchern, die in der Türkei derzeit beliebt sind", erklärt Wels. "Das ist uns wichtig. Wir hoffen, den Leser dadurch für das Leben in der Türkei, für die Kultur und Gesellschaft zu begeistern - egal, ob er Türke oder Deutscher ist."

Inci Bürhaniye (l.) und Selma Wels
Inci Bürhaniye (l.) und Selma WelsBild: Barbara Dietl

Das Land ihrer Herkunft besser kennenlernen

Beide Schwestern rollen genervt mit den Augen, wenn sie gefragt werden, warum sie sich entschieden haben, Bücher auf Deutsch und nicht auf Türkisch herauszugeben. Die Antwort ist für sie offensichtlich: weil beide in Deutschland leben. Es gehe ihnen nicht darum, bei Lesern mit türkischen Wurzeln das Deutsch zu verbessern. Die Leser sollten vielmehr das Land ihrer Herkunft besser kennenlernen und verstehen, so die Hoffnung der Verlegerinnen. Bürhaniye und Wels sind beide in Deutschland geboren und aufgewachsen und "anständige Kinder echter türkischer Eltern", wie sie auf der Online-Seite ihres Verlages schreiben.

"Die zweite und dritte Generation türkischer Migranten spricht heutzutage oft besser Deutsch als Türkisch", sagt Bürhaniye. "Es geht uns nicht darum, diejenigen dabei zu ermutigen, die deutsche Sprache besser zu lernen. Es geht eher darum, die Einführung in ihre eigene türkische Kultur zu erleichtern. Und für deutsche Leser wollen wir mit unseren Büchern die Tür zu einer ihnen unbekannten Welt öffnen."

Die Kultur in der Türkei verändert sich ständig

Mit dem Öffnen von Türen in neue Welten kennt sich Ercan Karakoyun aus. Er ist Vorsitzender des Vereins "Forum für Interkulturellen Dialog" in Berlin und war bereits an zahlreichen Projekten beteiligt, die sich mit den deutsch-türkischen Beziehungen beschäftigt haben. "Die Migranten, die aus der Türkei hierher gekommen sind, haben eine Kultur, die vor 50 Jahren eingefroren ist", sagt Karakoyun. "Gleichzeitig hat sich die Kultur in der Türkei aber die ganze Zeit verändert und entwickelt. Ich denke, es ist wichtig, solche Menschen sozusagen aufzutauen, damit sie sich an die aktuellen Veränderungen in der Türkei anpassen können. Es ist aber auch wichtig, dass Deutsche lernen, wie türkische Migranten denken. Das fördert ein harmonisches Zusammenleben", so Karakoyun.

Eines der beliebtesten Bücher, das Binooki bislang herausgegeben hat, heißt "Verschütt gegangen" von Emreh Serbes. Der 31-jährige Autor hat bereits eine ganze Serie mit Behzat C. geschrieben, einem von ihm geschaffenen, versoffenen und ständig rauchenden Kommissar der Mordkommission - und einer in der Türkei äußert populären wie umstrittenen literarischen Hauptfigur.

Bald auch als E-Books

In einem der ungezählten türkischen Imbisse, die es überall im Berliner Bezirk Kreuzberg gibt, und in dem ein großer Anteil der Bevölkerung türkische Wurzeln hat, sitzt der 20-jährige Burak Bülbül. Er hat das neueste Buch von Emreh Serbes gerade zu Ende gelesen und denkt, dass der Verlag Binooki eine wichtige Verbindung zwischen ihm und seinem kulturellen Hintergrund bietet. "Für mich ist es wichtig, dass ich solche Bücher lesen kann", sagt Bülbül. "Ich komme aus einer türkischen Familie, bin aber in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ich habe nicht oft die Gelegenheit in die Türkei zu fahren, darum sind die Bücher für mich eine gute Möglichkeit, mehr über meine Kultur zu lernen."

Die Reaktionen auf das kleine, aber ständig wachsende Buchangebot von Binooki waren bislang positiv, sagen die Verlagsgründerinnen. Und zwar von deutschen und türkischen Lesern gleichermaßen. Bürhaniye und Wels haben ihr kleines Berliner Verlagshaus bereits auf großen Literaturspektakeln wie der Frankfurter Buchmesse oder deutsch-türkischen Literaturfestivals präsentiert. Und auch diesen Oktober wird Binooki wieder auf der größten Buchmesse der Welt in Frankfurt vertreten sein (10. bis 14. Oktober 2012). Doch was die beiden Jungunternehmerinnen derzeit besonders begeistert, sind ihre geplanten digitalen Bücher. "Wir werden demnächst alle unsere Buchtitel auch als E-Books anbieten", sagt Wels. Pro Jahr sind jeweils zehn neue Veröffentlichungen geplant.