Beim Sterben helfen?
26. Juni 2014Das oberste britische Gericht hat ein Recht auf aktive Sterbehilfe für zwei behinderte Kläger abgelehnt. Sieben von neun Richtern des Supreme Court in London urteilten, es sei keine Verletzung der Menschenrechte, dass den Klägern Tötung auf Verlangen durch das gesetzliche Verbot aktiver Sterbehilfe verwehrt bleibe. Die Richter hatten darüber zu entscheiden, ob das britische Verbot aktiver Sterbehilfe dem in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Schutz von Privatleben und Familie widerspreche.
Kommunikation nur mit den Augen
Geklagt hatten der inzwischen verstorbene Tony Nicklinson (Artikelbild, mit seiner Frau Jane), der einen Schlaganfall erlitten hatte und seitdem nur mit den Augen kommunizieren konnte. Seine Ehefrau führte das Verfahren nach seinem Tod fort. Sein Fall hatte in Großbritannien für großes Aufsehen gesorgt. Am Ende verweigerte er die Nahrungsaufnahme und starb an einer Lungenentzündung. Seine Frau sagte nach der Urteilsverkündung, sie sei enttäuscht, dass die Klage abgewiesen wurde. Dennoch erhöhe es den Druck auf das Parlament, sich mit dem Thema zu befassen.
Zudem hatte ein gelähmter Mann geklagt, der seit einem Unfall nur noch eine Hand bewegen kann und unter Schmerzen leidet. Auch ein dritter Mann, der vom Gericht Klarheit über die Regelungen zur aktiven Sterbehilfe einklagen wollte, scheiterte mit seiner Klage. Er wollte geklärt haben, ob ein Arzt oder Pfleger mit ihm in die Schweiz reisen kann, um dort aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.
Christliche sowie Behindertenorganisationen zeigten sich erleichtert über das Urteil. Auch die Kirche von England begrüßte die Entscheidung. Das Urteil betone die Notwendigkeit, gefährdete Menschen zu schützen, so die anglikanische Kirche. Die Anwältin der Kläger kündigte hingegen an, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu erwägen.
Seit 2008 im Koma
In Frankreich hatte am Dienstag das oberste Verwaltungsgericht in der Diskussion um passive Sterbehilfe ein wichtiges Präjudiz geschaffen. Die Richter entschieden, dass die Ärzte in der Klinik von Reims berechtigt seien, im Fall des 38-jährigen Vincent Lambert lebensverlängernde Maßnahmen wie künstliche Ernährung und Beatmung einzustellen. Der von den Eltern des querschnittgelähmten Krankenpflegers, der seit 2008 im Koma liegt, angerufene Europäische Menschenrechtsgerichtshof forderte Frankreich allerdings umgehend auf, Lambert am Leben zu erhalten.
Am Mittwoch sorgte dann ein weiteres französisches Gerichtsurteil für Aufsehen: Die Geschworenen des Gerichts in der südwestfranzösischen Stadt Pau sprachen den Notfallmediziner Nicolas Bonnemaison frei, der Patienten an ihrem Lebensende todbringende Medikamente verabreicht hatte. Es könne nicht nachgewiesen werden, dass der Krankenhausarzt die Patienten im Sinne des Strafgesetzbuches habe vergiften wollen, hieß es zur Begründung. Bonnemaison hatte im Krankenhaus der südfranzösischen Stadt Bayonne zwischen 2010 und 2011 sieben sehr alten und unheilbar kranken Patienten ohne Absprache mit anderen Ärzten oder Angehörigen Medikamente verabreicht, die den Tod der an ihrem Lebensende stehenden Patienten beschleunigten.
"Ich habe als Arzt gehandelt"
Dem 53-Jährigen drohte wegen "Vergiftung besonders verletzlicher Personen" eine lebenslange Haftstrafe. Bonnemaison bestreitet die Verabreichung der Medikamente nicht, verteidigte sich aber, er habe den Patienten Leid ersparen wollen. "Ich denke, es gehört zur Pflicht des Arztes, seine Patienten bis ans Ende vom Ende zu begleiten", sagte Bonnemaison in seinem Schlusswort vor Gericht. "Ich habe als Arzt gehandelt, so wie ich den Beruf verstehe."
Die beiden Fälle in Frankreich dürften die Debatte über Sterbehilfe wieder anfachen. In dem Land werden pro Jahr bei bis zu 25.000 Menschen die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt. Präsident Francois Hollande hat angekündigt, die derzeit geltenden Gesetze zu reformieren. Sie enthalten nach Ansicht von Experten juristische Grauzonen. Ein konservativer und ein sozialistischer Abgeordneter sollen dazu bis zum Jahresende Vorschläge unterbreiten.
sti/rb (afp, dpa, epd, kna)