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"Filmmusik entsteht im Kopf"

Gerhard Sonnleitner27. August 2014

Zum ersten Mal ist ein Filmkomponist Jury-Präsident des Filmfestivals in Venedig. Im DW-Interview erzählt Alexandre Desplat, wie ungewohnt diese Rolle für ihn ist.

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Portrait des Juryvorsitzenden des Filmfestivals, Alexandre Desplat (Foto: labiennale.org/Taili Song-Roth)
Bild: Taili Song-Roth

Stephen Frears, Ang Lee, Roman Polanski, George Clooney - um nur einige der großen Filmregisseure zu nennen, mit denen Alexandre Desplat schon zusammengearbeitet hat. Als Komponist hat er die Musik für große Kinoerfolge wie: "The Queen" mit Helen Mirren, "The King´s Speach" oder "Grand Budapest Hotel" beigesteuert und etliche internationale Preise und Auszeichnungen erhalten. Sechs Mal wurde er für einen Oscar nominiert. In diesem Jahr ist er Präsident der neunköpfigen Festival-Jury in Venedig und entscheidet mit, wer die begehrte "Löwen"-Trophäe bekommt. Im DW-Interview erzählt er, was der Jury-Vorsitz in Venedig für ihn bedeutet.

DW: Es ist das erste Mal, dass ein Filmkomponist Präsident der Internationalen Jury in Venedig ist. Was heißt das für Sie persönlich?

Alexandre Desplat: Es ist noch ungewohnt für mich. Der Komponist ist ja im Grunde der dritte Autor eines Films: es gibt den Regisseur, den Drehbuch-Autor und es gibt den Komponisten der Filmmusik. Wir haben sogar die Aufführungsrechte für ein Filmwerk. Aber wenn man zurückdenkt - ob in Venedig, in Cannes oder in Berlin - bislang wurde noch nie ein Komponist gefragt, ob er den Jury-Vorsitz übernehmen möchte. Man kann ja nicht sagen, dass all diese berühmten Komponisten, wie Nino Rota, Maurice Jarre oder John Williams oder Ennio Morricone keinen Sinn für das Kino hätten. Das hatten und haben sie ohne Zweifel. Und sie haben ein großes Wissen über Filme. Deshalb bin ich wirklich sehr dankbar und glücklich, dass ich diese Jury-Arbeit machen kann. Und ich hoffe, damit einen Weg für die Zukunft zu ebnen, dass auch bei den nächsten Festivals ein Filmkomponist als Jurymitglied oder auch als Präsident dabei sein wird.

Jury-Präsident Alexandre Desplat begrüßt die Presse (Foto: labiennale.org/Taili Song-Roth)
Jury-Präsident Alexandre Desplat begrüßt die Presse auf dem Filmfestival in VenedigBild: Reuters

Wie beginnen Sie mit der Arbeit an einem Film? Ruft Sie der Regisseur - Roman Polanski zum Beispiel - an und erzählt Ihnen die Story des Films?

Ja, genau so ist es. Polanski oder auch George Clooney und Stephen Frears riefen mich an und wir haben erst einmal lange gesprochen. Die Regisseure kennen meine Filmarbeit und meine Herangehensweise. Sie wissen, wie viel Einfühlungsvermögen ich für einen Film - in die Bilder und die Story - mitbringe. Und wie ich die Musik im Film gespielt haben will. Das ist entscheidend: mein Verständnis von der Dramaturgie des gesamten Films. Das ist der Grund warum sie gerade mich anrufen und fragen, ob ich die Musik für ihren Film komponieren will. Und dann haben wir eine Menge Spaß.

Starten Sie ihre Arbeit für einen Film mit dem Lesen des Drehbuch?

Das ist wie bei einem richtige Buch: du liest es, du beendest das Lesen, etwas völlig anderes ereignet sich, vielleicht arbeitest du noch an einem anderen Film - und eines Tages ist der Film fertig und du hast längst begonnen, mit deinen inneren Bildern zu arbeiten. Wenn du das Drehbuch liest, fängt es sofort an in deinem Gehirn zu arbeiten. Manchmal kommt das Ergebnis dann auch erst im letzten Moment. So war es bei dem Film "The King´s Speech". Als mir der fertige Film gezeigt wurde, hatte er ein anderes Tempo. Das mussten wir ändern. Manchmal hast du da eine lange Strecke Arbeit zu bewältigen, manchmal nur eine kurze. Ein Filmkomponist muss da ein echter Athlet sein (lacht).

Der Filmkomponist Alexandre Desplat bei der Arbeit: dem Komponieren von Filmmusik (Foto: labiennale.org/Taili Song-Roth)
Der Komponist in höchster Konzentration: Filmmusik entsteht bei ihm aus inneren Bildern, nicht vor der LeinwandBild: Taili Song-Roth

Wie ist das mit der Arbeit an einer Filmmusik? Können Sie überall komponieren, auch wenn Sie den Film gar nicht sehen können?

Musik ist überall. Und Komponieren findet im Gehirn statt, das arbeitet im Kopf mit eigenen Bildern. Das ist kein Musik-Spielen, wo du ein Instrument brauchst. Es baut sich zusammen wie ein gutes Konzept: der Sound, den du im inneren Ohr hörst, das Tempo, die Orchesterfarbe - ob wenig Instrumente oder großes Orchester - das kommt alles zusammen. Eine Filmmelodie beginnt in meinem Kopf manchmal mit einem Ton, einer Gangart der Musik. Wenn der Film fertig ist, dann musst du ausprobieren, ob das passt. Manchmal passt es nicht, dann musst du es nochmal anders versuchen.

Sie haben Filmmusik für völlig unterschiedliche Kinofilme komponiert wie "Harry Potter" oder "The Queen" von Stephen Frears. Wie funktioniert das?

Das ist genauso, wenn du dir Filme anschaust: man guckt auch nicht dauernd die gleiche Sorte Film. Man kann nicht dauernd Kinodrama oder dauernd Actionfilme sehen, das ist langweilig. Das ist bei der Komposition von Filmmusik ganz genau das Gleiche. Ich wäre unglücklich, wenn ich dauernd nur Musik für Dramen oder für Komödien schreiben müsste. Ich denke, die Abwechslung von einem Genre zum anderen ist gut. Das bringt mich öfters in Gefahr.

Wie frei sind Sie da ganz in ihren Kompositionen für einen Film? Können Sie einfach entscheiden: für diesen Film nehme ich jetzt Jazz-Musik und für einen anderen eine andere Musikrichtung?

Nein, man hat nie völlige Freiheit. Film ist Gruppenarbeit. Das ist eine künstlerische Arbeit, die du mit vielen anderen Menschen zusammen anfertigst: den Drehbuchautoren, den Schauspielern, den Produkt-Designern, den Kostümbildnern. Das ist Teamarbeit und ich bin nur einer davon. Ich bin nicht frei in meiner Arbeit, aber das ist völlig in Ordnung so. Ich bin da kein freischaffender Künstler, der tun kann was immer er will. Aber in dem Bereich der Filmkomposition kann ich das tun, was ich will und was ich mir vorstelle. Das ist der Ansatzpunkt von Film-Komposition.

Gondeln in Venedig
Die Internationalen Filmfestspiele Venedig ziehen jedes Jahr Filmschaffende und Cineasten in die LagunenstadtBild: picture-alliance/dpa

Das Interview führte DW-Reporter Gerhard Sonnleitner in Venedig.

(Übersetzung: Heike Mund)