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"Justiz hat sich korrigiert"

Das Gespräch führte Claudia Herrera Pahl 27. August 2004

Das Oberste Gericht Chiles hat am Donnerstag (26.8.) die Immunität Augusto Pinochets vor der Strafverfolgung aufgehoben. Darüber sprach DW-WORLD mit Christian Tomuschat, Experte für Internationales Recht.

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Christian Tomuschat arbeitet an der Humboldt-Universität in BerlinBild: AP

DW-WORLD: Herr Tomuschat, wie beurteilen Sie diese Entscheidung?

Christian Tomuschat: Ich finde es ist eine richtige Entscheidung. Es ist gut, wenn die chilenische Gerichtsbarkeit selbst über die Straftaten urteilt, die man Pinochet vorwirft. Es wäre schlecht gewesen, wenn das spanische Gerichte gewesen wären. Es ist Sache des chilenischen Volkes, selbst über den ehemaligen Diktator zu Gericht zu sitzen. Da wird die Wahrheit ans Licht kommen und ich freue mich, dass man sich auf diese Weise nun die Möglichkeit verschafft hat, tatsächlich Recht zu sprechen.

Welche Folgen könnte diese Aufhebung für Pinochet haben?

Ich denke, dass die Beweislage mittlerweile relativ klar ist, dass man weiß, dass sehr schwerwiegende Verbrechen begangen wurden. Und es ist klar, dass Pinochet als Staatschef zumindest Kenntnis davon gehabt hat und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er viele dieser Verbrechen sogar selbst angeordnet hat. Aber das ist eine Sache, die das Gericht beurteilen muss. Ich kann als Außenstehender kein endgültiges Urteil dazu abgeben.

Schon einmal wurde die Immunität von Pinochet aufgehoben. Dieser Schritt wurde rückgängig gemacht, mit dem Argument, Pinochet habe senile Demenz. Warum spielt das jetzt keine Rolle?

Offenbar war das doch eine Geste der Verbundenheit mit Herrn Pinochet. Und ich glaube, dass das damals vorgetäuscht wurde. Ich glaube, dass Pinochet durchaus im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist. Die Justiz hat sich jetzt korrigiert und man muss begrüßen, dass jetzt auf der Basis von Tatsachen gehandelt wird.

Kann man nun mit einer Welle von Klagen rechnen?

Das kann ich nicht sagen. Das ist eine strafrechtliche Anklage. Pinochet wird sich vor dem Strafgericht zu verantworten haben. Ob es dann gegen ihn auch private Schadensersatzklagen gibt, ist eine andere Frage. Es kann sein, dass Kläger versuchen, sein privates Vermögen anzugreifen. Das ist in vielen Rechtsordnungen miteinander verbunden. Wenn jemand strafrechtlich verantwortlich ist, dann ist er auch zivilrechtlich verantwortlich und muss für den Schaden aufkommen.

Könnte diese Entscheidung, die Auslieferungsbestrebungen aus Europa wieder aufleben lassen?

Das glaube ich nicht. Nein, das wäre auch nicht gut. Pinochet sollte jetzt wirklich in Chile vor die Gerichte gestellt werden. Dort weiß man am besten, was passiert ist. Ich glaube die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit außerhalb von Chile in Europa würden die Chilenen auch als eine Beeinträchtigung ihrer nationalen Ehre empfinden. Das sollte wirklich alles in Chile passieren.

Ist das sinnvoll für die Vergangenheitsbewältigung in Chile?

Was könnte das in Chile auslösen? Ich finde schon, dass man nach einer nationalen Katastrophe versuchen soll, die Hauptverantwortlichen vor Gericht zu stellen. Man kann nicht jeden Einzelnen strafrechtlich verfolgen, der an den Unrechtsstaaten beteiligt war. Aber diejenigen, die die eigentlichen Haupttäter waren, die sollten tatsächlich vor Gericht gestellt werden. So wie 1945 in Deutschland in Nürnberg die Hauptverantwortlichkeiten für das Nazi-Regime von den Alliierten vor Gericht gestellt worden sind. Das scheint mir ein sehr gutes Beispiel zu sein. Es hat keinen Zweck, Massenprozesse zu führen gegen Hunderte und Tausende von Menschen, aber die Hauptverantwortlichen, die das Land in Chaos und Unrecht geführt haben, die sollten sich wirklich verantworten.