Justizdrama Assange: Nächster Akt
14. November 2016Bei der Wahl Donald Trumps zum kommenden US-Präsidenten spielte auch die Affäre um die Emails seiner demokratischen Kontrahentin Hillary Clinton eine Rolle. Und der Ursprung dieses Skandals führt in ein sechsstöckiges Apartmenthaus im vornehmen Londoner Stadtteil Knightsbridge. Dort, gegenüber dem Edelkaufhaus Harrods, befindet sich im Hochparterre die Botschaft Ecuadors. Hier sitzt seit viereinhalb Jahren Wikileaks-Gründer Julian Assange im Asyl. Mit einem kontinuierlichen Fluss von Informationen, die sie der Öffentlichkeit zuspielten, hatte die Enthüllungsplattform Hillary Clinton monatelang unter Druck gesetzt. Vermutlich auf US-amerikanischen Druck hin stellte die ecuadorianische Botschaft ihrem Gast Mitte Oktober den Internetzugang ab.
Doch Wikileaks besteht nicht nur aus Julian Assange - die Enthüllungen gingen weiter. Noch am Wahltag selbst hatte Julian Assange in einer Mitteilung erklärt, weder Wikileaks noch er selbst hätten ein Interesse daran, den Wahlausgang in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Zumal sowohl Trump als auch Clinton Whistleblowern äußerst feindselig gegenüberstehen. Aber es sei die Aufgabe von Wikileaks, so Assange, Material zu veröffentlichen, wenn es authentisch sei und Nachrichtenwert habe. Bei den Dokumenten aus dem Clinton-Lager sei das zweifelsfrei der Fall gewesen. Liebend gerne hätte man auch Dokumente über Trump und sein Team veröffentlicht, wenn Wikileaks denn welche zugespielt worden wären, beteuerte der 45-jährige Australier.
Sechs Jahre Ermittlungen
Auf Julian Assanges Tagesordnung steht jetzt aber etwas anderes: In seinen Fall kommt nach vielen Jahren Bewegung. Heute wird die Stockholmer Chefanklägerin Ingrid Isgren in Begleitung eines schwedischen Polizeibeamten die für diesen Tag angekündigte Solidaritätswache für Assange auf der Basil Street passieren. Danach wird sie die Botschaft Ecuadors aufsuchen. Dort wird sie Julian Assange zum Vorwurf einer Vergewaltigung befragen, der ihn seit sechs Jahren verfolgt, dessentwegen bislang aber noch keine Anklage erhoben wurde.
Die Befragung ist Teil einer 2010 eingeleiteten Vorermittlung. Die war zwar im August 2010 von einer Staatsanwältin in Stockholm schon einmal beendet worden, weil in ihren Augen kein Verbrechen erkennbar war. Dann aber nahm Staatsanwältin Marianne Ny aus Göteborg sie wieder auf.
Sorge vor Auslieferung an USA
Der europäische Haftbefehl, mit dem Assange vor über 2160 Tagen in England festgesetzt wurde, soll nur ermöglichen, dass Vertreter der schwedischen Justiz ihn befragen können. Mit der Befragung müsste eigentlich der Grund für den Haftbefehl automatisch entfallen.
Sicher wird sich Assange aber auch danach nicht fühlen. Seine Anwältin Melinda Taylor betonte gegenüber der DW, der Grund für Assanges Asyl in der Botschaft Ecuadors sei nicht das schwedische Verfahren. "Er ist in der Botschaft, weil ihm weder Schweden noch Großbritannien garantieren wollten, dass sie ihn nicht an die USA ausliefern. Dieses Risiko besteht weiterhin, ganz unabhängig von der Befragung oder dem europäischen Haftbefehl." Taylor hält es sogar für möglich, dass die amtierende US-Regierung in den ihr verbleibenden Wochen noch intensiver versuchen wird, Assange zu verhaften.
Auch wenn in den USA noch keine offizielle Anklage gegen Julian Assange erhoben worden ist, belegen zahlreiche Dokumente: Das US-Justizministerium ermittelt seit sechs Jahren gegen Assange und Wikileaks. Die vermeintliche Wikileaks-Informantin Chelsea Manning wurde zwischenzeitlich zu 35 Jahren Haft für die Weitergabe von Informationen an Wikileaks verurteilt. Auf Manning sollen die sogenannten "Afghanischen Kriegstagebücher" zurückgehen, die "Irakischen Kriegstagebücher" und die "Botschaftsdepeschen", interne Dokumente der US-Administration, die Wikileaks 2010 veröffentlichte.
Taylors Sorge wegen des langen Arms der USA scheint berechtigt. Nikolaos Gazeas, Experte für internationales Strafrecht in Köln, erläutert im DW-Gespräch, dass es nicht nur ein aufwändiges Auslieferungsersuchen gebe. Möglich sei auch ein sogenanntes Festnahmeersuchen, das sehr schnell und unbürokratisch auf den Weg gebracht werden könne. Gazeas kann sich durchaus vorstellen, "dass die Amerikaner ein solches Ersuchen in der Schublade haben, um es jederzeit aufs Fax zu legen".
Hoffen auf Trump
Mittlerweile sind die sozialen Medien voll von Aufrufen an den künftigen Präsidenten Trump, Assange zu begnadigen. Melinda Taylor sagt, es würde schon helfen, wenn die neue US-Administration die jetzige Politik gegenüber Whistleblowern ändern würde. Nicht nur ihr Klient, so Taylor, auch Edward Snowden oder die bereits erwähnte Chelsea Manning hätten eine wertvolle Rolle bei der Verbreitung wichtiger Informationen gespielt - im allgemeinen Interesse. "Whistleblower müssen geschützt werden", fordert die Anwältin.
In dieser Hinsicht sei die Bilanz der Obamas düster, stellt der britische Journalist Charles Glass gegenüber der DW fest: "Die Obama-Administration hat mehr Journalisten verfolgt als sämtliche vorhergehenden Regierungen zusammen", so Glass. Die US-Regierung habe ein Spionage-Gesetz aus dem Kriegsjahr 1917 genutzt, "um Journalisten zu verfolgen, die offen gelegt haben, was die Regierung sich an Folter, Mord und Verschleppung von Verdächtigen auf der ganzen Welt geleistet habe". Der Nahostexperte Glass kämpft aktiv für Whistleblower. Im Sommer 2015 hat er eine Tournee durch europäische Städte initiiert, um an das Schicksal von Assange, Snowden und Manning zu erinnern: mit ihren Bronzestatuen.