Jüdisches Leben in Berlin
Anfänge | 13. Jahrhundert
Im Mittelalter lebten die meisten Juden isoliert am Stadtrand in der Jüdenstraße und am Großen Judenhof. Die ersten Berliner Juden waren Händler, Geldwechsler und Geldverleiher. Das Leben war hart und die Steuern hoch: Juden mussten für Beschneidung, koscher Schlachten oder Beerdigungen extra zahlen. Heute steht an der Jüdenstraße das Rote Rathaus, der Amtssitz des Berliner Bürgermeisters.
Hofjuden | 17. Jahrhundert
Kurfürst Friedrich Wilhelm nimmt wohlhabende Juden in Berlin auf. Kein Akt der Toleranz: Nach dem Dreißigjährigen Krieg sind Steuerzahler aller Religionen willkommen. Besonderes Ansehen genießen "Hofjuden" - Kreditgeber, Juweliere und Finanzberater in Personalunion. Der bekannteste ist Veitel Heine Ephraim, sein "Ephraimpalais" ist eines der schönsten historischen Bürgerhäuser Berlins.
Deutscher Sokrates | 1729 - 1786
Moses Mendelssohn kommt als 14-Jähriger nach Berlin. Ein fleißiger Schüler, der mehrere Sprachen spricht und sich für Philosophie begeistert. Bald folgen eigene Werke. Mendelssohn wird zu einem international bekannten Philosophen und einflussreichsten Juden seiner Zeit. In Berlin begründet er zudem die Haskala, die jüdische Aufklärung.
Berliner Salons | 18. und 19. Jahrhundert
Einflußreiche jüdische Frauen wie Rahel Varnhagen laden in ihre Wohnzimmer: In den sogenannten Berliner Salons treffen sich Schriftsteller, Künstler und Denker. Zu den Gästen zählen unter anderem Heinreich Heine, Gebrüder Humboldt und Heinrich Kleist. Diese Salons sind Mittelpunkt des intellektuellen und gesellschaftlichen Lebens in Berlin.
Emanzipation und Erfolg | 19. Jahrhundert
Berlin wächst zu einer europäischen Metropole heran - und mit ihr die jüdische Gemeinde. Hier gelten viel weniger Berufsverbote als in der Provinz: Juden sind im Rechtswesen, Fabrikation, Handel, Medizin und Journalismus tätig. Für die über 35.000 Juden wird 1866 die "Neue Synagoge" mit 3.000 Sitzplätzen gebaut. Zur Eröffnung erscheint auch der preußischer Ministerpräsident Otto von Bismarck.
Scheunenviertel | 20. Jahrhundert
Dieses jüdische Viertel geht auf Friedrch Wilhelm I. zurück. 1737 befiehlt er Juden, die kein eigenes Haus haben, in die Scheunen vor den damaligen Stadttoren zu ziehen. Anfang des 20. Jahrhunderts ein geschäftiges, doch ärmliches Viertel. Und Anlaufpunkt für viele osteuropäische Juden, die vor Pogromen nach Berlin fliehen. Heute gehört das Viertel zur "Neuen Mitte", Berlins Szenebezirk.
Blüte der Weimarer Kultur | 1920er Jahre
In den "Goldenen Zwanzigern" ist Berlin mit zahlreichen Cafés, Bars, Kabaretts und Ballhäusern ein europäischer Kulturmagnet. Gleichberechtigt mischen Juden mit: Kurt Weill bringt mit Bertholt Brecht die "Dreigroschenoper" auf die Bühne, Arnold Schönberg erschafft die Zwölftonmusik und die "Comedian Harmonists", ein Berliner Ensemble mit drei jüdischen Sängern, feiert internationale Erfolge.
Mitergreifung Hitlers | 1933
Unmittelbar nach dem Wahlerfolg der Nationalsozialisten und er Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler setzen die ersten Razzien und Belästigungen im Scheunenviertel ein. Im gleichen Jahr werden 25.000 Bücher auf einem Scheiterhaufen vor der Humboldt-Universität verbrannt. Zu "undeutschem Schriftum" zählen Werke von Moses Mendelssohn, Heinreich Heine und Franz Kafka.
Novemberpogrome | 1938
Während der Pogrome werden 400 Juden ermordert und 1.400 Geschäfte, Synagogen und Friedhöfe zerstört. Die Gleichberechtigung, für die Juden solange gekämpft haben, ist mit einem Schlag vernichtet. Jüdische Beamte werden suspendiert, Berufsverbote gelten unter anderem für Ärzte, Juristen, Professoren, Künstler und Journalisten. Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden sind verboten.
Wannseekonferenz | 1942
Mit idyllischen Blick auf den Berliner Wannsee beraten hochrangige NS-Funktionäre über das effektivste Vorgehen zur "Endlösung der Judenfrage". Damit ist vorerst auch das Ende des jüdischen Berlins besiegelt. Heute ist das Haus der Wannseekonferenz eine Gedenkstätte.
Nach dem Krieg | 1945
160.000 Juden leben vor dem zweiten Weltkrieg in Berlin, ein Drittel der jüdischen Bevölkerung in Deutschland. Rund 90.000 emigrieren ins Ausland, 60.000 sterben in Konzentrationslagern oder werden ermordet. Nur 1.500 Juden überleben den Krieg in Berlin, versteckt im Untergrund und mithilfe nichtjüdischer Berliner.
Geteilte Stadt: Juden in Ostberlin
1952 ruft Stalin eine antijüdische Kampagne ins Leben, die in allen "Bruderstaaten" zu antisemitischen Ausschreitungen führt. Mit dem Tod Stalins "normalisiert" sich die Lage, doch die Gemeinde in Ostberlin schrumpft von 1.500 Mitglieder auf 200. Die vom Krieg zerstörte "Neue Synagoge", die im Ostteil der Stadt liegt, wird erst ab 1988 wiederaufgebaut.
Geteilte Stadt: Juden in Westberlin
Die meisten KZ-Überlebenden wollen Deutschland so schnell wie möglich verlassen. Die jüdische Gemeinde in Westberlin versteht sich zunächst als "Liquidationsgemeinde", die bei Ausreisen unterstützen und sich anschließend auflösen will. Doch einige Juden bleiben - und entscheiden sich für einen Neuanfang. An der Fasanenstraße, wo einst eine Synagoge stand, wird 1958 ein neues Gemeindehaus gebaut.
Geteilte Stadt: Neuanfänge in Westberlin
Während das Ostberliner Gemeindeleben stagniert, blüht es im Westen der Stadt allmählich auf. 1962 wird eine jüdische Volkshochschule gegründet, 1971 ein Kindergarten, 1978 ein Altersheim. Heute gibt es in Berlin unter anderem eine Grundschule, ein Gymnasium, eine Hochschule, sowie ein jüdisches Theater, koschere Restaurants, Cafés und ein jüdisches Filmfestival.
Zuwachs aus der ehemaligen Sowjetunion
Mit der Wiedervereinigung fusionieren auch die jüdischen Gemeinden der einst geteilten Stadt. Den größten Zuwachs erfährt die Gemeinde mit dem Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in den 1990er Jahren. Die Mitgliederzahl verdoppelt sich sprunghaft auf 12.000, bringt neuen Wind aber auch Konflikte. Heute gibt es in Berlin elf Synagogen (hier: Synagoge an der Rykestraße).
Meschugge
Berlin zieht derzeit junge Israelis an. Viele kommen aufgrund der Kunst- und Kulturszene, manche aus politischen Gründen. Etwa 10.000 Israelis leben in Berlin. Jüdische Religion spielt für viele keine maßgebliche Rolle. Dennoch bringen sie eine neue jüdische Kultur nach Berlin, wie beispielsweise die schwul-jüdische Partyreihe "Meschugge Berlin".