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Politik

Kükentöten bleibt vorerst erlaubt

Tessa Clara Walther | Peter Hille
13. Juni 2019

Männliche Küken dürfen weiter aus wirtschaftlichen Gründen vergast und geschreddert werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Im letzten Jahr wurden 45 Millionen Küken in Deutschland getötet.

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Küken sitzt auf einer Hand
Bild: picture-alliance/dpa/P. Endig

Das millionenfache Töten männlicher Küken ist mit dem Tierschutzgesetz vereinbar. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden. Damit ist eine bislang gängige Praxis in der Legehennenzucht weiterhin rechtens. Die Betriebe dürfen männliche Küken töten, weil sie keine Eier legen und wenig Fleisch liefern. Diese wirtschaftlichen Interessen seien zwar allein kein vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes, so das Gericht. Das Töten sei aber solange rechtmäßig, bis Alternativen zur Verfügung stünden. Die Richter rechnen damit, dass "voraussichtlich in Kürze Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zur Verfügung stehen werden".

In deutschen Hühnerställen werden täglich Tausende von männlichen Jungtieren getötet. Meist werden sie mit Gas getötet und kommen dann in Metallröhren, in der sich große Schrauben solange drehen, bis die Küken zerschreddert am anderen Ende wieder herauskommen. Alleine im vergangenen Jahr wurden in Deutschland laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft etwa 45 Millionen männliche Küken getötet, gut eine Million mehr als im Vorjahr.

Geflügelzüchter fordern Geduld

"Ich halte das Urteil für sehr klug. Wir haben es uns genau so gewünscht", sagt dazu im DW-Gespräch Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft. "Wir wollen das Kükentöten so schnell wie möglich beenden und das Urteil gibt uns eine Übergangszeit ohne Enddatum." Nun sei man auf die Ergebnisse der Wissenschaft angewiesen, damit alternative Methoden möglichst schnell genutzt werden können. "Ich meine, wir sollten jetzt Geduld für die letzte Phase haben. Ob das ein Jahr oder anderthalb Jahre werden, vermag ich nicht zu sagen."

"Ich bin überrascht und enttäuscht", sagt dagegen Friedrich Ostendorff, Sprecher für Agrarpolitik der Grünen-Fraktion im Bundestag, der DW. "Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte gedacht, das oberste Gericht kann hier nur dem Schutz des Tieres Vorrang einräumen. Ich hatte mich innerlich darauf eingestellt, dass dieses schreckliche Verfahren heute beendet wird", so Ostendorff, der sich seit Jahren gegen die Tötung männlicher Küken ausspricht. 

"Ethischer Skandal"

Schon 2013 hatte das Land Nordrhein-Westfalen im Westen Deutschlands die umstrittene Praxis verbieten wollen. Doch zwei Legebetriebe klagten dagegen - erfolgreich. Sie bezogen sich auf den Paragrafen Eins des Tierschutzgesetzes: Er erlaubt das Töten von Tieren, wenn dafür ein vernünftiger Grund vorliegt. Das Oberverwaltungsgericht in Münster wägte die ethischen Gesichtspunkte der Tötungsmethoden mit dem menschlichen Interesse einer wirtschaftlichen Hühnerzucht ab. Die zwei Betriebe bekamen letztlich Recht. Für die Zucht bräuchte es keine männlichen Küken, so die Urteilsbegründung. Technische Verfahren, um nur noch weibliche Eier auszubrüten, seien noch nicht praxistauglich und die Tötungsmethoden deshalb aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt.

Prozess zum Kükentöten
Das oberste deutsche Verwaltungsgericht musste zwischen Tierwohl und Wirtschaftlichkeit abwägenBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Wirtschaftliche Interessen über die des Tierwohls zu stellen, das ist für viele Tierschützer nicht hinnehmbar. Das Töten von Küken aus wirtschaftlichen Gründen, so der Deutsche Tierschutzbund, sei ein "ethischer Skandal". Die große Mehrheit der Gesellschaft akzeptiere dies nicht. Inke Drossé vom Tierschutzbund weist im Gespräch mit der DW aber auch darauf hin, dass mit dem Urteil aus Leipzig "ein Anfang gemacht" sei. "Das Gericht hat deutlich gemacht, dass das Töten von Küken nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist."

Oppositionspolitiker wie Friedrich Ostendorff fordern auch nach dem Leipziger Urteil ein Ende des Kükenschredderns. "Der Bundestag könnte jederzeit sagen: wir beenden dieses Töten. Aber diese Kraft hat die große Koalition nicht." Bisherige Versprechungen des ehemaligen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt und der aktuellen Ministerin Julia Klöckner, die Bedingungen zu verbessern, seien nicht gehalten worden.

Alternative Methoden

Das Landwirtschaftsministerium sieht das anders. In den letzten Jahren sei viel Geld in Alternativen zum routinemäßigen Töten der Küken investiert worden. Tierschützer und die Ministerin sind sich einig, dass das Kükenschreddern "ethisch nicht vertretbar" sei und "so schnell wie möglich" beendet werden müsse. Jedoch sei es  sinnvoll, den Betrieben machbare und finanzierbare Alternativen zu bieten. Dann sei ein Verbot der aktuellen Methoden gar nicht mehr notwendig, so die Ministerin weiter.

Eine Alternative, die vom Ministerium mit 6,5 Millionen Euro gefördert wurde, ist die "In-Ovo-Geschlechterbestimmung". Dieses Verfahren sieht mit Hilfe von verschiedenen Techniken vor, männliche Küken schon im Ei als solche zu erkennen und gar nicht erst schlüpfen zu lassen. Es würde den Brütereien bereits nächstes Jahr als praxistaugliches Verfahren zur Verfügung stehen, so das Ministerium auf seiner Webseite.

Grünenpolitiker Ostendorff bezweifelt, dass die Methode flächendeckend und zeitnah umsetzbar sein wird. Auch der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft hält keines der aktuellen Geschlechterbestimmungsverfahren für praxistauglich. In einer offiziellen Stellungnahme bemängelt er die Verfügbarkeit, Geschwindigkeit und Genauigkeit der Methoden. Ein Verbot ohne praxistaugliche Alternativen würde "mittelfristig zu erheblichen Lücken (…) bei der Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Eiern führen", erklärt der Verband.

Neue  Zuchtmethoden

Allerdings sei die technische Lösung des "In-Ovo"-Verfahrens nur eine kurzfristige Antwort, um alte Produktionsmethoden zu erhalten, sagt Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes. "Das eigentliche Problem sind die heutigen Zuchtmethoden. Und das wird dadurch nicht gelöst". Die Haltung hochspezialisierter Hühnerrassen sei problematisch für das Wohl der Tiere und müsse sich ändern.

Der Verbund fordert deshalb zum "Zweinutzungshuhn" zurückzukehren. Dabei werden die Tiere gleichzeitig zum Eierlegen und Schlachten genutzt. Bisher ist das nur für eines der beiden Produktionen der Fall. Fast überall werden spezialisierte Rassen in Ställen gezüchtet, die mehrere hundert Eier pro Jahr legen, aber kaum Fleisch produzieren, oder extrem viel Fleisch ansetzen, aber kaum Eier legen.

Prozess zum Kükentöten
Die männlichen Küken sind unerwünscht, weil sie keine Eier legen und für die Mast nicht genug Fleisch hergebenBild: picture-alliance/dpa/Be. Wüstneck

Ein Wechsel zum "Zweinutzungshuhn" würde allerdings dazu führen, dass Eier und Hühnerfleisch in Deutschland teurer würden, weil die Tiere im Schnitt weniger von beidem produzieren als die Spezialrassen. Dafür müssten männliche Hühner allerdings nicht mehr aussortiert werden, weil sie für die Fleischproduktion genutzt werden könnten. Auch Ostendorff spricht sich für diese Art der "natürlichen" Hühnerzucht aus. Ein höherer Preis sei im Sinne des Tierwohls für den Verbraucher dabei "hinnehmbar".

Auch wenn das Leipziger Urteil die gängige Praxis des Kükentötens nicht verbietet, können Verbraucher auch schon jetzt die alternativen Geschlechterbestimmungsmethoden wählen. Einige Supermärkte bieten seit November letzten Jahres Eier der "In-Ovo"-Methode in ihren Regalen an.