Kabul und die Sicherheitslücken
22. Januar 2013Kefayatullah steht unter Schock. "Ich habe gesehen, wie die Täter in das Gebäude eingedrungen sind. Sie haben zwei Sicherheitsleute angeschossen und einer der Angreifer hat sich in die Luft gesprengt", berichtet der junge Autowäscher. Am Montag (21.01.) hatten Taliban das schwer gesicherte Hauptgebäude der Verkehrspolizei in Kabul attackiert. Es war bereits der zweite Taliban-Angriff innerhalb einer Woche. Kefayatullah hat die Explosion hautnah miterlebt, er arbeitet ganz in der Nähe des Tatorts. Er habe sofort seinen Eimer fallengelassen, berichtet er. "Dann hat mich ein Soldat weggebracht. Ich habe dann auch meine kleinen Brüder in Sicherheit gebracht."
Sinnlose, grausame Tat
Nach Augenzeugenberichten hatte ein Wagen vor dem dreistöckigen Gebäude gehalten und war dann explodiert. Anschließend waren fünf Angreifer in das Hauptquartier der Verkehrspolizei hineingestürmt. Nach Angaben von Mohammad Ayub Salangi, dem Polizeichef von Kabul, sind drei Verkehrspolizisten bei dem Anschlag ums Leben gekommen, vier weitere wurden verletzt. Acht Zivilisten sind ebenfalls mit Verletzungen davongekommen. Mehr als acht Stunden lieferten sich die Angreifer Gefechte mit den Sicherheitskräften, bevor es diesen gelang, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Alle Täter wurden dabei getötet.
Von dem jüngsten Anschlag der Taliban sind vor allem die Bewohner Kabuls betroffen. Das Gebäude liegt zentral in der Hauptstadt, viele Geschäfte und Märkte sind dort ansässig. Auch Arbeiter Razeq war Zeuge des Angriffs. "Die Tat war grauenhaft und unmenschlich. Ein Mensch ist nicht in der Lage, so etwas zu tun", sagt er. Und fügt hinzu: "Hier sind doch keine Ausländer, auf die die Taliban es abgesehen haben könnten. Alle Opfer sind von hier, alle sind Afghanen. Was bringt das?"
Politischer Dialog mit den Taliban
Eigentlich ist es unüblich, dass die Taliban in den Wintermonaten verstärkt angreifen. Afghanische Experten interpretieren Attacken wie diese als Zeichen dafür, dass die Taliban nicht an einer friedlichen Lösung interessiert sind. Seit Monaten versucht die afghanische Regierung, mit ihnen zu verhandeln, geht auf sie zu. So wurden unter anderem mehrere prominente Taliban aus den Gefängnissen entlassen. Durch ihre Angriffe wollen die Taliban jedoch die afghanische Regierung weiter unter Druck setzen und damit eine noch stärkere Position erlangen, ist Ahmad Behzad, Parlamentsabgeordneter aus Herat überzeugt. "Solche Attacken stehen in direkter Verbindung zu den von Präsident Karsai geführten Friedensgesprächen. Durch die Angriffe werden diese Gespräche schnell zu einem Ergebnis zu Gunsten der Taliban führen."
Nach Ansicht des deutschen Afghanistan-Experten Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network ist der Erfolg einer solchen Strategie eher fragwürdig. Man solle nicht damit rechnen, dass freigelassene Taliban reumütig nach Hause gingen, so Ruttig. Dennoch sieht er einen Sinn hinter dieser Taktik. "Gefangenfreilassungen sind auch immer sogenannte vertrauensbildende Maßnahmen. Und die sind wichtig, wenn man einenpolitischen Dialog einleiten will." Allerdings sei es illusorisch zu glauben, dass der Krieg durch einen solchen politischen Dialog sofort enden würde – das sei vielmehr das "Endziel".
Pessimistisches Zukunfts-Szenario
Dies sei ein langwieriger Prozess, der jedoch zu spät begonnen worden sei, so Ruttig weiter. Gleichzeitig sei der angekündigte Abzug der internationalen Truppen eine Einladung an die Taliban, nicht nur auf die Gesprächsoption zu setzen, sondern Stärke zu zeigen - wie jetzt beim Anschlag auf das Hauptquartier der Verkehrspolizei. "Die Taliban haben sich darauf verlegt, zu zeigen, dass sie bereit sind jederzeit und an jedem Ort zuzuschlagen - auch in der relativ gut bewachten Hauptstadt Kabul. Das sind schon Prestigeerfolge, und die schlagen sich dann als große Wellen in den Medien nieder." Gleichzeitig warnt Thomas Ruttig aber davor, derartige Angriffe mit Großoffensiven zu verwechseln. Es handele sich vielmehr um "terroristische Nadelaktionen, die eher Propagandawert als militärischen Wert haben".
Insgesamt ist Thomas Ruttig dennoch nicht sehr optimistisch, was die Zukunft Afghanistans betrifft. Es spreche einiges dafür, dass mit dem Truppenabbau mehr Raum für Aktionen der Taliban entstehe. Diese würden sich wahrscheinlich auf die Provinzen konzentrieren, in denen kaum westliche Truppen anwesend sind, so der Analyst. Für die afghanische Bevölkerung bedeutet das, dass vermutlich auch im Jahr 2013 keine Ruhe einkehren wird.