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Politik

Saudi-Arabiens kaltes Kalkül

2. August 2018

Saudi-Arabien setzt seine Einschüchterung gegen Frauenrechtlerinnen fort. Ihre Verhaftungen erfolgen in Etappen, offenbar um die öffentliche Aufmerksamkeit zu unterlaufen. Fraglich ist, ob das gelingt.

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Saudiarabien, Nassima al-Sadah
Verhaftet: die Menschenrechtsaktivistin Nassimah al-SadahBild: picture-alliance

Anfang dieser Woche wurden sie verhaftet: Samar Badawi, Nassima al-Sadah und Amal al-Harbi, drei prominente saudische Menschenrechtlerinnen. Die offiziellen Gründe dafür sind bislang ungeklärt, Medienanfragen ließen die saudischen Behörden unbeantwortet.

Mit den Verhaftungen habe man rechnen können, sagt der Direktor der in Berlin ansässigen "European Saudi Organization for Human Rights", Ali Adubisi: "Vor mehreren Wochen wurde eine ganze Reihe bekannter Frauenrechtlerinnen verhaftet. Damals nahmen viele Leute an, dass auch weitere Frauenrechtlerinnen wie etwa Samar Badawi und andere verhaftet würden. Genau das ist jetzt passiert."

Dass im ersten Schritt, Ende Mai, nicht alle bekannten Frauenrechtlerinnen verhaftet wurden, habe System, sagt Adubisi im Gespräch mit der DW: "Die saudische Regierung geht schrittweise vor. Auf diese Weise will sie eine starke Reaktion der internationalen wie auch der lokalen Öffentlichkeit vermeiden." Samar Badawi sei in Saudi-Arabien sehr bekannt, erläutert Aldubisi: "Als sie im Jahr 2016 verhaftet wurde, reagierten die Medien umgehend. So kam sie nach wenigen Stunden wieder frei."

Prinzip der kleinen Schritte

Nun aber gehe die Regierung anders vor. Sie folge dem Prinzip der kleinen Schritte: In Abständen würden kleinere Gruppen oder auch nur Einzelpersonen verhaftet. Das sei genau kalkuliert, vermutet al-Adubisi. Die Regierung hoff auf einen Abnutzungseffekt. Die Medien, so offenbar das Kalkül, gewöhnten sich an die Verhaftungen oder hätten das bereits getan: "Auch in Saudi-Arabien selbst gelten Nachrichten von Verhaftungen fast schon als normal."

Saudi-Arabien Salman bin Abdulaziz al-Saud in Riad
Grenzenlose Macht: König Salman von Saudi-ArabienBild: picture-alliance/dpa/Saudi Press Agency

Offen ist, ob der Zeitpunkt der Verhaftungen im Zusammenhang mit einigen aufsehenerregenden Reformen steht. So wurden mehrere Frauenrechtlerinnen nur wenige Wochen vor der Aufhebung des Frauenfahrverbots verhaftet. Hatte man gehofft, die Begeisterung darüber könnte gerade bei vielen Frauen dazu führen, der Regierung das harte Vorgehen gegen Frauenrechtlerinnen nachzusehen? Setzte man darauf, dass die Frauen über die Freude, endlich den Führerschein machen zu können, das Schicksal  derer vergessen, die diesen Fortschritt durch ihre Aktionen überhaupt erst möglich gemacht haben?

Drei Frauenrechtlerinnen, drei Schicksale

Nun hat die saudische Regierung drei weitere prominente Frauenrechtlerinnen verhaftet. Samar Badawi ist die Schwester des 2012 verhafteten Bloggers Raif Badawi. Er wurde verhaftet, weil er in seinem damaligen Blog die religiösen Führer des Landes, die Wahhabiten, kritisiert hatte. Wegen "Beleidigung des Islam" wurde er zu 10 Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt.

Samar Badawi selbst hatte zunächst einen Prozess gegen ihren Vater geführt. Angeklagt hatte sie ihn, weil er ihren Heiratswunsch abgelehnt hatte. Das tat er auf Grundlage des Vormundschaftsrechts, das die Frauen des Königsreichs wesentlicher Rechte beraubt. Entscheidungen können nicht die Frauen treffen, sondern deren männliche Verwandte. Im April 2010 wurde Samar Badawi verhaftet, kam aber nach internationalem Druck im Oktober desselben Jahres wieder frei.

Hillary Rodham Clinton, Michelle Obama, Samar Badawi
Ausgezeichnet: Samar Badawi nahm 2012 den Menschenrechtspreis des US-Außenministeriums entgegenBild: picture-alliance/C.Dharapak

Im Jahr 2011 klagte sie gegen das für Wahlen zuständige Heimatministerium, da ihr als Frau die Teilnahme an den damaligen Kommunalwahlen verweigert wurde. Ebenso beteiligte sie sich im Jahr 2011 an Protesten gegen das Fahrverbot für Frauen. In diesem Zusammenhang klagte sie gegen die zuständige Verkehrsbehörde, da diese ihr - wie allen Frauen des Königreichs - die Führerscheinprüfung verweigerte. Im Jahr 2016 wurde sie erneut verhaftet, wurde aber nach wenigen Stunden wieder freigelassen. 2012 erhielt Samar Badawi den "International Women of Courage Award", den Preis des US-Außenministeriums für den Einsatz für Frauenrechte. Badawis früherer Ehemann Walid Abu al-Khair wurde wegen seines Einsatzes für die Menschenrechte zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt.

Auch die Frauenrechtlerin Nassima al-Sadah setzt sich seit Jahren für die Abschaffung des Vormundschaftsrechts und des Fahrverbots für Frauen ein, das im Sommer 2018 aufgehoben wurde.

Ebenfalls verhaftet wurde Amal al-Harbi, Frauenrechtlerin und Ehefrau des Menschenrechtsaktivisten Fawzan al-Harbi. Er sitzt derzeit eine siebenjährige Haftstrafe wegen seines Engagements für die Menschenrechtsorganisation "Saudi Civil and Political Rights Association" (ACPRA) ab. Warum die Behörden jetzt auch gegen seine Frau vorgehen, sei unklar, schreibt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).

Demo für  Blogger Raif Badawi
Weggesperrt: der seit Jahren inhaftierte Blogger Raif BadawiBild: Imago/C. Ditsch

Kritik von Menschenrechtsorganisationen

Sarah Leah Whitson, Direktorin für die Region Nahost bei HRW, kritisierte die Verhaftungen in scharfen Worten. Diese zeigten, "dass die saudischen Behörden jeglichen friedlichen Widerspruch als Bedrohung ihrer autokratischen Herrschaft sehen". Whitson richtete einen Appell an die internationalen Partner des Königshauses: "Nach den jüngsten willkürlichen Verhaftungen von Geschäftsleuten, Frauenrechtsaktivisten und reformistischen Klerikern sollten die Verbündeten und Partner Saudi-Arabiens sich fragen, was der Begriff 'Reform' in einem Land bedeutet, in dem die Rechtsstaatlichkeit verächtlich ignoriert wird."

Auch Amnesty International (AI) äußerte sich zu den Verhaftungen. Diese offenbarten ein "bislang nicht dagewesenes Niveau" der Verfolgung von Menschenrechtsexperten im Land, äußerte Lynn Maalouf, AI-Direktorin für den Nahen Osten: "Die internationale Gemeinschaft muss die saudischen Behörden dazu bringen, diese drakonische Unterdrückung und den gezielten Druck auf Menschenrechtsaktivisten zu beenden."

Nach den Männern nun die Frauen

Der Druck sei nötig, sagt auch Menschenrechtler Ali Adubisi. Die saudische Regierung betrachte den Protest der Frauen seit langem als Herausforderung. Das entsprechende Engagement der Männer haben sie bereits zu großen Teilen gestoppt: "Nun stellt sie sich immer deutlicher den Frauen entgegen."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika