Als erste die Nummer zwei im Staat
20. Januar 2021Das politische Kalkül, das der neue Präsident Joe Biden mit der Nominierung von Kamala Harris zu seiner Vizepräsidentin verfolgte, ist schnell erzählt. Schwieriger ist es, zu ergründen, wofür sie inhaltlich eigentlich steht.
In spätestens 25 Jahren werden die weißen US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner nicht mehr in der Mehrheit sein. Immer mehr Wählerinnen und Wähler haben schon jetzt ihre Wurzeln nicht in Europa, sondern in Asien oder Afrika. Mit der Wahl von Harris wollte Biden, der "alte weiße Mann aus Delaware", zeigen, dass er die Zeichen der Zeit verstanden hat. Harris' Mutter, die Brustkrebsforscherin Shyamala Gopalan, emigrierte 1960 aus Indien nach Amerika. Ihr Vater, der Wirtschaftsprofessor Donald J. Harris, kam aus Jamaika in die Vereinigten Staaten. Als sie sieben Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Kamala und ihre Schwester Maya wuchsen bei ihrer Mutter auf, zunächst in Montreal, Kanada, wo die Mutter einen Forschungsauftrag hatte. Später wurde ihr Geburtsort, das kalifornische Oakland, erneut zum Lebensmittelpunkt der Familie.
Prägende Ausgrenzungserfahrungen
Harris weist immer wieder auf ihre Wurzeln hin und erzählt, wie prägend die Ausgrenzungserfahrungen bis heute sind, die sie aufgrund ihrer Hautfarbe im Kalifornien der 1970er Jahre erlebt hat. Genau so prägend sei aber der Kampfgeist der Mutter gewesen, die in der Bürgerrechtsbewegung auf dem Campus der Universität in Berkeley aktiv war. "Meine Mutter formte uns zu starken Frauen", schreibt Harris in ihrer Autobiografie "The Truths We Hold". Sie habe ihren Töchtern beigebracht: "Sitzt nicht nur herum und beschwert euch. Tut was!"
Eine Aufforderung, die Kamala Harris offensichtlich sehr wörtlich nahm. Sie studierte an der Howard Universität in Washington Politikwissenschaften und Wirtschaft, anschließend Rechtswissenschaft in San Francisco. Nach ihrer Zulassung 1990 begann sie ihre Karriere als Staatsanwältin und machte sich schnell einen Ruf als streitbare Frau mit messerscharfem Verstand.
Immer wieder Wegbereiterin
In ihrer jüngst erschienenen Autobiografie schildert sie, wie sie die frühen Ausgrenzungserfahrungen in das Streben ummünzte, die Erste zu sein.
2003 wurde die Demokratin als erste Frau zur Bezirksstaatsanwältin von San Francisco gewählt. Im Jahr 2010 kandidierte Harris für die frei werdende Position des Attorney General von Kalifornien und setzte sich gegen sechs Bewerber durch. In den USA stellt dieses Amt eine Kombination aus Justizminister und Generalstaatsanwalt dar. Am 3. Januar 2011 wurde sie vereidigt. Kamala Harris übernahm auch hier wieder die Rolle als Wegbereiterin: Sie war die erste weibliche und schwarze Besetzung dieser Position.
Inhaltlich durchaus umstritten
Inhaltlich war sie dabei alles andere als unumstritten: Einerseits sprach sie sich gegen die Todesstrafe aus. Gleichzeitig brachte sie die Linken in ihrer eigenen Partei gegen sich auf, als sie dafür votierte, dass die Eltern chronischer Schulschwänzer mit bis zu einem Jahr Gefängnis zu bestrafen seien.
Anfang 2015 kündigte Harris ihre Kandidatur für den US-Senat an. Sie wurde dabei von einer breiten Basis der Demokraten unterstützt. Unter anderem sprachen sich der damalige US-Präsident Barack Obama - den sie wiederum bei seiner Präsidentschaftskandidatur unterstützt hatte - und dessen Vizepräsident Joe Biden für sie aus. Als zweite Schwarze zog sie im Januar 2017 in den US-Senat ein.
Kamala Harris ist seit 2014 mit dem jüdischen Anwalt Douglas Emhoff verheiratet, der zwei Kinder mit in die Ehe brachte. Sie selbst war bis dahin kinderlos. Immer wieder wurde sie als mögliche US-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten gehandelt. Als sie 2019 schließlich ihre Kandidatur bekanntgab, galt sie zunächst als Favoritin gegenüber ihren Mitbewerbern Joe Biden, Bernie Sanders und Elizabeth Warren. Doch im Laufe des Jahres verlor sie an Zuspruch und gab im Dezember 2019 ihre Kandidatur wegen schlechter Umfrageergebnisse auf. Obwohl sie im Vorwahlkampf mehrfach mit Joe Biden aneinander geriet, berief er sie zu seiner Vizepräsidentin.
Vielleicht die erste Präsidentin
Das Amt der Vizepräsidentschaft erfüllt in den USA oft nur den strategischen Sinn, Wählerstimmen zu gewinnen, die der Präsidentschaftskandidat nicht erreicht. Im Falle von Kamala Harris hat die Wahl weit größere Bedeutung.
Joe Biden ist 78 - so alt wie kein anderer Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Es ist durchaus möglich, dass er sein Amt nicht bis zum Schluss der vierjährigen Amtszeit ausüben kann. Dann würde Kamala Harris - ganz ohne Neuwahlen - nachrücken. Und wieder einmal die Erste sein. Die erste Frau, die im Weißen Haus regiert.