Kambodscha: Investieren oder meiden?
10. Mai 2017"Kambodscha ist kapitalistischer als die USA", sagt Tassilio Brinzer und genießt die Überraschung bei seinem Gesprächspartner. Der End-Vierziger sitzt an einem schönen Holztisch in einem großen freundlichen Gastraum, vor sich ein frisch gebrautes Bier, im Hintergrund spielen einige Leute Billard. Es gibt kambodschanische und asiatische Gerichte, aber auch Brat- und Currywurst. "Hops", heißt das Lokal im Zentrum von Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas. Vor der Tür braust der Verkehr und Brinzer ist sichtbar zufrieden mit seinem Bierlokal. Er hat sogar einen deutschen Braumeister ins Land geholt.
Brinzer lebt seit etlichen Jahren in Kambodscha. Neben seinem Bierlokal besitzt er ein Restaurant, einen Werbeverlag und drei Zeitschriften. "Vor 15 Jahren gab es hier kein Haus, das höher war als fünf Stockwerke", sagt er. "Schauen Sie sich jetzt mal um!"
Kambodschas Erfolgsgeschichte und die Tragik persönlicher Schicksale
Fast an jeder Ecke entsteht ein neues Gebäude. Schicke Apartments mit Balkonen werden gebaut und Geschäftshäuser mit mehreren Dutzend Stockwerken. Der Bauboom wird angetrieben von chinesischem Kapital und einem Wirtschaftswachstum, das seinesgleichen sucht. In den letzten 10 Jahren ist die kambodschanische Wirtschaft Jahr für Jahr um mindestens sieben Prozent gewachsen. Damit gehört das südostasiatische Land zu den wachstumsstärkten Ländern weltweit. Von großem Wohlstand kann jedoch keine Rede sein.
Viele Menschen sind nach wie vor bettelarm. Vor allem auf dem Land können sich die Bauern von ihren Ernten kaum ausreichend ernähren. Das Durchschnittseinkommen liegt bei rund 1200 US-Dollar im Jahr. Kein Wunder: Denn die Ausgangslage war katastrophal. Erst die Schreckensherrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979, die das Land in die Steinzeit zurückführen wollten. Über zwei Millionen Menschen wurden ermordet oder starben an Hunger und Krankheit. Dann der jahrelange Bürgerkrieg, der im Wesentlichen erst Mitte der 1990er Jahre beendet wurde.
Das Herz von ASEAN
In der Hauptstadt ist wenig von der Vergangenheit zu sehen. Es gibt moderne Straßencafés, die Baguette oder Macarons servieren; US-Fast Food-Ketten sind über die ganze Stadt verstreut. Deren Angebot mischt sich mit dem der vielen Streetfood-Stände, die an kleinen Plastiktischen hausgemachte asiatische Spezialitäten anbieten.
"Es ist viel leichter in Kambodscha ein Unternehmen zu gründen als in Vietnam oder in Thailand", betont Ratana Phurik-Callebaut, Direktorin der europäischen Handelskammer in Kambodscha. Lediglich 2000 US-Dollar müssten bei einer Bank als Garantie hinterlegt werden und dann könne es bereits losgehen. Unternehmen dürften zu 100 Prozent in ausländischer Hand sein. "Wir haben eine gute Lage, wir sind im Herzen der ASEAN." ASEAN ist ein 1967 gegründeter Verbund von 10 südostasiatischen Staaten.
Bildung ist der Schlüssel
Warum ausländische Unternehmen dennoch einen Bogen um Kambodscha machen, hat andere Gründe. Denn das Land ist verglichen mit den Nachbarn Vietnam und Thailand recht klein. Es hat nur knapp 16 Millionen Einwohner. Viele sind schlecht ausgebildet. "Die Roten Khmer haben doch jeden Lehrer damals umgebracht, dann die Ärzte, die Krankenschwestern, die Buchhalter und viele mehr", erzählt Tassilo Brinzer, der mit einer Kambodschanerin verheiratet ist. "Fast jede Familie hat mehrere Opfer zu beklagen. Ein Viertel der Bevölkerung - und das waren gerade die Gebildeten - wurden praktisch ausgelöscht."
Die Nachwirkungen dieses Genozids sind noch immer zu spüren. An etlichen Gebäuden hängen Jobangebote für Qualifizierte. "Gute Leute sind schwer zu finden", erzählen Unternehmer. Leichter sei es dagegen, Mitarbeiter für einfache Arbeiten zu finden. Es werde wohl noch mindestens eine Generation dauern, ehe der Ausbildungsstand der Bevölkerung einigermaßen gut sei.
Die Entstehung einer Mittelschicht
Tassilo Brinzer kennt die Klagen, denn er leitet den Arbeitskreis Deutsche Wirtschaft. Der hat 28 Mitglieder, darunter Porsche, Bayer und DHL. Seine Kollegin von der europäischen Handelskammer sieht vor allem ein Imageproblem für Kambodscha. "Ausländische Unternehmen wissen nicht viel über das Land. Die denken nur an die Vergangenheit. Aber wir sehen hier sogar die Entstehung einer Mittelschicht", betont sie und erwähnt gleich noch ein paar positive Zahlen. Die Mobilfunkdichte liege bei 120 Prozent, es gebe vier Millionen Facebook-Nutzer und die Bevölkerung sei sehr jung.
Poor governance
Dass das Weltwirtschaftsforum (WEF) zu Asien sich vom 10. bis 12. Mai in Phnom Penh trifft, wird allgemein als Erfolg von Ministerpräsident Hun Sen gewertet, der seit 32 Jahren das Land mit eiserner Hand regiert. Sein liberaler Wirtschaftskurs hat das Wachstum angekurbelt. Kritiker sehen dennoch keinen Grund zum Jubeln. Sie sprechen von Menschenrechtsverletzungen und wachsender Korruption. Im Juni stellt sich Hun Sen zur Wiederwahl. Er sieht sein Land weiterhin an der Seite Chinas. Politisch wie wirtschaftlich. Im globalen Wettbewerbsbericht des Weltwirtschaftsforums wird Kambodscha kritisiert. Von "poor governance und lack of transparency" ist die Rede.
In der Innenstadt von Phnom Penh sind dennoch große Plakate aufgehängt: "Welcome to the Delegates of the World Economic Forum on Asia."