Kamerun: Muttersprachen fördern, Chancen erhöhen
20. Februar 2016Unterricht in der ersten Klasse in Mboh, einem kleinen Dorf im Westen Kameruns: Rund 50 Kinder sitzen auf den hölzernen Bänken und lesen laut die Wörter vor, die in ihren Schulbüchern stehen. Eigentlich findet in diesem Teil Kameruns der Grundschulunterricht auf Englisch statt. Nicht aber in der staatlichen Grundschule in Mboh. Hier lernen die Kinder zuerst in ihrer Muttersprache Kom Lesen und Schreiben.
Englisch ist nicht sehr weit verbreitet in den kleinen Dörfern zwischen den grünen Hügeln des Kom-Gebiets. Viele Bauern haben nie eine Schule besucht; zu Hause sprechen die rund 250.000 Bewohner der Region Kom. Die Kinder stehen vor einer großen Herausforderung: Weil der Unterricht von der ersten Klasse an auf Englisch stattfindet, können sie ihm nur sehr schwer folgen. Sie verstehen schlichtweg nicht, was die Lehrer ihnen beizubringen versuchen. Viele Schüler müssen deshalb Klassen wiederholen oder brechen die Schule komplett ab.
Die Sprachpolitik, die landesweit auf Französisch oder Englisch als Unterrichtsmedium setzt, verschärft daher das Gefälle zwischen Arm und Reich: Menschen ohne ausreichende Kenntnisse in einer dieser beiden Sprachen bleiben die meisten Karrierechancen verwehrt. Sie können nicht am öffentlichen Leben teilhaben.
Bessere Ergebnisse, selbst im Englisch-Unterricht
Yong Philomina Kain ist seit drei Jahren Lehrerin an der Grundschule in Mboh. Die Schule ist eine von 18 Pilotschulen in der Region, die an dem Muttersprachen-Projekt teilnehmen. Kain, die zuvor an einer Schule gearbeitet hatte, an der Englisch die Unterrichtssprache war, ist von dem Projekt überzeugt: Die Schüler könnten wesentlich besser lesen und schreiben, als an anderen Schulen.
"Selbst Englisch lernen sie schneller", so die Lehrerin. "An der Schule, an der ich zuvor war, mussten wir alles, was wir auf Englisch gesagt haben, für die Kinder auf Kom übersetzen, damit sie es überhaupt verstehen. Das nimmt viel Zeit in Anspruch." Das sei in Mboh anders: "Die Kinder kennen bereits das Kom-Alphabet. Wir müssen ihnen dann nur noch ein paar zusätzliche Buchstaben beibringen, damit sie auch auf Englisch lesen und schreiben können. Sie verstehen die neue Sprache dadurch sehr schnell."
'Englisch first' ab der vierten Klasse
In den Pilot-Schulen beginnt der Englisch-Unterricht in der zweiten Klasse. Die Unterrichtssprache bleibt aber Kom. Das vierte Jahr dient als Übergangsjahr: Von da an findet der Unterricht überwiegend auf Englisch statt. Denn die Abschlussarbeiten am Ende der sechsten Klasse werden zentral für alle Schulen der Region ausgegeben - auf Englisch.
"Wir haben die Muttersprachen-Schulen mit Schulen verglichen, die nicht Teil des Projekts sind, und einen gemeinsamen Test gemacht“, sagt Kain Godfrey Chuo. Er arbeitet für 'SIL International', eine christliche Organisation, die weltweit Sprachforschung betreibt. Ihr Ziel ist es, bislang nicht verschriftlichte Sprachen zu dokumentieren und dafür zu sorgen, dass die Menschen in ihrer eigenen Muttersprache lesen und schreiben lernen. "Die Schüler auf den Muttersprachen-Schulen haben doppelt so gut abgeschnitten wie die, die auf Englisch unterrichtet wurden."
Bereits 1976 hatten Sprachwissenschaftler ein Kom-Alphabet eingeführt. Neben ganz normalen lateinischen Buchstaben haben sie auch einige lautsprachliche Zeichen aus dem phonetischen Alphabet in die Sprache übernommen. Wenige Jahre später unterrichteten Lehrer das Kom-Alphabet an den ersten Grundschulen. Ab 1990 war Chuo einer von ihnen. Er half dabei, Unterrichtsmaterialien zu entwickeln. Inzwischen koordiniert er das Projekt und bildet Lehrer für den muttersprachlichen Unterricht weiter.
Kom bleibt die Ausnahme in Kamerun
Die UNESCO bestätigt in zahlreichen Studien, dass die Muttersprache der Schüssel zu erfolgreichem Lernen ist. Für ihr Ziel, Bildung für alle zu ermöglichen, spielen Muttersprachen eine zentrale Rolle. Universitäten, die Organisation SIL International und einige andere arbeiten auch in Kamerun daran, diesem Ziel näher zu kommen. Doch die Sprachen, die tatsächlich zur Unterrichtssprache aufgewertet wurden, lassen sich an zwei Händen abzählen.
Zwar unterstützt die Regierung die Arbeit der verschiedenen Institutionen, doch viel mehr als Lippenbekenntnisse gibt es von staatlicher Seite bislang nicht. In Kamerun gibt es mehr als 200 lokale Sprachen. Da scheint der Weg noch lang bis jedes Kind irgendwann in seiner eigenen Sprache lernen kann.
Die Recherche in Kamerun wurde durch ein Stipendium der Heinz-Kühn-Stiftung ermöglicht.