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Politik

"Russischsprachige keine Fremden mehr"

Zhanna Nemzowa
22. März 2017

Wladimir Kaminer wird in Deutschland mit vielen Fragen konfrontiert. Im Gespräch mit DW-Reporterin Zhanna Nemzowa spricht der Schriftsteller über Putins Propaganda und wie sich Russischsprachige in Deutschland fühlen.

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Schriftschteller Wladimir Kaminer im Interview mit Zhanna Nemtsova
Bild: DW

Deutsche Welle: Herr Kaminer, warum schreiben Sie ausschließlich in deutscher Sprache?

Wladimir Kaminer: Ich lebe schon lange in Deutschland, seit 27 Jahren. Das allgemeine Publikum hier versteht keine anderen Sprachen. Es wäre doch seltsam, wenn ich, der in Deutschland lebt, mit der deutschen Öffentlichkeit in einer ihr fremden Sprache kommunizieren würde.

Im Februar dieses Jahres ist Ihr neues Buch "Goodbye, Moskau" erschienen - zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution. Was ist die wichtigste Botschaft Ihres Buches?

Nach der Annexion der Krim wurden mir plötzlich viele Fragen gestellt. Ich wurde zu Interviews und Kongressen eingeladen. Ich begann Vorträge zu halten, zu Themen wie "Was geht in Putins Kopf vor sich?", "Was ist mit den Russen los?" oder "Was haben wir falsch gemacht?". Als wäre dieser ganze Berg von Fragen, der über Europa hereinbrach, an mich gerichtet. Als ich mich damit zu beschäftigen begann, merkte ich, dass sich hinter diesen angeblich politischen Ereignissen eine zutiefst menschliche Tragödie verbirgt. Es ist seltsam. Sehr viele Menschen hängen in der Luft, zwischen der Vergangenheit, mit der sie sich lange Zeit nicht befassen wollten, und der Zukunft, die für sie irgendwie schon stattgefunden hat. Das heißt, dass die Sowjetunion, die in Wirklichkeit natürlich gar nicht verschwunden war, streng genommen gerade diese Zukunft war. 70 Jahre lang haben die Menschen nur an einer Zukunft gebaut, sich nur mit der Zukunft beschäftigt. Dabei haben sie die Gegenwart vergessen und die Augen vor der eigenen Vergangenheit verschlossen. Jetzt in diesem "Jubiläumsjahr" höre ich ständig: Das ist unsere gemeinsame Vergangenheit. Aber es gibt keine gemeinsame Vergangenheit. Jeder hat seine eigene.

Man hört immer wieder, dass unter den russischsprachigen Menschen in Deutschland der russische Präsident Wladimir Putin und seine Politik sehr beliebt sind.

Diejenigen, die zu mir kommen, mögen Putin natürlich nicht.

Das ist klar, und diejenigen, die nicht zu Ihnen kommen?

Diejenigen, die Putin nicht mögen, sprechen nicht gerne darüber. Natürlich wirkt seine Propaganda auch hier in Deutschland, zumal sie genau auf die russischsprachige Bevölkerung abzielt. Im russischen sozialen Netzwerk Vkontakte und auf Webseiten für in Deutschland lebende russischsprachige Menschen, wo wie auf einem Flohmarkt viele schöne Dinge zum Verkauf, aber auch kostenlos angeboten werden, habe ich oft gesehen, wie alle 20 Minuten politische Nachrichten eingeblendet werden. Sie alle kommen aus ein und derselben Quelle.

Schriftschteller Wladimir Kaminer im Interview mit Zhanna Nemtsova
Schriftsteller Wladimir Kaminer im Interview mit Zhanna Nemzowa in BerlinBild: DW

Die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 war ein Wendepunkt. Die russischsprachigen Menschen begannen sich an der deutschen Politik zu beteiligen. Was beunruhigt sie?

Die Flüchtlinge aus Syrien sind an die Stelle der russischsprachigen Menschen getreten. Bisher waren die Russischsprachigen in Deutschland Ausländer und Flüchtlinge, wenn man so will - in jedem Fall Fremde und Neuankömmlinge. Doch nach der Welle der jetzigen Neuankömmlinge waren die Russischsprachigen auf einmal keine Fremden mehr. Sie sind jetzt keine Neuankömmlinge mehr, sondern Einheimische. Als solche verbreiten sie jetzt natürlich ihre eigenen Vorstellungen über das politische Leben, die Verantwortung der Bürger und darüber, was in Deutschland sein oder nicht sein soll. Genau das ist passiert. Aber ich bin überzeugt, dass es sich nicht um eine allergische Reaktion auf die Flüchtlinge handelt. Es ist einfach zu einer Verschiebung der Gesellschaftsschichten gekommen. Es ist Zeit vergangen und die russischsprachigen Menschen haben sich in Deutschland eingelebt.

Wenn Sie ein Buch in russischer Sprache schreiben würden, worüber wäre es?

Ich würde ein Buch über wundersame Dinge schreiben. Es gibt die verbreitete Meinung, dass alles, was in der Sowjetunion produziert wurde, in Wirklichkeit als militärisches Produkt hergestellt wurde. Diese Kühlschränke und diese Fernseher - das Land selbst gibt es nicht mehr und die Pläne der Konstrukteure sind verschwunden - aber die Geräte funktionieren noch immer. Doch niemand weiß warum. Wozu ein solcher Kühlschrank? War er als Atombunker konzipiert? Sollte er - vollgestopft mit irgendeinem roten Quecksilber oder Treibstoff wie man sagt - im Falle eines nuklearen Krieges zu einem bestimmten Zeitpunkt explodieren und die Häuser der Menschen mit den Lebensmittelvorräten wegreißen? Es wäre ein Buch über unbekannte Dinge.

Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren. Seit 1990 lebt er in Berlin. Er selbst schreibt über sich: Privat ein Russe beruflich ein deutscher Schriftsteller. Wladimir Kaminer ist die meiste Zeit unterwegs mit Lesungen und Vorträgen.

Das Gespräch führte Zhanna Nemzowa