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Kampf gegen den Zahn der Zeit

28. Dezember 2001

Brombeersaft und Blütenstaub als Farbe, Skulpturen aus Fett oder Schokolade: Zeitgenössische Künstler arbeiten oft mit ungewöhnlichen Materialien. Der Erhalt dieser Kunstwerke ist keine leichte Aufgabe.

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Herausforderung: Der Erhalt moderner KunstBild: AP

"Im Kampf gegen verschiedenartigste Verfallsstadien werden nebenbei auch Kenntnisse der Fernsehtechnik und Tierzucht verlangt", sagt Christine Frohnert, Restauratorin für zeitgenössische Kunst am Museum Ludwig in Köln.

Ein Beispiel: Die Schokoladen-Skulptur "Buddha learning English" des koreanischen Künstlers Ik-Joong Kang. Sie sollte eigentlich nur eine Ausstellung lang im Museum Ludwig stehen, erzählt Frohnert. Doch der lebensgroße Buddha gefiel der Museumsleitung so gut, dass sie die Plastik kaufte. Heute bröselt die Schokolade an vielen Stellen, weiße Zuckerränder treten hervor, der braune Glanz ist getrübt. So kann die Skulptur nicht mehr gezeigt werden.

Denkbar ist nach Ansicht der Expertin eine Restaurierung des inzwischen pulverigen Gefüges nicht. Möglicherweise werde das Museum den Künstler bitten, die Plastik neu anzufertigen und dabei eine spezielle Schocolatier-Technik zu benutzen, um die braune Masse haltbarer zu machen. Der Künstler Dieter Roth hat diese Methode bei seinen Beethoven-Schokoladenköpfen aus dem Jahr 1969 verwendet. Sie sind heute noch gut erhalten.

Wertverlust durch Verfall

Bei der Restaurierung müssen die Spezialisten vorsichtig zwischen Künstlern und Besitzern vermitteln. Für die einen ist die Vergänglichkeit Teil ihrer Kunst. Für die anderen geht es um Geld: Ein zerbröselter Haufen Schokolade ist selbst dann nichts mehr Wert, wenn Restauratoren Fotos vom Originalzustand geschossen oder eine Kopie der Plastik angefertigt haben. Auch die Museumsbesucher mischen in diesem Konflikt mit: "Die Menschen wollen natürlich Originale sehen", erklärt Frohnert.

Also klebten die Restauratoren Eierschalen, als Marcel Broodthaers Installation "Kleiner Wagen mit Eierschalen" umkippte. Und sie bekämpften Brotkäfer: Dem ausgeschütteten Mülleimer des Franzosen Arman - "Poubelles" - hatte es das Ungeziefer im Kölner Museum besonders angetan. "In letzter Instanz hilft bei organischen Materialien nur noch Sauerstoffentzug." Den Marzipankartoffel-Schaukasten von George Brecht, der momentan in ihrer Werkstatt liegt, will sie in eine Vitrine mit reinem Stickstoff sperren. Auch eine Gasmaske mit Brotteig von Daniel Spoerri soll diese teuere Spezialbehandlung bekommen. "100 Jahre hält das trotzdem nicht."

Installationen mit komplizierter Elektronik

Nam June Paik, Online Ausstellung
Bild: AP

Fast ebenso schwierig zu erhalten ist alt gewordene Elektronik. "Von den 195 Monitoren des "Brandenburger Tors", einer Installation des Video-Pioniers Nam June Paik ist ständig einer defekt", sagt Frohnert. "Leider sind es alles Spezialanfertigungen aus Korea, von denen wir keine Schaltpläne haben und die extrem schwierig zu reparieren sind."

Selbst etwas Banales wie kaputte Glühbirnen wurde für ihre Düsseldorfer Kollegen, die "das museum kunst palast" betreuen, zum handfesten Problem: Die Zukunft des "Lichtraumes" der Künstlergruppe Zero aus dem Jahr 1964 schien ungewiss, weil Günther Öecker, Otto Piene und Heinz Mack damals übliche aber heute nicht mehr käufliche Glühlampen verwendet hatten. "Das Besondere ist der große Glühdraht", sagt Gunnar Heydenreich vom Restaurierungszentrum Düsseldorf. "Dadurch entstehen spiralförmige Lichtprojektionen, die für das Kunst-Erlebnis wichtig sind." Er will eine Spezial-Firma mit dem Nachbau der Glühbirnen beauftragen.

Arbeitsalltag der Restauratoren

In der alltäglichen Arbeit der Restauratoren in Köln oder Düsseldorf ist die Wiederherstellung von Kunstwerken fast eine Nebentätigkeit. Prävention, Lagerung und Ausstellungsplanung verschlingen 90 Prozent der Arbeitszeit der Experten, die meist sieben bis zehn Jahre Ausbildung hinter sich haben.

"Ständig hat man mit den irrsten Dingen zu tun", erzählt Frohnert aus ihrem Berufsleben. Bei einer Ausstellung mit dem Künstler Huag Yong Ping musste sie sich um Schlangen und Schildkröten kümmern, die in einem Käfig friedlich miteinander lebten. Heute begutachtet sie täglich das "Silberfischchen-Haus" von Rosemarie Trockel und Carsten Höller. "Die Tierchen mögen das Licht und den Lärm nicht", klagt sie. "Deshalb verpassen wir ihnen jeden Montag eine Wellness-Kur: ein extra feuchter Schwamm und ein dunkles Tuch."