Kanada kifft ganz legal
17. Oktober 2018Von einem auf den anderen Tag entsteht in Kanada ein Milliardenmarkt. Kanadische Staatsbürger über 18 Jahren - in manchen Provinzen ab 19 - dürfen ab Mittwoch zum reinen Vergnügen kiffen. Sie können ihren Stoff entweder in autorisierten Geschäfte kaufen oder sich ihr Cannabis online bestellen. Besitzen dürfen sie rund 30 Gramm und zu Hause bis zu vier Cannabis-Pflanzen anbauen. Soweit die Vorgaben auf Bundesebene, die allerdings von den Provinzen unterschiedlich gehandhabt und eingeschränkt werden kann.
Mit der Legalisierung wird Kanada das erste Industrieland, das diesen Weg geht. Im Sommer hatten beide Kammern des kanadischen Parlaments nach zähen Verhandlungen dem Gesetz mit dem Namen Bill C-45 zugestimmt. "Wir werden ein System haben, das Cannabis von unseren Jugendlichen fernhält und dem organisierten Verbrechen den Profit nimmt", gab sich Kanadas Premier Justin Trudeau bei Verkündung des Freigabedatums siegessicher.
Der Preis entscheidet
Laut den kanadischen Behörden gaben Kanadier im vergangenen Jahr umgerechnet knapp vier Milliarden Euro für illegal erworbenes Marihuana aus. Mit der Legalisierung will Trudeau den illegalen Markt austrocknen. Das könne durchaus gelingen, sagt der Ökonom Justus Haucap von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission der deutschen Bundesregierung verweist auf den US-Bundesstaat Colorado, wo Cannabis schon seit dem Jahr 2014 für den Freizeitkonsum freigegeben ist.
"Es gelingt nicht, den Schwarzmarkt von einem auf den anderen Tag auszutrocknen. Das dauert eine Zeit", sagt Haucap, der momentan an einer Studie zu den möglichen Steuereinnahmen durch die Freigabe in Deutschland arbeitet. Haucap gilt als Legalisierungs-Befürworter. Es sei aber wichtig, die Freigabe mit Aufklärungskampagnen über die negativen Folgen des Konsums zu verbinden. Ob die Konsumenten schließlich ihrem Dealer den Rücken kehren, darüber entscheidet der Preis. "Es darf nicht zu teuer sein", sagt Haucap. Im US-Bundesstaat Colorado hätten die Konsumenten aber einen Preis von zehn bis 20 Prozent über dem Schwarzmarkt in Kauf genommen.
Die kanadische Regierung hat rund 120 Lizenzen zum Anbau von Cannabis an Unternehmen vergeben. Ein Gramm Cannabis soll in den autorisierten Geschäften nun für etwa zehn kanadische Dollar erhältlich sein - umgerechnet sind das rund sechseinhalb Euro. "Das legale Cannabis wird qualitätskontrolliert sein", so Haucap, das illegale sei hingegen häufig gestreckt und mit Pestiziden und anderen Zusätzen verunreinigt.
Flickenteppich in der Umsetzung
Zu billig dürfe das Cannabis allerdings nicht werden, denn die Regierung möchte niemanden zum Konsum motivieren. Über die Steuern kann sie Einfluss auf den Verkaufspreis nehmen. Aktuell plant die Regierung, pro verkauftes Gramm einen Dollar zu erheben. Hinzu kommt eine Umsatzsteuer, die in den Provinzen unterschiedlich hoch ist. Drei Viertel der Steuereinnahmen sollen in die Kassen der insgesamt zehn kanadischen Provinzen fließen, der Rest geht an die Zentralregierung. Wie viel der Staat insgesamt einnehmen wird, ist noch offen.
Die Struktur des Marktes ist allerdings ein politischer Kompromiss. Die Zentralregierung in der Hauptstadt Ottawa entscheidet über die Produktionslizenzen für Unternehmen, die im großen Stil anbauen und verkaufen. Auch für strafrechtliche Fragen ist sie zuständig. Die Provinzregierungen legen hingegen fest, in welcher Form Cannabis verkauft werden darf. Einige Provinzen werden den Verkauf nur in staatlichen Läden zulassen - in anderen erfolgt er nur über das Internet.
Engpässe oder Überschuss
Die Online-Plattform für Cannabis-Investoren "New Cannabis Ventures" rechnet zu Beginn der Freigabe mit einem Engpass. Die bisher lizenzierten Unternehmen könnten mit ihrer Produktion gerade einmal die steigende Nachfrage bedienen, das für medizinische Zwecke eingesetzt wird. Der Rest werde exportiert und stünde dem lokalen Markt nicht zu Verfügung, will die Plattform errechnet haben.
Andere Analysten sehen in der kanadischen Cannabisbranche langfristig aber eher eine Überproduktion. Tatsächlich überbieten sich die kanadischen Graskonzerne mit Ankündigungen über neue Produktionskapazitäten. Der kanadische Markt ist vor der Legalisierung in Aufruhr. Im Mai sorgte die Übernahme eines Konzerns für Schlagzeilen. Der Preis lag umgerechnet bei mehr als zwei Milliarden Euro - in der noch jungen Branche ein Rekord. Auch die Getränkeindustrie ist auf den Zug aufgesprungen und investiert in Cannabis-Unternehmen. Sie setzt darauf, schon bald Getränke auf Basis von Cannabis zu verkaufen. Die Legalisierung könnte im kommenden Jahr folgen.
Die zunehmende Freizügigkeit ruft auch viele Kritiker auf den Plan. Sie warnen vor einer Zunahme im Verkehrsunfällen, vor Psychosen bei Jugendlichen und einer generellen Verharmlosung. Auch deshalb wird auf Regierungskreisen über neue Bluttests diskutiert. So mancher staatlicher Arbeitgeber erließ bereits neue Vorgaben: Beim Militär darf acht Stunden vor einer Schicht nicht gekifft werden, bei der Polizei ist es gänzlich verboten und auch Fluggesellschaften haben neue Regularien herausgegeben.
Eine Wette auf die Zukunft
An den Börsen sind Cannabisanbauer die neuen Lieblinge der Investoren geworden - obwohl die aktuellen Kurse aus Expertensicht schon weit an der wirtschaftlichen Realität der Firmen vorbeigehen. In der Branche steckt viel Zukunftsmusik. Laut der Daten-Analysefirma "New Frontier" liegt der Pro-Kopf-Konsum von Cannabis in Kanada höher als in den USA. Bis 2025 könnte der Umsatz auf umgerechnet knapp sechs Milliarden Dollar jährlich ansteigen.
In den USA seien nach Berechnungen seit der Liberalisierung in einigen Bundesstaaten insgesamt knapp 300.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Ähnliches erhofft man sich auch in Kanada. Die Voraussetzungen sind dort sogar besser. Denn anders als US-Firmen dürfen kanadische Graskonzerne auch exportieren.
Neben Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen hat Kanadas Regierung wohl auch die weltweit wachsende Bedeutung von Cannabis im Auge. Von Portugal über Kolumbien bis nach Deutschland - immer mehr Länder geben den medizinischen Konsum von Cannabis frei. Weil der staatlich kontrollierte Anbau in Deutschland stockt, machen kanadische Importe neben niederländischem Gras den größten Teil der Bestände in deutschen Apotheken aus.
Vor allem bei der Technologie und dem Ausbau von Markenprodukten bescheinigt Justus Haucap den kanadischen Unternehmen deshalb einen "First-Mover"-Vorteil. Mit Blick auf die Zunahme von Cannabispatienten in Deutschland und Vorschlägen von Modellprojekten zur regulierten Abgabe in Deutschland solle man ganz genau auf den Prozess in Kanada schauen. "Davon wird man viel lernen können", so der Ökonom.
Aktualisierte Fassung eines Artikels vom 09.07.2018