Kann deutsche Literatur lustig sein?
1. März 2016Friedrich Nietzsche hätte es als Kabarettist wahrscheinlich nicht weit gebracht, aber dennoch war er fest von der Bedeutung des Humors überzeugt. Er meinte zu wissen, warum nur der Mensch unter allen Wesen die Fähigkeit zu lachen besitze: "Denn nur der Mensch leidet so sehr, dass er das Lachen erfinden musste."
Diese Feststellung scheint auch über ein Jahrhundert nach Nietzsches Tod nicht an Relevanz verloren zu haben - vor allem, wenn es um den berüchtigten deutschen Humor geht. Im Rahmen des "Festival Neue Literatur" wurde dem amerikanischen Publikum vom 25. bis 28. Februar deutsche Literatur vorgestellt. Das diesjährige Motto der Veranstaltung lautet "Seriously Funny" - übersetzt: ernsthaft witzig.
Bewusste Provokation
Laut Kurator Ross Benjamin soll der Titel provozieren. Schließlich sei der Ruf des deutschen Humors im Ausland ja bekannt. Die deutschen Schriftsteller Christopher Kloeble und Sibylle Berg unterhielten sich mit der Deutschen Welle am Rande des Festivals über den Stellenwert des Humors in ihren Werken. Inhaltlich unterscheiden sich die beiden enorm voneinander.
Während Kloeble sich nur hin und wieder des Humors bedient, um komplexe Themen anzusprechen, wirft Berg geradezu mit Witz und Komik um sich. Was beide gemeinsam haben, sind die Schwierigkeiten, denen sie als deutschsprachige Autoren in anderen Sprachkreisen begegnen. "Deutschland hat zwar das zweitgrößte Verlagswesen der Welt, aber dennoch werden jährlich weniger als ein Prozent aller neuen Bücher aus Deutschland auch auf Englisch übersetzt", klagt Kloeble. Er meint, Leute im Ausland hätten oft den Eindruck, deutsche Literatur sei "sehr kopflastig" und "nicht unbedingt besonders unterhaltsam zu lesen". Sibylle Berg bringt es noch konkreter auf den Punkt: "Deutsche Autoren haben den Ruf, langweilig zu sein."
Humor zu Kriegszeiten
An der East Carolina University befasst sich die Literaturwissenschaftlerin Jill Twark intensiv mit dem Stellenwert des Humors im deutschen Sprachgebrauch. Die Expertin meint, dass die negativen Vorurteile über die deutsche Literatur auf mehrere Umstände zurückzuführen seien. Zum Beispiel gäbe es da die großen, schweren Wälzer von der Sturm-und-Drang-Zeit bis zu den deutschen Nobelpreisträgern des 20. Jahrhunderts, die sich mit ihren konfliktreichen Handlungen zwar schon längst als übersetzte Meisterwerke der Literatur etabliert, aber auch bleibende Eindrücke hinsichtlich der deutschen Psyche hinterlassen hätten.
Ob nun Goethes "Faust" oder Remarques "Im Westen Nichts Neues" - immer wieder taucht die existenzielle Angst als Leitmotiv in der Literatur auf. Mit solch schwerer Kost konnte die leichtfüßige Unterhaltung nicht mithalten und blieb lange Zeit unübersetzt. Stattdessen las man im Ausland die Werke, die altbekannte Vorurteile bestätigten.
Schwarzer Humor - nicht nur für Briten
Dabei ist es gerade die "dunkle Seite" der deutschen Seele, die sich gekonnt des Humors bedient - sogar während des Zweiten Weltkriegs. Laut Twark kommt gerade zu Zeiten des Leids der deutsche Witz zu Vorschein, um "gedanklich vergangene und auch aktuelle Ungerechtigkeiten" neu zu beleuchten: Satiren wie Heinrich Bölls "Wo warst du, Adam?" über einen deutschen Soldaten im Krieg oder Marta Hillers' "Eine Frau in Berlin", in der die Schriftstellerin sich mit Hilfe von Hohn und Spott mit ihrer wiederholten Vergewaltigung durch russische Soldaten in der Nachkriegszeit auseinandersetzt.
Seit der Wiedervereinigung ist es sogar salonfähig geworden, sich wie in Timur Vermes' "Er ist wieder da" über die Nazis und andere Schattenseiten der deutschen Geschichte lustig zu machen. Aber selbst in der Selbstironie suchen deutsche Autoren die Auseinandersetzung mit schwierigen Thematiken zu Zeiten, die immer noch von Ungewissheit und Ungerechtigkeit gezeichnet sind.
"Hoffnung ist doch was für Feige" und andere Aphorismen
Sibylle Berg sitzt in ihrem Zimmer im Hotel Ritz-Carlton am Central Park in New York und schaut aus dem Fenster. "Dort unten im Central Park steht ein hübsches Pferd. Darüber könnte man schreiben", sagt sie und lässt ihren Blick schweifen. "Und dahinter ist eine kleine Gasse mit ein paar Obdachlosen. Darüber könnte man auch schreiben. Mich zumindest interessiert es viel mehr, wie Menschen in New York überleben, wenn sie nicht gerade im Ritz beheimatet sind." Berg kommt aus einer jüdischen Familie in Ostdeutschland und floh mit 17 Jahren in den Westen. Sie betrachtet das Leben als hart und ungerecht, aber durchaus auch als absurd und paradox. Anstatt Exegesen darüber zu verfassen, wie hoffnungslos die menschliche Existenz sei, nimmt sie das Leben schulterzuckend so, wie es ist.
"Hoffnung ist doch was für Feige", behauptet Berg, gesellt sich daraufhin zu ihrem Mann ins Hotelbett und beteuert: "Wenn sie mich fragen, also ich glaube nicht einmal an die wahre Liebe." Zumindest glaubt sie aber offensichtlich an Humor. "Humor, das ist eine Lebensweise. Eine reine Einstellungssache." Und mit dieser Einstellung schreibt sie dann auch. Denn "nichts ist eigentlich lustiger als ein ernsthafter Schriftsteller". Dabei geht es ihr keineswegs um Gleichgültigkeit, sondern eher darum, ihren Lesern mitzuteilen, wie lächerlich das Leben von Grund auf ist. Dabei ist sie sich der Grenzen des Humors bewusst: "Einen Neo-Nazi werde ich mit einem Witz kaum umpolen. Genauso wenig einen Schwulenhasser. Die hören so oder so nicht auf mich."
Humor als Weltverbesserer
Christopher Kloeble hingegen glaubt, dass man durch Komik und Witz Grenzen sprengen kann. Für ihn ist Humor sowohl Waffe als auch Bewältigungsstrategie. In seinen Büchern versucht er, durch einen humorvollen Umgang mit bestimmten Themen vor allem Mitgefühl und Verständnis hervorzurufen. "Man kann sich durch Humor durchaus gegen seine Feinde wehren", erklärt Kloeble. "Oder man kann damit die eigene oder kollektive Vergangenheit aufarbeiten".
Jill Twark sieht es ähnlich: "Humor wirkt vor allem, wenn er etwas beim Menschen auslöst, zum Beispiel mit Vorurteilen aufräumt. Damit bestätigt sich nämlich auch die Fähigkeit des Humors, wirklich in der Welt etwas ändern zu können." Der Ruf des deutschen Humors ändere sich auch allmählich, meint Twark, da durch die wachsende kulturelle Vielfalt im Land eine "zunehmend multikulturelle Gruppe an Humoristen" mit alteingesessenen Vorurteilen aufräume und diese Vielfalt auch nach außen vertrete.
'In den USA bin ich nobody'
Sibylle Bergs Bücher stehen in Deutschland auf den Bestsellerlisten. Sie schreibt Kolumnen für den "Spiegel" und wirkt seit Kurzem bei der Talkshow "Schulz & Böhmermann" mit. In Deutschland feiert sie Erfolge auf der ganzen Linie, "doch hier in den USA bin ich nobody." Dennoch denkt sie häufig darüber nach, wie es wäre, auch in Amerika erfolgreich zu sein. "Ich wäre schon gern berühmt. So ein Winterhaus in L.A. wäre nicht übel. Aber man muss es verdammt hart wollen. Ich weiß nicht, ob ich dazu bereit bin, so sehr dafür zu kämpfen."
Kloeble ist zurzeit auf Promotionstour. Er zählt zu den wenigen deutschen Schriftstellern, die überhaupt in Englische übersetzt werden. Wenn er nicht gerade durch die USA tourt, lebt er in Berlin oder in seiner Wahlheimat Neu-Delhi. "Jetzt kann ich zumindest meinen indischen Freunden beweisen, dass ich auch wirklich Schriftsteller bin", sagt er begeistert. In seinem ersten ins Englische übersetzten Roman "Meistens alles sehr schnell" (auf Englisch: "Almost Everything Very Fast") geht es um Themen wie Inzest, Tod und Geisteserkrankung. "Allerdings stellt sich da noch die Frage, ob sie nach dem Lesen des Buchs auch nach wie vor meine Freunde sind."