Müllmode vs. Modemüll
13. Juni 2018Wenn Fischernetze, Plastikflaschen oder Autoreifen ausgedient haben, dann landen sie in der Regel auf Müllhalden oder, oft genug, in unseren Meeren. Man kann aber auch Jacken, Turnschuhe und Flip-Flops in allen Regenbogenfarben aus diesen Abfallprodukten herstellen. Diese Aufgabe hat sich das Öko-Label Ecoalf gestellt.
"Plastikmüll ist gerade ein riesiges Thema, auch in unserer Branche", sagt Carolina Álvarez-Ossorio. Die Sprecherin der spanischen Modemarke Ecoalf hat auf einem Sofa im neuen Ladengeschäft des Unternehmens in Berlin Platz genommen. Das Sitzmöbel besteht ebenfalls aus Plastikflaschen.
Mit ihr sitzen hier Teilnehmer einer Öko-Tour durch die deutsche Hauptstadt. Sie erfahren etwas über die Geschichte des Unternehmens und dessen Umweltschutz-Philosophie. Um sie herum hängen minimalistische T-Shirts und gefütterte Jacken, die an Schienen aufgereiht sind. Auch sie sind allesamt aus Plastikflaschen hergestellt.
Der Rohstoff für die Kleidung stammt von 3000 Fischern, die entlang der spanischen Mittelmeerküste arbeiten. Anstatt wie früher die Kunststoffe wieder ins Meer zu werfen, übergeben sie ihren künstlichen Beifang heute an Ecoalf. Die Ausbeute ist groß genug, um damit "Meeresgarn" herzustellen.
Deutschlands falsche Liebe zum Recycling
"Die Herausforderung ist nicht, Müll zu finden, der ist überall, sondern die Technologie zu haben, um ihn zu transformieren", sagt Álvarez-Ossorio. Die Fischer machen sogar freiwillig bei dem Projekt mit, weil sie selbst durch die Verschmutzung "beunruhigt und besorgt" seien.
Ursprünglich gründete Javier Goyeneche im Jahr 2009 das Unternehmen, weil er überrascht war, wie wenig recycelte Kleidung es auf dem Markt gab. Zur Zeit werden weniger als ein Prozent Kleidungsfasern in neue Stoffe und Kleidung verwandelt. Die "recycelten" Stoffe, die Goyeneche auf dem Markt fand, enthielten oft nur 5 Prozent wiederverwendete Materialien.
Mehr Plastik als Fisch
Und Ecoalf ist nicht allein. Angesichts von Prognosen, dass die Weltmeere bereits 2050 mehr Plastik enthalten würden als Fische, oder Schreckensbilder von Walen, die an Plastiktüten verendeten, die sie gefressen haben, verlegen sich immer mehr Firmen auf die Verwendung von Abfall für ihre Kollektionen.
Das Designer-Duo Vin and Omi beispielsweise produziert verschrobene, futuristische Mode. Aber auch etablierte Unternehmen werden aktiv. Die Outdoor-Firma The North Face etwa hat eine Kollektion von Taschen und T-Shirts aus Plastikflaschen im Angebot. Das Material hierfür stammt aus drei amerikanischen Nationalparks. Patagonia, ebenfalls ein Outdoor-Bekleidungsunternehmen, macht bereits seit 1993 aus Plastikmüll Fleece.
Das Verwenden von Plastikflaschen hat den offensichtlichen Vorteil, dass es den Müllberg auf unserem Planeten ein wenig reduziert. Einen ökologischen Fußabdruck haben solche Produkte natürlich trotzdem. Er fällt nur etwas kleiner aus als in der konventionellen Modeindustrie.
Laut Vin and Omi braucht die Herstellung von recycelten Stoffen aus Altplastik 50 Prozent weniger Energie als die Herstellung kunststoffbasierter Textilien aus nicht-recycelten Materialien. Außerdem fiele ein Drittel weniger CO2 an.
Große Marken wollen den Trend auch nicht verschlafen
Große Modefirmen wie Zara und Primark, aber auch die Schuhhersteller Nike und Adidas springen auf den Öko-Mode-Trend auf. Sie stellen Nachhaltigkeitsexperten ein und bemühen sich darum, dass ihre Recyclingkonzepte in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden.
H&M beispielsweise plant, auf Kreislaufwirtschaft umzustellen. Das hieße, dass das Unternehmen seine Kleider recyceln würde. Allerdings, so Anna Gedda, die Leiterin für den Bereich Nachhaltigkeit bei dem schwedischen Modegiganten, sei der Erfolg dieser Strategie davon abhängig, wie sich neue Technologien entwickelten.
"Zwei unserer größten Herausforderungen sind, Innovationen zu finden, um die technologischen Lücken zu füllen, die wir entlang unserer Lieferkette haben, und diese neuen Innovationen schnell genug auf den Markt zu bringen", wird Gedda auf der Homepage des Unternehmens zitiert.
Laut Lucy Norris, einer Gastprofessorin für Designforschung und Materialkultur in Berlin, arbeiteten große Unternehmen an Infrarot-Sortiersystemen für Second-Hand Kleidung. Diese würden verschiedene Materialien erkennen und für das Recycling trennen. Außerdem seien chemische Verarbeitungstechnologien in Arbeit, um gemischte Fasern aufzulösen und so beispielsweise Polyester oder Baumwolle voneinander zu trennen.
"Aber diese neuen Technologien sind noch in der Prototypphase", so Norris. Sie schätzt, dass es noch 20 Jahre dauern könnte, bis die Recycling-Technologien soweit sind, Textilien tatsächlich vor den Müllhalden zu retten.
Der große Fußabdruck der Fast Fashion
Doch Greenpeace zweifelt an den Prioritäten der Branche. In ihrem 2017 veröffentlichten Fashion at the Crossroads-Bericht geht die Organisation davon aus, dass die Umweltprobleme solange bleiben werden, wie es eine Nachfrage nach billiger Wegwerfkleidung gibt.
Die Bekleidungsindustrie hat inzwischen einen Marktwert von insgesamt 1,1 Billionen Euro. Die Zahl der produzierten Kleidungsstücke hat sich zwischen den Jahren 2000 und 2015 verdoppelt. Dieser Hunger der Konsumenten auf Wegwerfmode und immer schneller aufeinander folgende Kollektionen belastet die Umwelt massiv, unter anderem durch die Verschmutzung der Meere und Flüsse durch Dünger und Chemikalien.
5 Materialien, von denen Sie wahrscheinlich nicht gedacht hätten, dass daraus Mode gemacht wird
Einem Bericht der Ellen MacArthur Stiftung vom vergangenen November zufolge verbrauchte die Industrie 2015 98 Millionen Tonnen Erdöl und andere nicht-erneuerbare Ressourcen, um Synthetikfasern zu produzieren. Die Treibhausgasemissionen der Branche lagen bei 1,2 Milliarden Tonnen pro Jahr. Das ist ein Wert, der höher liegt als der des internationalen Flugverkehrs und der Schifffahrt zusammengenommen.
In seinem Bericht beschreibt Greenpeace, dass die Industrie als Hauptlösung "kurzfristige Abfallmanagementansätze" anschieben will, darunter fällt etwa das Recyceln problematischer Plastikabfälle aus anderen Industrien. Tatsächlich, sagt Greenpeace weiter, müsse aber der Konsum gebremst werden, damit sich am Müllproblem tatsächlich etwas ändert.
Nur so würde sich die Menge nicht-erneuerbarer Ressourcen reduzieren, die jedes Jahr zur Produktion neuer Textilien verwendet werden.
Die Design-Professorin Norris sieht das ähnlich.
"Der Knackpunkt ist, dass nicht die Probleme der Überproduktion und des Überkonsums angegangen werden", sagt die Textilexpertin. "Das ganze Modell von Fast Fashion und der schnelle Wechsel von billiger Kleidung muss sich ändern. Es lässt sich einfach nicht aufrecht erhalten."
Wegschmeißen war gestern. Heute wird recycelt: