Kapert die AfD das Hambacher Fest?
4. Mai 2018Deutsche Fahnen wurden geschwenkt, erstmals, in Schwarz-Rot-Gold. Publizisten und Schriftsteller hielten feurige Reden: Ihre Forderungen, vorgetragen vor rund 20.000 Teilnehmern, heute würde man sagen, Demonstranten: Ein Europa der freien Völker, der Meinungs- und Pressefreiheit, internationale Freundschaft zwischen den Nationen Europas.
Der Ort: Das Hambacher Schloss im heutigen Rheinland-Pfalz - damals eine Ruine -, rund 80 Kilometer südlich von Frankfurt am Main. Der Zeitpunkt: Vom 27. Mai bis zum 1. Juni des Jahres 1832, also vor ziemlich genau 186 Jahren.
Das Fest gilt bis heute als stärkster Ausdruck des Aufbegehrens von liberal gesinnten Europäern gegen die Fürstenherrschaft. Polen waren unter den Teilnehmern, Belgier, Franzosen, Deutsche aus allen Landesteilen. Ihre mutigen Proteste blieben in einer Zeit der Restauration letztlich wirkungslos. Auf dem Wiener Kongress hatten die Fürsten 1814 und 1815 Europa in ihrem Sinne unter sich aufgeteilt. Erst nach zwei furchtbaren Weltkriegen rund einhundert Jahre später gelingt in Mitteleuropa so etwa wie ein freier Staatenbund von Demokratien: Die Europäische Union.
Max Otte: "Bürger werden im heutigen Europa vergessen"
Heute, im Jahr 2018, will der Wirtschaftsprofessor Max Otte an die Tradition des Hambacher Festes anknüpfen und lädt am 5. Mai zum "Neuen Hambacher Fest". Er sieht Europa von Pressezensur und Willkürherrschaft bedroht wie die bürgerlichen Demonstranten vor bald 200 Jahren. Otte ist Mitglied in Kanzlerin Angela Merkels CDU, hat aber zuletzt die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" (AfD) gewählt, wie er selbst sagt.
Eingeladen hat er unter anderen den Vorsitzenden der AfD, Jörg Meuthen. Und Thilo Sarrazin, den früheren SPD-Senator in Berlin, der vor Jahren mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" Schlagzeilen machte, einem Buch, das sich extrem kritisch mit dem Zuzug von Migranten nach Deutschland beschäftigte. Rund 1200 Teilnehmer erwarten die Organisatoren an diesem Samstag. Otte sieht Parallelen zur Situation von 1832 und der heutigen, wie er in einem Interview sagte: "Wir haben ein politisches System, in dem von unseren Steuergeldern bezahlte Funktionäre die Dinge oft unter sich ausmachen und uns Bürger gern vergessen, so wie früher im Ostblock. Banken, Konzerne, Lobbys und die Europäische Union haben zu viel Macht."
Kaum vergleichbar: Europa heute und damals
Ein gewagter Vergleich: Im Europa des Jahres 1832 herrschte ein Geist der Restauration. Die Französische Revolution von 1789 als große Erhebung des Bürgertums gegen die Verhältnisse, gegen die uneingeschränkte Herrschaft von Fürsten und Königen, war Geschichte. Napoleon war geschlagen, Europa seit dem Wiener Kongress neu im Sinne der herrschenden Adelsgeschlechter geordnet. Aber das Bürgertum war trotzdem wach geworden, genoss neue Perspektiven wie die Bildung auch ärmerer Schichten an Universitäten. Es wollte sich mit den Verhältnissen nicht mehr abfinden.
Deshalb glaubt etwa heute der Kulturminister von Rheinland-Pfalz, Konrad Wolf von der SPD, die Veranstalter des neuen Festes versuchten, das historische Hambacher Fest zu vereinnahmen und die Geschichte umzuschreiben.
Fast entschuldigend erläutert die Schloss-Managerin Ulrike Dittrich die rechtliche Lage: "Als öffentliche Stiftung sind wir zur Gleichbehandlung verpflichtet, der kommen wir nach." Ein Stück Demokratie eben. Managerin Dittrich erinnert aber doch noch einmal daran, für was das historische Hambacher Fest eigentlich steht, nämlich für den Auftakt der vielen demokratischen Ansätze im Deutschland in den Jahrzehnten danach, die letztlich nach vielen Niederlagen zur Demokratie führten: "Die Traditionslinie zur Frankfurter Nationalversammlung, der Weimarer Republik und dann zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist stark."
Gegendemonstranten wollen am Vortag der Veranstaltung darauf hinweisen, wofür ihrer Meinung nach die AfD und ihre Sympathisanten stehen: Für ein Europa neuer Grenzen und des Nationalismus, sowie für die Ablehnung des Flüchtlingszuzugs nach Europa. Solche Forderungen hätten mit dem Geist des Hambacher Festes wenig zu tun.