Kapitulation ≠ Niederlage
3. Dezember 2014Auf einer Polizeiwache in Hongkong sollen sich am Mittwoch (03.12.2014) Medienberichten zufolge die Protestführer gestellt und selbst angezeigt haben. Es heißt weiter, dass sie sich des Sozialfriedensbruchs und der Einberufung illegaler Versammlung schuldig bekannt und Selbstanzeigen unterschrieben hätten. Ferner sollen sie alle regierungskritischen Demonstranten zum Rückzug aufgefordert haben. Neben Benny Tai, Chan Kin Man und Chu Yiu Ming war auch der in Hongkong hoch angesehene emeritierte katholische Kardinal Joseph Zen als Zeuge anwesend. Eine Stunde später hätte das Trio nach Augenzeugenberichten die Wache wieder verlassen dürfen.
Unter Tränen erklärte der baptische Pastor Chu, er könne nicht mehr weiter zusehen, dass die Polizei mit Gewalt gegen die unbewaffneten Studenten vorgehe. Der Deutschen Welle sagt Chu: "Mein Herz blutet, dass ich als 70-Jähriger noch zusehen musste, wie die jungen Studenten sowie die Bürgerinnen und Bürger leiden. Um sie zu schützen, wollen wir der Bewegung ein Ende setzen." Das sei die Pflicht eines würdigen Greises, so Chu weiter.
Forderung nach fairen direkten Wahlen
Die sogenannte Occupy-Central-Bewegung wurde 2013 gegründet. Central ist der Ortsname der Stadtmitte auf der Hongkong-Insel und Sitz des Regierungschefs. Die Unterstützer fordern bis heute politische Reformen in der chinesischen Sonderverwaltungszone, insbesondere direkte Wahlen des Stadtparlaments und des obersten Verwaltungschefs.
Bisher dürfen nur 35 von 70 Sitzen im Parlament direkt gewählt werden. Der Rest wird von ausgewählten gesellschaftlich relevanten Gruppen indirekt benannt. Bisher wurde auch der Regierungschef von einer Findungskommission berufen, die mit Zustimmung der chinesischen Zentralregierung in Peking aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Vertretern Hongkongs besteht.
Das Hongkonger Grundgesetz sieht zwar direkte Wahlen vor, allerdings ohne einen konkreten Zeitpunkt zu nennen. Die prodemokratische Unterstützer fordern schon seit 2003 direkte Wahlen von Parlament und Regierungschef.
"Peking hat das Sagen"
Ende August verabschiedete der Volkskongress, das chinesische Parlament, ein Gesetz über das Wahlverfahren des Hongkonger Regierungschefs für 2017. Zwar soll eine direkte Wahl stattfinden, aber Peking behält sich das Recht vor, die Kandidaten vorab auszuwählen - um damit politisch unliebsame Überraschungen faktisch auszuschließen. Diese Entscheidung löste später die wochenlangen Straßenproteste aus.
Der Soziologieprofessor Chan, Mitgründer von Occupy Central, sagte der Deutschen Welle, dass ihm vom Anfang an klar sei, wie steinig der Weg zu direkten Wahlen sein würde. "Glauben Sie, wir seien naiv? Ja, in gewissem Sinne sind wir naiv und gutgläubig gegenüber dem Grundgesetz", sagt der 55-Jähirge. "Der Weg zur Demokratie kann lang und schwierig sein." Chan glaubt nicht, dass die Bewegung versagt habe. Viel mehr habe die Verwaltung in Hongkong versagt.
Unterschiedliche Reaktionen
Große Hoffnungen setzt Chan in die jungen Menschen. Diese sollen nach seiner Überzeugung die Demokratiebewegung mit legalen Mitteln weiterführen. Eines der bekanntesten Gesichter der jungen Studenten, Joshua Wong, der erst im Oktober volljährig geworden ist, zeigt Verständnis für die Haltung Chans. Die Studentenverbände würden den Ruf nach einem Ende der Proteste diskutieren. Er selbst ist seit Montag (01.12.2014) mit zwei weiteren Studenten in den unbefristeten Hungerstreik eingetreten, um ein Gespräch mit der Regierung zu erzwingen.
Dennoch stieß die "Kapitulation" bei einigen Mitstreitern auf Empörung. "Sie haben uns aufgegeben", sagte eine enttäuschte Demonstrantin namens Wong der Agentur AFP. "Das ist ein Verrat an allem, wofür wir uns die ganze Zeit eingesetzt haben", schimpfte ein anderer Protestteilnehmer namens Raymond Tsang. "Wir sollten das Ende der Kampagne nicht in Betracht ziehen, bis es ein echtes Ergebnis gibt."
Als erste Reaktion auf die Selbstanzeige betonte der Hongkonger Justizchef Riemsky Yuen, dass die wochenlangen Straßenblockaden illegal seien und den Tatbestand des Sozialfriedensbruchs erfüllten. Er verspricht jedoch ein faires und transparentes Strafverfahren gegenüber den Tatverdächtigen.