"Leider eine glänzende Zukunft"
18. Oktober 2017In der Türkei waren die Humoristen in jeder Epoche eingefleischte Oppositionelle. Allerdings haben ihre Probleme in letzter Zeit zugenommen. Zum einen ist das politische Klima sehr angespannt, zum anderen greift die regierende AKP noch härter durch, seit sie kurz nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 den Ausnahmezustand ausgerufen hat.
Regierungskritische Karikaturisten und Satiremagazine wurden mehrfach angeklagt und stehen vor Gericht. In dem Prozess gegen 19 Mitarbeiter der Tageszeitung "Cumhuriyet" wurde der berühmte Karikaturist Musa Kart auch als angeblicher Terrorunterstützer angeklagt. Nach neun Monaten Untersuchungshaft wurde er Ende Juli entlassen. Der Prozess gegen ihn geht aber weiter. Im Falle einer Verurteilung drohen Kart bis zu 29 Jahre Gefängnis.
Ähnlich wie bei Kart wurde gegen den renommierten Karikaturisten Sefer Selvi mehrfach ermittelt, mehrfach stand er vor Gericht. Fast täglich zeichnet er für die Titelseite der regierungskritischen Zeitung "Evrensel". Auch in der wöchentlichen Satirezeitschrift "Leman" kann man seine Arbeit finden. Die Türkei mit ihrer fast durchgehend angespannten politischen Atmosphäre sei für Humoristen ein sehr fruchtbarer Ort, so Sefer Selvi.
"Dennoch bedeutet das Zeichnen von Karikaturen in der Türkei auch vieles zu riskieren", sagt Selvi: "In den letzten Jahren erleben wir Sachen, die wir nicht mal nach dem Militärputsch 1980 erlebt haben. Denn alles, was der "Alleinherrscher" sagt, wird als richtig akzeptiert."
"Über unsere Karikaturen lachen manchmal sogar die Staatsanwälte"
Mit "Alleinherrscher" ist hier natürlich der AKP-Vorsitzende und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan gemeint. Er verklagt viele Karikaturisten wegen angeblicher Präsidenten-Beleidigung auf Schadenersatz. Aber die größte Sorge der Karikaturisten sind Strafverfahren. Selvi: "Wir wissen, dass unsere Arbeit kein Grund ist für eine Haftstrafe. Das ist eine sehr absurde Situation. Über unsere Karikaturen lachen manchmal sogar die Staatsanwälte. Denn sie beinhalten weder Beleidigungen noch Schimpfwörter. Wir machen Witze, wir machen Kunst. Wir analysieren einfach das tägliche Geschehen."
Der erfahrene freie Zeichner Tan Cemal Genç sieht die Türkei "in einer neuen Epoche": "Bis vor 4-5 Jahren wurden viele Gesetze dem EU-Recht angepasst. Nach den Gezi-Protesten 2013 gab es einen rasanten Rückschritt und ein autoritärer Prozess hat begonnen. Dieser Prozess beschleunigte sich in der Zeit nach dem Putschversuch 2016 immens. Nach dem Verfassungsreferendum am 16. April gab es Strafanzeigen gegen drei Titelseiten einer Satirezeitschrift, obwohl sie ein bis zwei Jahre alt waren. Das ist nur zur Abschreckung und Einschüchterung gedacht."
"Die Regierungen wollen sie verstummt wissen"
Gülay Batur zeichnet für "Leman" und "Bayan Yani", eine monatliche Satirezeitschrift mit mehrheitlich Karikaturistinnen und Autorinnen. Wie können die Humoristen in Zeiten der Repression ihren Beruf ausüben? "In der Türkei kann man schon länger nicht mehr etwas mit gutem Gewissen und entspannt ausüben" sagt Batur: "Die Schwierigkeiten haben natürlich nur diejenigen, die kritisieren und sich beschweren. Denn die Regierungen stufen sie als Oppositionelle ein, die ihre Existenz gefährden. In diesem Sinne sind Karikatur und Humoristen, die sich gegen alles Lebensfeindliche stellen, natürliche Oppositionelle der intoleranten Regierungen. Daher wollen die Regierungen sie verstummt wissen."
Dennoch gibt es Hoffnung
Aber die Kraft des Humors gibt allen drei erfahrenen Zeichnern Hoffnung. Zusätzlich zu dem politischen Druck sieht sich Sefer Selvi immer wieder im Visier von Rufmordkampagnen, sowohl der regierungsnahen Medien als auch in sozialen Medien. Aber der Kampf geht für ihn weiter.
Tan Cemal Genç betont, dass die Satirezeitschriften trotz Repressionen ihre oppositionelle Haltung bewahren können. Aber einen gewissen Pessimismus hat er doch: "Durch ihre Unabhängigkeit besitzen die Satirezeitschriften Stärke. Daher rührt man sie nicht so sehr an. Aber das kann sich ändern."
Gülay Batur ist der festen Überzeugung, dass die politischen Repressionen nicht ausreichen würden, "einen Karikaturisten davon abzuhalten, seine Kunst auszuüben". Für die Kunst der Karikatur und für den Humor prophezeie sie in der Türkei "leider eine recht glänzende Zukunft": "Da Karikatur alles thematisiert, was nicht in Ordnung ist, werden wir wohl noch sehr viel schreiben und zeichnen. Aber der Staat beabsichtigt anscheinend, unser Einkommen durch unsere Kunst zu drosseln."
Was würde passieren, wenn dieses angespannte politische Klima sich eines Tages beruhigen würde? Würden die Karikaturisten weniger Material finden, es schwerer haben? "Nein" sagt Selvi, "Dann machen wir Witze über Blumen und Insekten. Wir hätten es dann gemütlich und wären produktiver."