Karl der Große: Orte der Macht
19. Juni 2014Vor 1200 Jahren, am 28. Januar 814, ist Karl der Große in Aachen gestorben. Der König der Franken aus der Dynastie der Karolinger, der erste Kaiser nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches, manche sagen gar: der erste Europäer. "Doch was habe ich damit zu tun? Warum schaue ich mir heute eine Ausstellung über einen Monarchen in völlig undemokratischen Strukturen an, der mit Kriegen groß geworden ist?"
Das fragt kein gelangweilter Passant, sondern Frank Pohle, Professor für Geschichte und Kurator der Ausstellung "Orte der Macht". Er findet, historische Ausstellungen, die nichts mit der eigenen Gegenwart zu tun haben, gingen am Ziel vorbei. Deshalb hat er am Ende der Ausstellung ein interaktives Spiel platzieren lassen. Besucher können dort raten und voten: Brauchen wir auch heute noch solche Orte der Macht? Ist Macht heute überhaupt noch zu verorten? Oder hat sie sich längst verschoben in Richtung digitaler Medien, Google und Facebook? So lauten die Fragen heute. Vor 1200 Jahren hieß es hingegen: Wer hat die Macht? Wie sieht sie konkret aus? Denn als Karl seine Herrschaft antritt, muss er seinen Machtanspruch erst einmal durchsetzen.
Eine Blaupause für die Pfalzen
Karl setzt Zeichen, Ausrufezeichen sozusagen, denn er schafft Orte der Macht. Aachen ist der bedeutendste unter ihnen. Ein Netzwerk von Pfalzen, königlichen Landgütern, überzieht das Land. Doch die sind oft nicht viel mehr als ein steinernes Haus mit ein paar Bauernhäusern drumherum und einer Kirche mittendrin. Seine vielen Reisen - Karl kommt auf mehrere Erdumrundungen - bringen ihn an die Höfe anderer Herrscher. "Er lernt die Paläste der langobardischen Könige in Italien kennen. Er ist beim Papst im Lateran zu Besuch, er kennt den Theoderichspalast in Ravenna", schildert Frank Pohle. Karl lernt eine ganz andere Form von Repräsentation kennen, als er das von seinen bäuerlichen Pfalzen gewohnt ist. Gesandte berichten von der Residenz des byzantinischen Kaisers, von den Palästen der Kalifen.
Der Monarch realisiert, wie wichtig Orte der Macht sind. Er entwickelt ein architektonisches Programm: "Um auf Augenhöhe zu sein, brauche ich erstens Steinarchitektur - und zwar in antiker Proportionierung - , zweitens Säulen und schönen Kapitellen, drittens Marmor auf dem Boden, viertens Mosaike an der Wand. Und wenn es dann auch noch etwas Schönes für die Schlosskapelle gibt, dann ist das eine feine Sache."
Die Krönung seiner Herrschaft ist die Salbung zum Kaiser durch den Papst am Weihnachtstag des Jahres 800. Karl regiert im Bewusstsein, seine Macht sei göttlicher Natur, legitimiert durch das Kirchenoberhaupt und übertragen durch die Geburt, erläutert Frank Pohle. "Und im Zweifel durchgesetzt mit dem Schwert. Karl wird auch nachgesagt, er sei Auftraggeber mehrerer politischer Morde." Das ließe sich nicht bestreiten, doch das sei für die damalige, ruppige Zeit nicht unüblich gewesen, meint Pohle ein wenig lakonisch.
Karls Verständnis von Macht
Dass er seinen Machtanspruch mit dem Schwert durchsetzt, tut seinem Selbstverständnis als christlicher Herrscher keinen Abbruch, sagt der Mediävist Rudolf Schieffer. "Der gemeinsame Nenner ist aus Karls Sicht, dass alle seine Untertanen getaufte Christen sind. Das spielt vor allem in Sachsen eine große Rolle. Der integrierende Gedanke ist nicht ethnisch-fränkisch, sondern christlich-religiös." Karl baut seine Macht aus, indem er die Verwaltung neu ordnet, eine einheitliche rechtliche Basis schafft, das Bildungswesen reformiert. Schließlich führt er eine Einheitswährung ein, sozusagen einen Prototyp des Euro: den Denar. "Zwölf Denare sind ein Schilling, 20 Schilling sind ein Pfund. Das hat es in England bis 1971 gegeben. Daran sehen sie, welche langfristigen Wirkungen das gehabt hat", erläutert Schieffer.
Das Programm der Vereinheitlichung geht auf: Karls Herrschaft ist so gefestigt, dass er es sich seit Ende der 790er-Jahre erlauben kann, nicht mehr ständig auf Reisen sein zu müssen. "Er kann darauf vertrauen, hinreichend informiert zu werden, dass die Leute von weither zu ihm nach Aachen kommen." Das zeige Karls außerordentliche Stellung in der frühmittelalterlichen Geschichte, schildert der Historiker. Sein Kollege Pohle sieht in der Verortung der Macht in der Aachener Kaiserpfalz eine gewaltige politische und kulturelle Leistung. "Dass er nicht mehr an jedem Brennpunkt persönlich anwesend sein muss, dass es reicht, seine Boten zu schicken und dass sie tatsächlich nicht massakriert, sondern akzeptiert werden - das ist eine Leistung, die Karl in seiner langen Regierungszeit schafft."
Karls Strahlkraft in die Gegenwart
Doch nach seinem Tod ist es damit vorbei. Die Enkel und Urenkel haben nicht das Format eines Karls. "Man muss im Nachhinein aber sagen, dass auf die Dauer ein solches Großreich mit den mittelalterlichen Mitteln gar nicht beherrschbar ist", resümiert Rudolf Schieffer. Kein Wunder, dass Karl seinen Zeitgenossen und den Menschen danach wie ein Titan erscheint. Schon bald nach seinem Tod 814 wird er verklärt - zum idealen Herrscher. 1165 wird er auf Betreiben Friedrich Barbarossas heiliggesprochen.
Dabei sind es ganz profane Dinge, die von der Zeit der Karolinger in die Gegenwart hineinreichen. Zum einen die Computertypographie Times New Roman, die entgegen ihrem Namen auf Karl den Großen zurückgeht. Oder die Verwaltungsstrukturen mit Grafschaften und Herzogtümern, wie es sie in Frankreich, Deutschland und Großbritannien gab und gibt. Und es ist die deutsche und europäische Geschichte, die ohne Karl ganz sicher anders verlaufen wäre.