Karlsruhe entscheidet über EZB-Krisenpolitik
20. Juni 2016Wenn die obersten deutschen Richter am Dienstag (21.06.2016) über das sogenannte OMT-Programm urteilen, dann urteilen sie über ein Programm, das nur theoretisch besteht und bislang nicht zum Einsatz gekommen ist.
OMT steht für "Outright Monetary Transactions". Es war die Einlösung des Versprechens, das EZB-Chef Mario Draghi Ende Juli 2012 abgab, als er zusicherte, alles zu tun, um den Euro zu retten. Wenig später beschloss der EZB-Rat, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen notleidender Staaten zu kaufen. Mit der Geburt dieses Programms wurde jeder Zweifel an der Gemeinschaftswährung ausgeräumt. Die Finanzmärkte beruhigten sich.
Recht gebrochen?
Doch mit diesem Ergebnis geben sich Kritiker des Programms nicht zufrieden. Sie sehen darin vor allem einen Verstoß gegen den EU-Vertrag, nach dem die EZB keine Staatsfinanzierung betreiben darf. Wenn die EZB Staatsanleihen kaufe, dann finanziere sie selbstverständlich die betroffenen Staaten, so die Kritiker und Kläger.
Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen recht, scheute sich aber vor einem klaren Urteil. Denn ein Urteil der deutschen Verfassungsrichter gegen die zentrale Rettungspolitik der EZB hätte Turbulenzen an den Finanzmärkten ausgelöst, die die Währungsunion zum Einsturz bringen könnten.
Politisches Kalkül vor dem Recht?
Also leitete das Bundesverfassungsgericht den Fall Anfang 2014 an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiter - ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Erwartungsgemäß gab der EuGH vor einem Jahr grünes Licht für das OMT-Programm.
Anfang dieses Jahres landete der Ball dann wieder in Karlsruhe. Damals haben sich die Verfassungsrichter extra die letzte Entscheidung in der Sache vorbehalten, nun stecken sie in einem Dilemma. Schließen sie sich dem Urteil der europäischen Kollegen an, verlieren sie Ansehen und Glaubwürdigkeit; urteilen sie gegen die EZB-Krisenpolitik, riskieren sie nun nicht nur den Zerfall der Eurozone, sie würden damit auch den Brexit-Befürwortern zwei Tage vor dem Referendum einen kräftigen Auftrieb geben.
Deshalb spricht vieles für einen Mittelweg. Das heißt, die Karlsruher Richter lassen das Programm grundsätzlich durchgehen, stellen aber Bedingungen für die Umsetzung.
Deutsch oder europäisch?
Das würde auch dem bisherigen Kurs des Verfassungsgerichts entsprechen. Im Spannungsfeld zwischen dem deutschen Recht und dem Gemeinschaftsrecht hat Karlsruhe nie den Integrationsprozess der EU missbilligt, stellte aber 2009 im Blick auf den Lissabon-Vertrag klar, dass das deutsche Grundgesetz keinen europäischen Bundesstaat erlaubt.
Ein europäischer Bundesstaat steht momentan ohnehin nicht auf der europäischen Agenda. Die EU hat eher Mühe, die nationalistischen Fliehkräfte zu bändigen und die Gemeinschaft in der jetzigen Form aufrechtzuerhalten.
An der Währungsfront hat Mario Draghi allerdings längst Fakten geschaffen. Monatlich kauft die EZB Staats- und Unternehmensanleihen in großem Stil. Ein 1,7 Billionen-Programm, das bis März 2017 laufen soll. Der Unterschied zum umstrittenen OMT-Programm besteht darin, dass hier nach dem Gießkannenprinzip Anleihen aller Euro-Länder gekauft werden. Man kann auch sagen: ein OMT-Programm light.