Kaufhaus mit Geschichte
15. August 2014Als Rudolf Karstadt am 14. Mai 1881 sein erstes Bekleidungsgeschäft unter dem Namen "Tuch-, Manufactur- und Confektionsgeschäft" in Wismar gründet, hat er vermutlich keine Vorstellung, was sich daraus in den kommenden 100 Jahren entwickeln würde: Von einem kleinen Warenhaus mit begrenztem Angebot zu einem Konzern mit vielen Tausend Mitarbeitern und Millionen Kunden in ganz Deutschland.
Rasanter Aufstieg
Drei Jahre nach der Firmengründung wird in Lübeck die zweite Filiale eröffnet – Stammkunden dort sind die Schriftsteller-Brüder Thomas und Heinrich Mann. Bald darauf sind es 24 norddeutsche Städte, in denen ein Karstadt-Warenhaus steht. Prunkstück ist die Filiale in der Hamburger Mönckebergstraße mit einer nach damaligen Vorstellungen gigantischen Verkaufsfläche von rund 10.000 Quadratmetern. Im Angebot sind vor allem Waren aus Eigenfabrikationen.
Nach und nach werden Stofflager, Wäschefabriken und eine Herrenkleiderfabrik in Wismar gegründet. 1920 übernimmt Karstadt die Firma "Althoff"; deren 15 Häuser werden als Karstadt-Filialen weitergeführt und der Konzern in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Während das Unternehmen wächst, verliert Firmengründer Rudolf Karstadt in der Weltwirtschaftskrise von 1929 sein gesamtes Vermögen, er scheidet aus der Unternehmensführung aus, zieht sich nach Schwerin zurück, wo er im Dezember 1944 stirbt.
Wer zu Karstadt geht, der macht was her
Inzwischen ist der Konzern auf 89 Filialen gewachsen. Generationen von Eltern kleiden ihre Kinder fortan bei Karstadt ein. "Zu Karstadt zu gehen" ist ein Lebensgefühl und Ausdruck wachsenden Wohlstands, der bei immer mehr Menschen für die qualitativ hochwertigen Waren von Karstadt ausreicht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg profitiert Karstadt im Westen vom Wirtschaftwunder, von der zentralen Lage seiner Häuser in den Innenstädten und dem Gefühl, dass Karstadt Teil des bürgerlichen Lebens in einer prosperierenden Gesellschaft ist. Und der Expansionsdrang scheint keine Grenzen zu kennen. Ob Neckermann, Hertie oder Quelle - nach und nach schluckt Karstadt einen Konkurrenten nach dem anderen.
Der Anfang vom Ende kommt mit der Einzelhandelskrise Anfang der 2000er Jahre. Große Verkaufsflächen in teuren Innenstädten mit einem umfassenden Sortiment passen nicht mehr in die Zeit. Die Einrichtung der Karstadt-Warenhäuser wird als nicht mehr zeitgemäß bezeichnet, die Aufmachung der Verkaufsräume als nicht mehr kundengerecht. Da gleichzeitig auch der Versandhändler Quelle und andere Tochterunternehmungen in finanzielle Schieflage geraten, müssen massiv Stellen abgebaut und Warenhäuser verkauft werden.
Ende eines Traditionskonzerns
Wie ein letztes Aufbäumen erscheint die Umbenennung in Arcandor, die bei einer Bilanzpressekonferenz in Düsseldorf vom damaligen Vorstandsvorsitzenden Thomas Middelhoff am 29. März 2007 verkündet wird. Die Strategie des als Hoffnungsträger gehandelten Middelhoff, Immobilien zu verkaufen und die Bilanzen damit zu verbessern, um sie später zu hohen Quadratmeterpreisen wieder anzumieten, wird für den Untergang des renommierten Unternehmens mit verantwortlich gemacht.
Etwas mehr als zwei Jahre später, am 9. Juni 2009, muss Arcandor für den Mutterkonzern und die meisten Tochtergesellschaften Insolvenz anmelden.
Ein Retter namens Berggruen
Wie aus dem Nichts taucht im Frühjahr 2010 der Investor Nicolas Berggruen auf, Sohn des berühmten Kunstsammlers Heinz Berggruen. Er übernimmt die Kaufhaus-Kette zum symbolischen Preis von einem Euro, das insolvenzverfahren wird aufgehoben. Bergruen wird als Retter gefeiert. Seine Manager gehen an Werk, entlassen Mitarbeiter, investieren rund 200 Millionen Euro. Keines der 83 Häuser wird geschlossen.
Drei Premiumhäuser in Berlin, Hamburg und München allerdings verkauft Berggruen an die Signa Holding von René Benko. Doch wirkliche Besserung tritt für Karstadt nicht ein, die Zahlen bleiben rot. Die letzte Chefin, Eva-Lotta Sjöstedt, gibt nach nur fünf Monaten auf. Am 15.August hat auch Nicolas Berggruen genug: Er wirft das Handtuch und übergibt alle Anteile an die Signa Holding - für einen Euro. Das Zittern für die verbliebenen 17.000 Mitarbeiter geht weiter.
Aktualisierte Version eines Artikels vom 07.06.2010