Das Europaparlament wird sich verändern
13. September 2018Eines ist sicher: Die parteipolitische Zusammensetzung des Europäischen Parlaments, die heute schon mit acht Fraktionen oder Gruppen recht bunt ist, wird nach den Europawahlen im Mai 2019 noch unübersichtlicher werden. In vielen Teilen Europas werden populistische Parteien stärker, die klassischen Volksparteien schrumpfen. Im Moment ist die christdemokratische EVP-Fraktion mit 218 von 751 Abgeordneten noch die größte in Straßburg. Das könnte sich ändern, denn die Fraktion hat zunehmend Probleme mit den 12 nationalistischen Abgeordneten der ungarischen "Fidesz". Nachdem das Parlament, auch mit rund 100 Stimmen aus der christdemokratischen Fraktion, gefordert hat, ein Sanktionsverfahren gegen Ungarn wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit zu eröffnet, knirscht es im konservativen Gebälk.
Weber setzt auf Abwarten
Fraktionschef Manfred Weber von den deutschen Christsozialen kann sich zwar noch nicht dazu durchringen, die Fidesz-Leute aus der Fraktion zu werfen, aber auch er hat für das Verfahren gegen Ungarn gestimmt. Auf die Frage, ob Fidesz noch zu seiner Fraktion passe, antwortete Weber der DW ausweichend: "In früheren Jahren war das ungarische Parlament immer zu Kompromissen bereit. Das sehen wir jetzt so nicht mehr. Deshalb brauchen wir einen Dialog, einen Dialog auf einer neuen Ebene." Weber will erst einmal das Ergebnis des "Dialogs", also des Sanktionsverfahrens im EU-Ministerrat abwarten, das aber erst nach der Europawahl im Mai vorliegen dürfte. Bis dahin gilt eine Art Burgfrieden zwischen den beiden Lagern innerhalb der EVP-Fraktion.
Orban ist nicht allein
Die Fidesz von Viktor Orban ist nicht vollkommen isoliert. Viele Christdemokraten aus Spanien, Österreich, Italien und auch aus der bayrischen CSU haben gegen ein Verfahren gestimmt. Der ungarische Premier und Parteichef Orban selbst schimpft zwar auf die mangelnde Führungskraft des Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber, macht aber keine Anstalten, selbst aus der Fraktion oder der Europäischen Volkspartei auszutreten. Der britische Abgeordnete und Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage von der "Unabhängigkeitspartei" hatte Orban vorgeschlagen, einen neuen Klub der EU-Gegner zu gründen. Orban lehnt das noch ab. "Herr Farage ist der größte Redner im Parlament. Ihm zuzuhören, ist wirklich eine intellektuelle Freude. Aber wir werden seiner Einladung nicht folgen, weil wir zur EVP gehören." Der ungarische Nationalist will also vorläufig bei den Christdemokraten bleiben.
Die österreichischen Rechtspopulisten von der FPÖ umwerben Orban allerdings und bieten ihm die Zusammenarbeit in einer neuen rechten Fraktion an. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache will gemeinsam mit anderen Rechtsauslegern neue Mehrheiten schmieden. In diesen Gruppen würden unter anderem die Rechtspopulisten um Marine Le Pen aus Frankreich, die "Alternative für Deutschland", die "Schweden-Demokraten", die niederländische Partei für die Freiheit von Geert Wilders passen. Vielleicht könnte sogar die rechtsradikale "Lega" von Matteo Salvini aus Italien beitreten, die bei den Europawahlen voraussichtlich einige Mandate erringen wird. Eine rechte Fraktion könnte relativ groß werden und den bisher zweit- oder drittgrößten Fraktionen, Sozialdemokraten und Nationalkonservativen, den Rang ablaufen.
Neue rechtspopulistische Fraktion?
Solche Gedankenspiele politischer Strategen will Viktor Orban aus Ungarn im Moment noch nicht mitmachen. Zum jüngsten sehr harmonischen Treffen mit dem italienischen Lega-Chef Matteo Salvini sagte Orban: "Meine Beziehung zu Herrn Salvini hat nichts mit Parteipolitik zu tun. Wir kooperieren auf Regierungsebene, da geht es nicht um die Parteien." Viele rechtspopulistische Parteien können sich vorstellen, sich der neuen Denkfabrik "Die Bewegung" des US-amerikanischen ultra-rechten Beraters Steve Bannon anzuschließen. Bannon, der US-Präsident Trump ins Amt verhalf und dann in Ungnade fiel, will die populistische Rechte in Europa einen und die Ablehnung von Migration zum Wahlkampfschlager machen. Auch diesen Vorstoß sieht der ungarische Ministerpräsident eher zurückhaltend. "Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament wird es vor allem um ein großes Thema gehen, nämlich Zuwanderung. Das bedeutet aber nicht, dass die Wähler ihr bisheriges nationales Abstimmungsverhalten völlig aufgeben. Es werden keine Amerikaner kandidieren. Es wird keine europäische grenzübergreifenden Listen geben", sagte Orban im Europäischen Parlament in Straßburg vor Journalisten.
Die Frage, ob die ungarische Fidesz noch einen Platz in der christdemokatischen "Europäischen Volkspartei" hat, wird sicherlich beim Parteikongress Anfang November eine Rolle spiele. Dann will sich Fraktionschef Weber zum Spitzendkandidaten seiner Parteienfamilie küren lassen. Es wird mit einer Kampfabstimmung zwischen mehreren Kandidaten gerechnet, die dann Farbe bekennen müssten. Der siegreiche Spitzenkandidat der größten Fraktion im neuen Parlament könnte 2019 dann Chef der mächtigen EU-Kommission werden.
Macron sammelt Verbündete
Auf der linksliberalen Seite des Parlaments kommt unterdessen auch Bewegung auf. Die EU-Befürworter setzen darauf, dass der französische Präsident Emmanuel Macron ähnlich wie in seinem Präsidentschaftswahlkampf Schwung in die Debatte in Europa bringt. Macron hat mit dem Chef der liberalen Fraktion (ALDE), Guy Verhofstadt, vereinbart, eine gemeinsame große liberale Fraktion zu bilden. Allerdings ist unklar, wie viele Abgeordnete Macrons Bewegung "Republik auf dem Weg" tatsächlich ins Parlament entsenden kann. Im Moment sind die Liberalen mit 68 Parlamentariern nur die viertgrößte Fraktion, könnten aber Zünglein an der Waage sein, wenn es um konkrete Abstimmungen geht. Thierry Cornillet ist französischer Liberaler im Europäischen Parlament und unterstützt Emmanuel Macron, obwohl er nicht dessen Partei angehört. "Ich glaube die Rechten werden sehr stark werden bei der nächsten Wahl. Deshalb ist es wichtig, dass wir als die Moderaten und EU-Befürworter auch stark werden", sagte Cornillet der DW in Straßburg.
Liberale Mitte stärken
Es müsse gelingen eine gemeinsame liberale Fraktion mit Macron zu bilden. Das wird dann nicht mehr die bisher bekannte ALDE-Fraktion sein, sondern etwas Neues. "Macron wird Belgier, Italiener, Deutsche und andere gewinnen, um etwas Neues zu formen. Eine neue Gruppe." Ob diese Formation um den französischen Präsidenten dann auch einen Spitzenkandidaten aufstellen sollte, ist dem Liberalen Cornillet nicht so wichtig. Die Spitzenkandidaten seien nur ein unverbindliches Angebot. "Wenn es ihnen Spaß macht sollen sie einen aufstellen." Ob der Spitzenkandidat der größten Fraktion dann auch wirklich vom Parlament zum nächsten EU-Kommissionspräsidenten gewählt werde, sei ein ganz anderes paar Stiefel, meint der Abgeordnete. Ihm ist wichtig, dass sich alle Kräfte links und in der Mitte des Parlaments gegen die Rechtspopulisten verbünden. Die Kandidaten an der Spitze seien nebensächlich.