Katz und Maus in Barcelona
30. Januar 2018Rund tausend Journalisten aus ganz Europa hatten sich beim Parlament in Barcelona akkreditiert, weil alle am Montagnachmittag auf die Fortsetzung des katalanischen Politdramas und die erneute Wahl des Regionalpräsidenten Carles Puigdemont gehofft hatten: entweder in Abwesenheit, oder - und das wäre den Medien am allerliebsten gewesen - es würde sich im tropischen Park vor dem Gebäude ein Gullideckel heben, und Puigdemont käme hervorgekrochen. Er hatte die Erwartungen der Presse angeheizt und noch am Vorabend ein Foto von der Zufahrt zum Parlament gepostet.
Die spanische Polizei leistete ihren Beitrag: Autos wurden an den französisch-spanischen Grenzübergangen kontrolliert, die Kanaldeckel am Parlament wurden tatsächlich überprüft, und Einsatzkräfte waren in Position, um eine heimliche Ankunft des Führers der Unabhängigkeitskoalition zu unterbinden.
Enttäuschung am Morgen
Gegen 10 Uhr morgens dann machte Parlamentspräsident Roger Torrent alle Hoffnungen auf einen großen Nachrichtentag zunichte. "Ich werde bis ans Ende gehen, um Puigdemonts Rechte zu verteidigen", erklärte er, um ihm gleichzeitig den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Der Wahlsieger vom Dezember hatte gehofft, die Abgeordneten würden sich über den Spruch vom Verfassungsgericht am Wochenende hinwegsetzen, das eine Anwesenheitspflicht für den neuen Präsidenten angeordnet hatte. Torrent aber spielt auf Zeit und vertagt die Abstimmung ohne neues Datum. Damit bricht er zwar alle parlamentarischen Regeln, denn die Frist läuft am 31. Januar ab, aber mit solchen Kleinigkeiten wollen sich die Independentistas zu diesem Zeitpunkt wohl nicht mehr aufhalten.
Viele Kamerateams packen ihre Geräte wieder ein, und auch bei den spanischen Journalisten herrscht Ratlosigkeit, wohin dieser neue Schachzug führen soll. Antonio Ferreras vom TV-Kanal La Sexta erklärt seinen Zuschauern, dass die Koalition, die die Unabhängigkeit unterstützt, jetzt wohl einen neuen Kandidaten finden müsse, um das Wahlergebnis vom Dezember noch irgendwie umzusetzen. Dafür hat sie im Prinzip zehn Tage Zeit. Oder man lässt eben alle Fristen verstreichen und ruft am Ende Neuwahlen aus.
Aber was, wenn Puigdemont dann erneut gewählt würde? Nach der Sendung steht Ferreras in der Parlamentslobby mit Kollegen zusammen, und alle sind sich einig: "Wir wissen auch nicht, wie das hier weitergehen soll."
Zwischen Frust und Überzeugung
Ein paar hundert Meter weiter im Viertel El Born geht der Alltag weiter, Passanten sind auf dem Weg zum Essen Ein älteres Paar ist verärgert über das Hickhack:"Puigdemont hat wirklich einen schweren Fehler begangen, und er muss dafür bezahlen", sagt Julia. Er habe schließlich die Gesetze gebrochen und sollte zurücktreten, um Platz für einen anderen Kandidaten zu machen.
Fatima arbeitet als Serviererin in einer Tapasbar und wird noch deutlicher: "Sie machen doch nur Mist. Wir haben eine völlig surreale Situation, es geht immer im Kreis herum. Wir bekommen wieder Neuwahlen und die Katze beißt sich am Ende in den eigenen Schwanz".
Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung sind unbeeindruckt von der verfahrenen Situation:"Wir hoffen, dass Puigdemont und Torrent wissen was sie tun", sagt Jordi, auf dem Weg in seine Mittagspause. Man habe diese Politiker gewählt, und sie müssten irgendwie ihr Amt aufnehmen können. "Am Ende wird Katalonien unabhängig sein!", fügt er noch kämpferisch hinzu. Diese Hoffnung zieht sich quer durch die Generationen: "Ich hoffe, dass unser Präsident Puigdemont bald wieder ins Amt kommt", pflichtet ihm eine ältere Passantin bei.
Noch eine Demo und Streit hinter den Kulissen
Am Nachmittag dann versammeln sich in schönster Wintersonne vielleicht tausend Puigdemont-Unterstützer vor dem Parlament. "Wir weichen nicht zurück", rufen sie und "Du bist nicht allein". Die Gruppe ist zwar laut, aber es reicht nicht für eine machtvolle Demonstration. Sogar in den Reihen der Independentistas scheint sich eine gewisse Müdigkeit breitzumachen.
Hinter den Kulissen aber zeigen sich Risse in der politischen Front. Puigdemonts Partei PDeCat und eine Handvoll Linke von CUP schworen, sie würden den ganzen Nachmittag demonstrativ allein im Saal des Parlaments verbringen. Sie wollen zeigen, dass sie mit der Vertagung nicht einverstanden sind. Man sei gekommen, um zu wählen, heißt es.
Parlamentspräsident Roger Torrent aber gehört zur Koalitionspartei ERC. Deren Parteichef Oriol Junqueras sitzt seit November im Gefängnis, angeklagt wegen Rebellion und Sezession. Und mit den gleichen Strafvorwürfen wartet die Staatsanwaltschaft in Barcelona auch auf das Erscheinen von Carles Puigdemont. Der eine Parteichef sitzt im Knast, der andere hat in Brüssel gelernt, belgisches Bier zu lieben. Die Stimmung unter den Koalitionspartnern ist seit Puigdemonts medienwirksamem Gang ins Exil getrübt.
Und man redet wohl nicht mehr miteinander. Torrent soll an diesem Vormittag fünfmal versucht haben, Puigdemont anzurufen, um ihm von seiner Entscheidung zu informieren; das verbreiten seine Mitarbeiter. Puigdemont wiederum hat an diesem Tag überhaupt noch nicht reagiert. Das sieht nicht nach einer wunderbaren politischen Freundschaft aus.