Kaum Solidarität: Araber und Palästinenser
10. Dezember 2017Für den Geschmack des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan war offenbar zu wenig Öl im rhetorischen Feuer. Soeben hatte die Arabische Liga auf ihrem Gipfel in Kairo die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump kritisiert, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-amerikanische Botschaft dorthin zu verlegen. Die Außenminister des Staatenbundes forderten die USA auf, den Beschluss zu revidieren. Dieser stelle eine "gefährliche Verletzung des internationalen Rechts" dar und schüre die Gewalt in der Region. Zu konkreten Schritten konnten die Politiker sich aber nicht durchringen. Den Forderungen des libanesischen Außenministers Gebran Bassil nach politischen und wirtschaftlichen Sanktionen mochten sich seine Kollegen nicht anschließen.
So goss Erdogan, kaum dass der Kairoer Gipfel zu Ende war, aus der Ferne das ihm fehlende Öl in die schwelende Glut. Israel sei ein "Terrorstaat", erklärte er Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge am Sonntag vor Anhängern im zentralanatolischen Sivas. Man werde Jerusalem nicht einem Land der "Kindermörder" überlassen.
Die Äußerungen des türkischen Präsidenten waren zeitlich wohlkalkuliert: Mitte der kommenden Woche ist Erdogan Gastgeber eines Sondergipfels der Organisation für Islamische Kooperation (OIC) in Istanbul. Der 57 Staaten umfassende Verband versteht sich selbst als "kollektive Stimme der muslimischen Welt", und der türkische Staatschef ist derzeit der turnusmäßige Vorsitzende. Mit seinen Äußerungen wird die OIC sich spätestens in ein paar Tagen auseinandersetzen müssen.
Riss in der arabischen Welt
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Erdogan den Gipfel nutzt, um sich dort an die Spitze zumindest derer zu setzen, die mit der gemäßigten Position der Arabischen Liga nicht zufrieden sind. Einerseits äußerten sich etliche Politiker der Region gegenüber Trumps Entscheidung zurückhaltend, schreibt der einflussreiche palästinensische Publizist Abdel Bari Atwan in der Internetzeitung "Rai al-Youm". "Aber das könnte auch bedeuten, dass sich nun ein Riss durch die arabische und islamische Welt zieht."
Offen ist, wie tief dieser Riss reicht. Zwar rief die islamistische Hamas im Gazastreifen zu einer dritten Intifada auf. Die palästinensische Führung im Westjordanland um Präsident Mahmud Abbas schloss sich dem allerdings nicht an. Sie begnügte sich damit, drei "Tage des Zorns" auszurufen, während derer die Palästinenser allerdings friedlich bleiben sollten. Viele Bewohner der Westbank respektierten den Aufruf. Das Gesundheitsministerium in Ramallah gab am Sonntagmittag bekannt, bei Demonstrationen seien 1250 Palästinensern verletzt worden, 150 von ihnen durch Schusswaffen der israelischen Armee. Heftiger fielen die Proteste im Gazastreifen aus. Am Grenzzaun zu Israel kamen zwei Demonstranten zu Tode. Bei israelischen Luftangriffen nach Raketenangriffen aus Gaza starben zwei weitere Palästinenser.
Es gab auch in vielen arabischen und mehreren europäischen Ländern Proteste gegen Trumps Entscheidung. Der in der sunnitischen Welt einflussreiche Scheich der ägyptischen Al-Azhar-Universität und der Patriarch der ägyptischen Kopten erklärten, sie wollten US-Vizepräsident Mike Pence nun nicht mehr empfangen - das war ursprünglich für dessen Ende Dezember geplante Nahost-Reise vorgesehen gewesen. Doch auf höchster politischer Ebene blieben die Reaktion eher lauwarm und zudem im Ton überwiegend sachlich.
Furcht vor Aufständen, Instabilität und Protesten
"Derzeit sehen wir, dass sowohl die internationale Gemeinschaft wie auch die arabischen Führer die Schreie der Palästinenser nach Gerechtigkeit einmal mehr ignorieren", schreibt die Journalistin Mariam Barghouti auf der Internetseite des Nachrichtensenders Al-Jazeera. "Die Ursache dafür ist die Furcht vor einem weiteren Aufstand, vor Instabilität und Protesten."
Es gibt weitere Gründe für die Zurückhaltung der politischen Elite in der arabischen Welt. Ägypten etwa ist auf Finanzhilfen aus den USA dringend angewiesen. Der Umstand, dass sie im August dieses Jahres angesichts der desaströsen Menschenrechtslage in dem Land am Nil ausgesetzt wurden, dürfte für die Regierung Al-Sisi ein umso größerer Anreiz sein, nicht auf allzu große Distanz zur Trump-Administration zu gehen.
Saudi-Arabien ist seinerseits mit den USA ökonomisch auf das engste verflochten. Das Land liefert sich derzeit mit seinem Erzrivalen Iran sowohl im Jemen als auch in Syrien einen Kampf um die Vorherrschaft in der Region und setzt dabei auf die Hilfe der USA. Aus demselben Grund sucht Saudi-Arabien seit geraumer Zeit auch den Schulterschluss zu Israel. Beide Länder sehen sich durch Teheran gleichermaßen herausgefordert oder sogar bedroht. Wohl auch darum hat das Königshaus in Riad die Medien des Landes angewiesen, nur vorsichtig über Trumps Entscheidung zu berichten.
"Während arabische Führer sich nach außen weiterhin zur Sache der Palästinenser bekennen, hat sie doch an Bedeutung verloren", heißt es in der "New York Times". "An ihre Stelle traten die arabischen Aufstände, der Krieg im Irak, in Syrien und im Jemen, die Bedrohung durch den "Islamischen Staat" (IS) sowie der Wettlauf zwischen Saudi-Arabien und Iran um die Vorherrschaft in der Region. Die Golfstaaten, die derzeit vor allem mit ihrer Rivalität zum Iran beschäftigt sind, stellen fest, dass sich ihre Interessen mehr und mehr mit denen Israels decken." Für Solidarität mit den Palästinensern lassen diese Interessen nur wenig Raum.
"Trump spielt Extremisten und Terroristen in die Hände"
Eben dieser Umstand könnte aber zu neuen Spannungen führen, deutet der palästinensisch-amerikanische Historiker Rashid Khalidi in der britischen Zeitung "The Guardian" an. "Was immer die von den USA abhängigen arabischen Diktatoren und absolutistischen Monarchen diesen auch erzählen - die Menschen der Region stehen in der Jerusalem-Frage nahezu geschlossen hinter den Palästinensern."
Offen ist, wie sich deren Unmut artikuliert. Im schlimmsten Fall könnte er zu einer weiteren ideologischen Verhärtung weiter Bevölkerungskreise führen. Trumps Entscheidung, zitiert die "New York Times" den ehemaligen ägyptischen Außenminister Nabil Fahmy, "wird Amerikas Image und Interessen in der Region gewaltigen Schaden zufügen. Trump spielt den Extremisten und Terroristen in die Hände und liefert ihnen die Munition, die sie brauchen."