Kazim: "Demütigung für Pakistan"
9. Juli 2013Als Osama bin Laden 2011 von einer US-Spezialtruppe in Abbottabad getötet wurde, hatte er bereits neun Jahre lang unentdeckt im Land gelebt. Nach seinem Tod setzte die Regierung eine Untersuchungskommission ein. Deren geheimer Bericht, der auf Aussagen von mehr als 200 Zeugen basiert, liegt Islamabad seit einem halben Jahr vor. Nun wurde der 336 Seiten starke Report dem arabischen Fernsehsender Al Dschasira zugespielt, der ihn in fast voller Länge veröffentlichte.
Deutsche Welle: Hat man schon eine Idee, wer den Bericht an Al Dschasira weitergegeben haben könnte?
Hasnain Kazim: Bisher liegen keine Informationen darüber vor. Es gibt natürlich eine Menge Leute, die in Frage kommen, die Zugang hatten zu diesem Bericht und ihn weitergegeben haben könnten. Es sind Angehörige des Militärs, des Geheimdienstes, aber auch der Regierung, die sehr unzufrieden sind mit der Art und Weise, wie in Pakistan mit der ganzen bin-Laden-Geschichte umgegangen wurde. Sie bemängeln, dass immer nur die Amerikaner kritisiert wurden, dass es nur sehr wenig Selbstkritik gab und dass bin Laden so lange unentdeckt im Land leben konnte.
Wie ist das bisher in den pakistanischen Medien aufgenommen worden?
Die Zeitungen sind voll davon, sie geben sehr viele Inhalte aus dem Geheimbericht wieder. Man ist erstaunt über die ganzen Details, die jetzt gestreut werden: Zum Beispiel wurde ein Auto, in dem bin Laden saß, eines Tages im Swat-Tal wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten. Der Polizist hat ihn nicht erkannt, so konnte er noch einmal davonkommen. Ein weiteres Detail ist, dass er im Garten seines Hauses in Abbottabad einen breitkrempigen Cowboyhut trug, um zu verhindern, dass Satelliten sein Gesicht fotografieren konnten. Darüber gibt es viele Diskussionen. Man nimmt auch zur Kenntnis, dass der Bericht sehr kritisch umgeht mit der eigenen Regierung.
Darin heißt es, die Tatsache, dass die US-Spezialeinheit damals eigenmächtig in Pakistan agiert hat - ohne Wissen des pakistanischen Militärs - sei eine Demütigung für Pakistan gewesen. Ebenso peinlich ist, dass nun der Geheimbericht über Umwege an die Öffentlichkeit gelangt, und dass er auch noch die Inkompetenz der pakistanischen Institutionen deutlich hervorhebt. Was ist für Pakistan die größte Demütigung?
Die ganze Geschichte ist eine Demütigung: dass Osama bin Laden seit 2002 in Pakistan war, ab 2005 in Abbottabad in diesem Haus lebte, und dass das dann herauskam. Die pakistanische Regierung hatte immer behauptet, bin Laden sei nicht in Pakistan und wer das behaupte, würde nur versuchen, das Land schlecht zu machen. Das ist ja in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2011 mit seinem Tod in Abbottabad widerlegt worden. Danach wurde lange Zeit geleugnet, dass es sich überhaupt um bin Laden handelte, obwohl es aufgrund vieler Erkenntnisse und Zeugenaussagen inzwischen an seiner Identität kaum mehr Zweifel gibt.
Offen bleiben jedoch die Fragen, ob bin Laden Helfer hatte und wenn ja, wer es innerhalb der Regierung und des Militärs gewesen sein könnte - oder ob tatsächlich nur einfach Inkompetenz dafür verantwortlich war, dass er so lange in Pakistan leben konnte. Der Bericht geht ganz klar von Letzterem aus. Trotzdem spreche einiges dafür, dass bin Laden auch Helfer hatte. Zum einen weil er so lange in Pakistan war, und zum anderen, weil Pakistan ein Land ist, in dem sonst sehr viel kontrolliert wird. In einer Garnisonsstadt wie Abbottabad wird man ständig kontrolliert, da gibt es Leute, die ihre Augen und Ohren überall haben.
Osama bin Laden konnte nur wegen der "Unfähigkeit von Regierung und Sicherheitskräften auf allen Ebenen" unentdeckt in Pakistan leben, so lautet das Fazit der Untersuchungskommission. Was bedeutet das für die neue Regierung und wie wird sie damit umgehen?
Der Bericht setzt die Regierung unter Druck, weiter daran zu arbeiten, wer sich noch alles in Pakistan aufhalten könnte. Es gibt diverse ranghohe, weltweit gesuchte Terroristen, deren Aufenthaltsort unbekannt ist, sei es Mullah Omar, der afghanische Taliban-Chef, oder auch andere ranghohe Al Kaida-Leute. Es gibt auch da die Vermutung, dass sie sich in Pakistan aufhalten. Die Regierung muss nun Stellung dazu nehmen und erklären, warum all diese Fehler passieren konnten, die in dem Bericht als "kollektives Scheitern" zusammengefasst werden. Und sie muss daran arbeiten. Ich befürchte aber, so, wie ich die pakistanischen Regierungen kenne, auch die neue, dass man auf Zeit spielt und die Sache dann einfach vergessen wird.
Hasnain Kazim ist Südasien-Korrespondent des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Er berichtet aus Islamabad.