Kein Allheilmittel - Doch ein neues Waffenrecht ist nach der Bluttat von Erfurt trotzdem nötig
2. Mai 2002Etwa 20.000 Schützenvereine mit zweieinhalb Millionen Mitgliedern gibt es in Deutschland. Bislang galten sie vor allem als unpolitische, dem Brauchtum und der Tradition verpflichtete Einrichtungen. Schützenfeste und die Aufmärsche wappengeschmückter Männer und Frauen in grünen Lodenanzügen hatten etwas Folkloristisches, allenfalls Skurriles. Dass es auch Verbände gibt, in denen mit Pumpguns und schweren Waffen geschossen wird, erfährt Deutschland erst jetzt.
Und noch mehr wir bekannt: Rund zehn Millionen Waffen sind bundesweit registriert. Wieviele davon in den Händen von Sportschützen sind, ist umstritten. Knapp 66.000 Kinder bis 13 Jahre sind Mitglied im Dachverband der Sportschützen. Nach dem neuen, erst am Freitag modifizierten Waffengesetz, dürfen bereits Zehnjährige in den Vereinen mit Druckluftwaffen, Vierzehnjährige mit scharfen Waffen schießen. Wer achtzehn ist, darf - vorausgesetzt er hat eine entsprechende Genehmigung - Pistolen und Gewehre zu Hause aufbewahren.
Bestimmungen, die auch ohne den Amoklauf von Erfurt Fragen und Zweifel aufwerfen. Wer kontrolliert eigentlich die Waffenbesitzer? Wer die Jugendbetreuer in den Vereinen? Wie kommt es, dass jemand - siehe den Erfurter Amokschützen - regelrechte Berge von Munition erwerben und anhäufen kann? Warum gibt es kein bundesweites, verläßliches Waffenregister? Völlig unverständlich ist auch, warum denjenigen, die Waffen erben, eine fünfjährige Frist eingeräumt wird: fünf Jahre, in denen sie entweder die notwendige Sachkunde erwerben, oder die Waffen unbrauchbar machen können.
Natürlich ist das Waffenrecht kein Allheilmittel - schon gar nicht gegen die Flut illegaler Waffen, die in Deutschland im Umlauf ist. Zwanzig Millionen sollen mittlerweile in den Händen von Bundesbürgern sein. Und selbstverständlich gehört zu den Konsequenzen, die aus dem Erfurter Geschehen zu ziehen sind, das Nachdenken über den Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen, Fragen an Eltern und Lehrer, eine Diskussion über gesellschaftliche Werte und Vorbilder. Dies alles ohne Tabus, aber auch ohne Schuldzuweisungen.
Der Streit zwischen Bundesinnenminister Otto Schily und seinem bayerischen Amtskollegen Günther Beckstein allerdings, die sich nun gegenseitig Untätigkeit vorwerfen, ist müßig: Jetzt ist nicht die Zeit für Wahlkampfgetöse, jetzt muss ein offenkundig lückenhaftes Gesetz dringend nachgebessert werden. Und zwar ohne falsche Rücksichtnahme auf die einflussreiche Lobby der Schützen und Jäger.
Die Gelegenheit hierzu bietet sich, wenn das neue Gesetz - wahrscheinlich am 31. Mai - im Bundesrat zur Abstimmung steht. Dann wird sich zeigen, ob der Schock von Erfurt noch nachwirkt, oder ob die Politiker bereits wieder zur Tagesordnung übergegangen sind.