Kein Aufruhr um Indiens Zaun
5. September 2004Zumindest reden sie miteinander: Seit Sonntag (5.9.2004) sitzen in Neu Delhi die Außenminister von Indien und Pakistan beisammen. Es ist das höchstrangige Treffen, seit der Friedensprozess Anfang 2004 auf den Weg gebracht wurde. Thema ist vor allem die Unruheregion Kaschmir, auf die beide Länder Anspruch erheben und die zwischen beiden aufgeteilt ist. Und entlang der momentanen Grenzlinie hat Indien einen Sperrzaun gebaut.
Attentäter sollen draußen bleiben
Dieser Zaun soll muslimische Extremisten davon abhalten, aus Pakistan nach Indien zu kommen. Silbern glänzend schlängelt sich die drei Meter hohe Sperranlage durchs Land, sogar an fast senkrechten Steilhängen und durch Dschungel – auf mehr als 500 Kilometern.
Sie ist keine einfache Mauer, sondern besteht aus drei parallelen, mit Stacheldraht bewehrten Zäunen. Teilweise stehen sie unter Strom und sind mit Bewegungssensoren ausgerüstet. Dazwischen wurden Stolperdrähte gespannt und teils Minen gelegt. Angeblich testet Indien dort auch israelische und amerikanische Ausrüstung wie Nachtsichtkameras und unbemannte Überwachungs-Flugkörper, so genannte Drohnen.
Bauen während der Waffenruhe
All das soll das Überqueren der Waffenstillstandslinie ("Line of Control", LoC) verhindern. Durchgänge gibt es nur wenige, und die werden scharf kontrolliert. Geplant hat Indien den Zaun schon in den 1990er-Jahren, doch der Bau wurde abgebrochen - vor dem Waffenstillstand beschossen pakistanische Soldaten die Baustelle.
Der Grenzzaun verläuft nicht direkt auf der "Line of Control", sondern einige Kilometer weiter auf indischem Gebiet. Nun stehen mancherorts noch Häuser auf der indischen Seite, aber vor dem Zaun.
Bauern von Feldern abgeschnitten
Die Bewohner des Grenzgebiets ärgern sich – wie zum Beispiel der Bauer Qamar-u-Zaman aus dem Dorf Uroosa, der letzten Siedlung auf der indischen Seite Kaschmirs. "Die meisten hier haben Land auf der anderen Seite", sagt er. "Wir haben um mehr Durchgänge gebeten, aber das wurde abgelehnt." Ironischerweise hätten einige Bauern an dem Zaun sogar mitgebaut, berichtet Zaman: "Wir haben das Geld gebraucht."
Im höheren Interesse der Nation müssten eben Opfer gebracht werden, entgegnet der indische Armeesprecher in Srinagar, Oberstleutnant Mukhtiar Singh. Durch die Dreifach-Mauer seien deutlich weniger Extremisten nach Indien gekommen als zuvor. Und dass Pakistan deren Unterstützung beendet habe – wie vor den Friedensverhandlungen besprochen – stehe keinesfalls fest.
Angst vor Teilung auf Dauer
Die Separatisten in Kaschmir fürchten, dass Indien mit der Grenzanlage die Region für immer teilen und während der Friedensverhandlungen schon mal Fakten schaffen wolle. "Indien möchte aus der LoC eine dauerhafte Grenze machen", beschwert sich der Hardliner unter den Separatisten-Führern, Syed Ali Shah Geelani. "Das ist überhaupt nicht hinnehmbar für die Menschen in Jammu und Kaschmir." Und der gemäßigte Separatisten-Chef Mirwaiz Umar Farooq erklärt, die Anlage sei "rausgeworfenes Geld".
Die Idee eines solchen Grenzzauns hatte nicht Indien allein – Israel will mit einer solchen Anlage palästinensische Selbstmord-Attentäter fernhalten. Doch Israel stieß in aller Welt auf Proteste, bis hin zu den Vereinten Nationen (UN) und dem Internationalen Strafgerichtshof. Nun wird die Mauer teilweise versetzt.
Protest gegen Israel – gegen Indien nicht
Dagegen stehen die Menschen in Kaschmir ziemlich alleine da. Ein Außenamtssprecher Pakistans sagte zwar, die Regierung in Islamabad habe nie ihre Zustimmung zu der Grenzanlage gegeben. Und der Zaun verstoße gegen die UN-Charta. Insgesamt aber hält sich Pakistan bedeckt. Wie die anderen Staaten auch. (reh)