Widerstand gegen Fracking
9. September 2011Auf dem Tisch vor Ritva Westendorf-Lahouse liegen zwei Gesteinsproben, jeweils etwa 20 Zentimeter groß. "Beides sieht nicht so aus, als könnte dort Erdgas enthalten sein", sagt sie, "aber genau in solchen Gesteinen befindet es sich." Ritva Westendorf-Lahouse ist Pressesprecherin beim Energiekonzern Exxon Mobil in Hannover. Jetzt nimmt sie die erste, sandfarbene Probe in die Hand.
"Das hier ist ein Sandstein aus einer konventionellen Erdgaslagerstätte. Wenn man genau hinschaut, erkennt man kleinste Gesteinsporen, in denen normalerweise das Erdgas steckt. Und diese Poren sind alle miteinander verbunden." Daher kann das Erdgas bei der Förderung ganz leicht seinen Weg zum Bohrloch finden.
Anders in unkonventionellen Erdgaslagerstätten. Ritva Westendorf-Lahouse zeigt auf die zweite, dunkelgraue Probe: "Dieses Schiefergestein erinnert ein wenig an eine Marmorplatte, die man vielleicht zu Hause als Tischplatte oder Fensterbank hat", erklärt sie. "Dort gibt es aber - mit bloßem Auge kaum erkennbar - ebenfalls Poren, in denen Erdgas enthalten ist. Doch die Poren stehen nicht in Kontakt miteinander. Daher müssen wir dort nachhelfen: Wir versuchen das Gestein kontrolliert aufzubrechen, um dem Erdgas einen Weg ins Freie zu bahnen."
Aufknacken und mit Sand festklemmen
Dem Erdgas einen Weg ins Freie zu bahnen - dafür brauchen die Energiekonzerne das Hydraulic Fracturing, kurz Fracking genannt. Bei dieser Technik wird das Gestein in 1000 bis 5000 Meter Tiefe mit Wasser unter sehr hohem Druck aufgeknackt, so dass kleine, etwa ein Zentimeter große Risse entstehen. Damit diese auch offen bleiben, pumpen sie Sand mit nach unten in die Tiefe - der setzt sich in die Spalten. Das Erdgas kann dann daran vorbeiströmen.
"Fracking ist ein erprobtes und bewährtes Verfahren, das in Deutschland seit 50 Jahren eingesetzt wird", versichert Westendorf-Lahouse. Neu ist die Technik selbst also nicht. Neu sind aber die Quellen, die Exxon Mobil anpeilt. Der Experte unterscheidet zwischen drei unkonventionellen Erdgaslagerstätten: Schiefergestein, Kohleflöze und darüber hinaus spezieller Sandstein, der so strukturiert ist, dass eine Erdgasproduktion nur mit Fracking möglich wird. Man spricht hier von Tight Gas.
Mit Fracking hilft der Konzern hin und wieder auch bei konventionellen Lagerstätten etwas nach, um die Produktion zu erhöhen. Seit den 90er Jahren fördert Exxon Mobil mit Hilfe von Fracking außerdem Tight Gas, etwa im niedersächsischen Söhlingen. Jetzt fasst der Konzern erstmals Schiefergas- und Kohleflözgasvorkommen im Norden Nordrhein-Westfalens und im Süden Niedersachsens ins Auge.
Angst vor dem, was kommt
Martin Knäpper, kaufmännischer Angestellter in Hamm, hat durch die Zeitung erfahren, dass auch bei ihm in Hamm demnächst nach unkonventionellen Erdgasquellen gebohrt werden soll, von dem neu gegründeten Unternehmen HammGas. Denn unter Hamm liegt Kohleflözgas.
"Bei Recherchen im Internet hab ich gesehen, dass in den USA seit Jahren nach Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten gebohrt wird - mit riesigen Schweinereien für die Umwelt", berichtet Knäpper. "Da werden tausende Liter Chemikalien in die Erde gepumpt, da wird das Gestein aufgebrochen, da tritt das Methan teilweise ins Grundwasser aus, und in großen Regionen ist teilweise das gesamte Grundwasser verseucht. Das Ganze ist eine sehr riskante Geschichte."
Als Teil der Bürgerinitiative gegen Gasbohren Hamm setzt der Familienvater alles daran, die Bohrungen zu verhindern. Damit ist er nicht alleine: In großen Teilen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens haben sich die Anwohner in Bürgerinitiativen organisiert.
Viel Chemie
Zum Fracken braucht man viel Chemie: Wasser und Sand mischen sich nämlich nicht gut. Daher muss man der Mischung Substanzen beisetzen, welche die Flüssigkeit dickflüssiger machen - ähnlich einem Soßenbinder - damit sich der Sand nicht absetzt. Wenn die Frac-Flüssigkeit in der Tiefe angekommen ist, muss diese Verdickung wieder rückgängig gemacht werden, denn der Sand soll dort verbleiben, das Wasser aber muss zurückgepumpt werden, um den Weg für das Erdgas frei zu machen. Daher machen andere Chemikalien das Gemisch wieder dünnflüssig.
Dann gibt es Stoffe, die dafür sorgen, dass die Flüssigkeit gut nach unten gleitet oder die verhindern, dass in der Tiefe das Gestein aufquillt. Biozide wiederum halten Bakterien und Pilze von der Flüssigkeit fern.
Die Verdünnung macht's
"Insgesamt ist dieser Anteil der chemischen Zusätze an der Gesamtflüssigkeit sehr gering, mitunter weniger als 0,2 Prozent, in anderen Fällen auch zwei bis fünf Prozent, das hängt im Einzelfall von der Lagerstätte ab", sagt Westendorf-Lahouse. "Die Gesamtflüssigkeit ist weder umweltgefährdend noch giftig und ist nach Chemikalienrecht auch nicht kennzeichnungspflichtig", versichert sie.
Das heißt allerdings nicht, dass die einzelnen Bestandteile in purer Form alle harmlos sind: Biozide zum Beispiel gelten als umweltgefährlich, andere Mittel sind giftig. Hier macht es einfach die starke Verdünnung. Doch oft ist nicht nur die relative, sondern auch die absolute Menge entscheidend: Bei einem Frac im niedersächsischen Goldenstedt hat Exxon Mobil nach eigenen Angaben über sechs Millionen Kilogramm Flüssigkeit benutzt mit über 93.000 kg Chemikalien - laut Homepage waren darunter "58.034 kg gefährliche Chemikalien".
"Ein Großteil der Frac-Flüssigkeit wird unmittelbar nach dem Frac-Vorgang wieder zurückgefördert und ein weiterer großer Teil wird mit der Erdgasförderung nach oben transportiert", erklärt Riva-Westendorf-Lahouse. Anders übersetzt heißt das aber: Ein Teil der Fracking-Flüssigkeit bleibt augenscheinlich für immer im Gestein. Und auch das, was zurückgepumpt wird, landet später offensichtlich unter Tage: "Die Frac-Flüssigkeit wird dann gemeinsam mit dem Lagerstättenwasser, was natürlicherweise im Gestein vorkommt und nach oben gefördert wird, in hierfür extra zugelassene und behördlich genehmigte Gesteinsschichten verpresst".
Brennende Wasserhähne
"Besonders große Sorge macht mir, dass unser Grundwasser hier verseucht werden könnte - entweder durch Frac-Flüssigkeit oder durch austretendes Methan", berichtet Martin Knäpper. Im Jahr 2010 erregte eine Dokumentation über die angeblichen Auswirkungen von Fracking in den USA viel Aufsehen: Der Film zeigte Wasserhähne, deren Wasser mit so viel Methan verunreinigt war, dass man es mit einem Feuerzeug anzünden konnte. "Was sollen wir machen, ohne frisches, sauberes Wasser?", fragt Knäpper.
Exxon Mobil sei darauf bedacht, dass weder Flüssigkeit noch Erdgas in die trinkwasserführenden Schichten gelangen könne, versichert die Pressesprecherin: "Die Bohrung ist nicht einfach nur ein Loch im Untergrund, sondern wie ein teleskopartiges Bauwerk. In der Höhe der trinkwasserführenden Schichten ist diese Bohrung durch mehrere Schichten Stahl und Zement abgegrenzt." Das Trinkwasser sei also sicher.
Damit überzeugt sie Martin Knäpper nicht: "Man weiß doch gar nicht, was in den nächsten fünfzehn Jahren passiert", entgegnet er. "Gibt es beispielweise Bewegungen im Erdreich, entstehen neue Risse, rosten die Stahlrohre, wird der Beton brüchig? Das Risiko ist überhaupt nicht abschätzbar!"
Fragen? Nein, Widerstand!
Kann Ritva Westendorf-Lahouse die Bedenken der Anwohner nachvollziehen? "Wir können verstehen, dass es Fragen gibt zu einer Technologie, die man nicht sehen kann, weil sie im Untergrund stattfindet. Und es ist unsere Verantwortung, diese Fragen auch zu beantworten", antwortet sie darauf.
Doch über das Fragen sind die Bürger weit hinaus: Sie wehren sich massiv. "Wir sind generell gegen das Bohren nach Erdgas in unkonventionellen Lagerstätten. Es gibt bisher keine Variante, die wir dulden oder der wir zustimmen könnten", fasst Martin Knäpper zusammen.
Wissenschaftler untersuchen derzeit, unter welchen Kriterien Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten sicher und umweltverträglich aufgesucht und gefördert werden kann und ob das überhaupt möglich ist. Das gilt jedoch nur für Erdgasvorkommen in Schiefergestein und Kohleflözen - bei Tight Gas beispielsweise ist das Fracken schon Routine.