Kein prinzipielles Kopftuchverbot
24. September 2003In der Türkei, dem Herkunftsland der größten Migrantengruppe in Deutschland, ist das Kopftuch in staatlichen Einrichtungen verboten. In Frankreich wird seit 14 Jahren über das Thema gestritten und Premierminister Jean-Pierre Raffarin hält ein neues Kopftuchverbot für möglich. In Großbritannien ist das Kopftuch kein Thema - hier dürfen auch Beamtinnen, ganz gleich ob in der Schule oder bei der Polizei, grundsätzlich am Arbeitsplatz das Kopftuch tragen.
Und auch in Deutschland gibt es keine einheitliche Regelung in dieser Frage. Hier hat am Mittwoch (24. September 2003) das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Fereshta Ludin, einer deutsche Lehrerin afghanischer Herkunft, im Unterricht das Tragen eines Kopftuchs auf der derzeitigen Gesetzesgrundlage nicht verboten werden darf. Sie war nicht in den Staatsdienst in Baden-Württemberg übernommen worden, weil sie aus religiöser Überzeugung nicht bereit war, das Kopftuch im Schulunterricht abzulegen. Baden-Württemberg kann ihr das Tragen eines Kopftuchs nur verbieten, wenn es dafür ein neues Gesetz verabschiedet.
Keine Konfliktsituation
Eingeschränkte Freiheiten für Anhänger islamischen Glaubens in Deutschland sieht der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Nedeem Elyas, insgesamt nicht: "Es gibt keine Situation, in der das Gesetz in Deutschland einem Muslim, einer Muslima vorschreibt, gegen das eigene Gewissen, gegen die eigene Überzeugung etwas zu tun oder etwas zu unterlassen. Ich darf beten, wie ich will. Ich kann essen oder lassen, was ich will. Und das Gesetz verpflichtet mich zu nichts anderem. Diese Konfliktsituation haben wir nicht."
Vor allem in den großen Städten gehören Frauen mit Kopftuch längst zum Straßenbild in Deutschland. Dass es grundsätzlich keine Einschränkungen am Arbeitsplatz geben darf für Frauen, die aus religiösen Gründen ihr Haar mit dem Tuch bedecken, hatte kürzlich das Bundesarbeitsgericht im Falle einer Verkäuferin erneut bestätigt. Schließlich gehört das Recht auf freie Religionsausübung zu den Grundrechten in Deutschland und beinhaltet auch das Tragen entsprechender Symbole.
"Das liegt im Ermessen jeder einzelnen Frau"
Allerdings herrscht auch in der islamischen Welt Uneinigkeit darüber, ob und in welcher Form der Koran von den Frauen fordert, sich in der Öffentlichkeit zu verhüllen. Das Tragen des Kopftuchs gilt keineswegs in allen islamischen Kulturkreisen als religiöse Pflicht. Vielfach wird es vor allem von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen als Symbol weiblicher Unterdrückung in islamischen Gesellschaften wie Iran, Saudi-Arabien oder Afghanistan bewertet. Hamideh Mohaghegi, in Deutschland lebende Iranerin, arbeitet für die muslimische Frauenzeitschrift "Huda" und trägt selbst das Kopftuch. Sie tritt für den emanzipierten Umgang mit der Kopfbedeckung ein: "Ich finde, das Kopftuchtragen oder Nichttragen liegt im Ermessen jeder einzelner Frau und auch im Verständnis ihrer Religiosität."
Für die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, Herausgeberin der Frauenzeitschrift "Emma", passen Kopftuch und Emanzipation nicht zusammen. Im Fall der afghanischen Lehrerin bezeichnete sie das Kopftuch als Flagge "islamistischer Kreuzzügler" und äußerte die Vermutung, diese sei von fundamentalistischen Organisationen in eine juristische Offensive geschickt worden, um in Deutschland das Recht auf "Kopftuchlehrerinnen" durchzusetzen.
Neutralitätsgebot im Unterricht
Das Recht, mit Kopftuch zu unterrichten, wird allerdings von den Schulbehörden der meisten deutschen Bundesländer gar nicht bestritten. Im Bundesland Baden-Württemberg dagegen bestätigten die Gerichte in allen Instanzen die Auffassung der Landesregierung, dass es zum so genannten Neutralitätsgebot des Staates gehört, dass Lehrerinnen ohne religiös vorprägende Symbole zum Unterricht kommen.
Auch die christlichen Kirchen in Deutschland tun sich schwer, auf die Herausforderung mit dem Kopftuch eine eindeutige Antwort zu finden. Die evangelische Theologin Annegret Brauch warnt vor der höchstrichterlichen Zulassung des Kopftuchs und fürchtet, dass eine solche Entscheidung als Unterstützung muslimischer Gruppen in Deutschland interpretiert wird. Andere - wie der katholische Bischof Heinz Josef Algermissen - sehen kein Problem, solange eine Frau damit zeigt, dass ihr der Glauben wichtig sei und nicht etwa die öffentliche Provokation gesucht werde. Nur eines scheint festzustehen - zu Ende ist die Debatte mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in Deutschland noch lange nicht.