1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Keine Chance gegen Fake News?

28. August 2018

In Chemnitz lösen falsche Nachrichten im Netz Ausschreitungen aus. Die Ereignisse in Sachsen zeigen exemplarisch, was Lügen im Internet anrichten können.

https://p.dw.com/p/33rPr
Chemnitz Abbruch von Stadtfest
Bild: picture-alliance/dpa/A. Seidel

Seit neun Jahren ist Torsten Kleditzsch nunmehr Chefredakteur der "Freien Presse" in Chemnitz, der größten Zeitung Sachsens, aber die vergangenen Tage gehörten für den Journalisten zweifellos zu den schwierigsten. Nach einem Todesfall bei einem Stadtfest in Chemnitz kursieren Gerüchte über eine versuchte Vergewaltigung und einen zweiten Toten im Netz. Kleditzsch und seine Kollegen versuchen verzweifelt, diese Fake News zu widerlegen. Und sind am Ende doch machtlos: "Wir haben es in diesem Fall nicht mehr eingefangen bekommen. Selbst gute journalistische Arbeit stößt an ihre Grenzen, wenn es darum geht, eine Geschichte, die schon in der Welt ist, zu korrigieren."

Nicht mehr eingefangen bedeutet: Am Tag darauf kommt es in Chemnitz zu Ausschreitungen durch rechte Gruppen, Ausländer werden attackiert, Polizisten mit Flaschen beworfen. Die Bundesregierung verurteilt daraufhin die Ereignisse in Chemnitz aufs Schärfste. Weitere Demonstrationen folgen. Und Journalisten wie Kleditzsch merken, dass sie bei manchen Usern und Lesern trotz - oder vielleicht gerade - wegen der Einhaltung aller journalistischer Standards den Wettlauf mit den Fake News verlieren. "Wir haben die klassische journalistische Arbeit gemacht, wir haben unsere Quellen kontaktiert: die Polizei, die Ermittlungsbehörden, die Stadt, den Veranstalter des Stadtfestes. Und wir waren selbst draußen mit mehreren Kollegen, um mit eigenen Augen zu sehen, was passiert."

Fake News
"Die richtige Antwort von Journalisten kann nur gute Arbeit sein" - sagt Torsten Kleditzsch von der "Freien Presse"Bild: picture-alliance/Photopqr/L'Alsace/J.F. Frey

Bei dem Umgang mit Fake News ist es ein bisschen so wie bei der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel. Die Falschinformationen sind immer schon da. Und das Rennen bei einigen Usern damit schon verloren. Auch, weil man als Journalist immer wieder in die gleiche Falle tappt - oder besser gesagt tappen muss: "Wenn du ein Gerücht mit Fakten dementierst, transportierst du automatisch auch das Gerücht weiter. Und was am Ende hängenbleibt, ist eben nicht das Dementi, sondern das Gerücht", erläutert Torsten Kleditzsch ein Beispiel aus der Kommunikationsforschung.

Fake News kennzeichnen - und löschen?

Mit eben diesen Theorien kennt sich Stephan Weichert bestens aus. Der Medienwissenschaftler hat eine klare Meinung: "Falschinformationen müssen als Fake News gekennzeichnet werden. Und dies ist Aufgabe des Journalismus, gerade weil wir im Umgang mit Fake News noch keine richtige Lösung gefunden haben." Wie diese Lösung aussehen könnte, ist für Weichert klar. "Fake News sollten nicht nur gekennzeichnet, sondern auch gelöscht werden - durch Plattformen wie zum Beispiel Facebook. Und die User, die Falschinformationen verbreiten, juristisch belangt werden."

Stephan Weichert Medienwissenschaftler an der HMS
Medienwissenschaftler Stephan Weichert: "Fake News sollten gelöscht werden"Bild: Hamburg Media School

Der Druck, unter dem Journalisten stehen, ihre Geschichte so schnell wie möglich zu veröffentlichen, ist laut Weichert dabei gar nicht neu: "Exklusiv sein wollten auch schon die Journalisten vor 30 Jahren, also seit wir Live-Medien wie Radio oder Fernsehen haben." Dabei müsse aber immer noch der gleiche Grundsatz gelten: "Journalistische Qualität und professionelle Arbeit brauchen Zeit. Das ist wie bei einem Handwerker, der ein Bad fliest - auch der braucht Zeit, wenn es gut werden soll." Journalisten dürften sich nicht dem Reflex hingeben, möglichst schnell Informationen weiterzutragen. Weil sich daraus eine Eigendynamik entwickeln könne, mit unabsehbaren Konsequenzen und Risiken: "Menschen können vielleicht gefährdet oder die Ermittlungen der Behörden beeinträchtigt werden."

Richtigkeit sollte Schnelligkeit schlagen - auch und gerade im Netz

Die Geschehnisse in Chemnitz sind für Weichert ein erschreckendes Beispiel dafür, was passiert, wenn sich Mutmaßungen verselbständigen und rasant verbreiten. Sein Rat an Journalisten ist trotzdem: "Richtigkeit vor Schnelligkeit. Immer zwei Quellen haben. Und nie dem Druck der Exklusivität nachgeben." Journalisten müssten immer ihre Recherchen verifizieren, "das heißt fragen: Woher kommen diese Behauptungen, können sie überhaupt wahr sein?". Enorm wichtig sei außerdem die Transparenz über die eigene Arbeit: "Die Journalisten müssen sagen, wenn sie noch keine bestätigten Informationen haben, damit der User weiß, in welchem Stadium der Recherche sie sich befinden", so Weichert.

Deutschland NSU Prozess
Der NSU-Prozess in München bot für die Freie Presse in Chemnitz die große Chance, Fake News die Stirn zu bietenBild: Reuters/M. Rehle

Torsten Kleditzsch, der Chefredakteur der "Freien Presse", wird wahrscheinlich auch in nächster Zeit alle Hände voll damit zu tun haben, Fake News einzufangen. Ein Rezept hat er dabei schon erfolgreich ausprobiert: so gut zu recherchieren, dass niemand auf die Idee kommen kann, an der Wahrheit zu rütteln: "Unsere Region Chemnitz und Zwickau war ja das wichtigste Rückzugsgebiet für den Nationalsozialistischen Untergrund NSU. Und wir haben uns als Redaktion die Aufgabe gestellt, dass niemand über dieses Netzwerk besser Bescheid wissen sollte als wir. Mit Erfolg!"

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur