Keine Eile bei Sanktionen gegen den Iran
1. September 2006Einmal im Halbjahr treffen sich die Außenminister der Europäischen Union traditionell zum gemeinsamen strategischen Nachdenken irgendwo in dem Land, das gerade die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Diesmal fallen die 25 Außenminister samt Diplomatenstab und Medientross in der 49.000-Seelen-Stadt Lapeenranta an der Grenze Finnlands zu Russland ein (1.9 -2.9.2006).
Ursprünglich sollte es dort zwei Tage lang um die Beziehungen der EU zu Russland gehen, doch die aktuelle Lage im Nahen und Mittleren Osten macht den gastgebenden Finnen einen Strich durch die Rechnung: Jetzt, so schrieb der finnische Ratspräsident und Außenminister Erkki Tuomioja in seiner "Hirtenbrief" genannten Einladung an die Ministerkollegen, müsse man sich mit einem Gesamtkonzept für den Nahen Osten beschäftigen.
Hoffnung auf Einlenken Irans
Die Minister treffen sich einen Tag nach dem Ablaufen des UN-Ultimatums gegen den Iran. Die Diskussionen werden sich deshalb darum drehen, wie man auf die Haltung des Iran reagieren sollte. Die drei EU-Staaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland hatten im Namen Europas mit dem Iran verhandelt. Schließlich hatte der Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen der Führung in Teheran ein zweites Paket mit wirtschaftlichen Anreizen vorgelegt, um Teheran zum Verzicht auf Urananreicherung zu bewegen.
EU-Außenbeauftragter Javier Solana klammerte sich vor wenigen Tagen noch an die Hoffnung, dass die ablehnende Antwort Irans an den Sicherheitsrat nicht das letzte Wort sei. Solana, der in Kontakt mit dem iranischen Unterhändler Ali Laridschani steht, sagte: "Es gibt neue Elemente in dem Dokument, das lang ist, nämlich mehr als 20 Seiten. Wir müssen es erst einmal richtig verstehen, bevor wir auf das Dokument antworten können."
Sanktionen könnten Ölpreis in die Höhe treiben
Sowohl die USA als auch Frankreich und Deutschland haben bereits erklärt, dass die Weigerung Irans, wenigstens vorübergehend die umstrittene Anreicherung und den Bau der dazu nötigen Zentrifugen einzustellen, Verhandlungen unmöglich mache. Dennoch werden die EU-Außenminister nicht darauf drängen, den Weltsicherheitsrat schnell einzuschalten und Sanktionen gegen den Iran zu verhängen.
Der britische UN-Botschafter Emyr Jones Parry kündigte an, das höchste UN-Gremium werde sich wahrscheinlich erst Mitte September mit dem Atomstreit befassen. Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier sagte, er sei sicher, dass es noch weitere Versuche geben werde, die iranische Position aufzuweichen. Die bisherige Antwort des Iran reiche für die Eröffnung des Verhandlungsweges aber nicht aus.
Am Samstag (2.9.2006), wenn die Minister in Lapeenranta zusammensitzen, reist UN-Generalsekretär Kofi Annan nach Teheran, um zu vermitteln. Sollten die Versuche aber scheitern, müsse die EU eine Antwort parat haben, so EU-Diplomaten. In Lapeenranta sollen deshalb mögliche Sanktionen gegen Iran durchgesprochen werden. Waffengewalt lehnen fast alle EU-Staaten ab: Scharfe wirtschaftliche Sanktionen, etwa ein Ölembargo, würde auch die Kunden - nämlich Europäer und Chinesen - treffen, warnen Diplomaten. Der ohnehin hohe Weltmarktpreis für Öl könnte drastisch steigen.
Blauhelme in den Libanon: "EU erfüllt die Erwartungen"
Im Libanon-Konflikt wird erwartet, dass die Außenminister noch einmal ihre Bereitschaft betonen, sich an der internationalen Blauhelm-Truppe mit über 7.000 Soldaten zu beteiligen. Ein Engagement, das vermutlich mehrere Jahre andauern werde, so Finnlands Außenminister Erkki Tuomioja nach der Sondersitzung der Außenminister vergangene Woche: "Ich glaube, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten die Erwartungen erfüllen, die man an uns hat."
Dies sei keine EU-Operation, sondern eine Angelegenheit der Vereinten Nationen. Ziel müsse ein souveräner Libanon sein. Parallel zur Sicherung der Waffenruhe müsse über eine politische Lösung der Krise mit den beteiligten Parteien beraten werden. Die EU erklärt sich außerdem zu umfassender Wiederaufbau-Hilfe im Libanon bereit.
Als einziger Weg, den israelisch-palästinensischen Konflikt als Zentrum der Nahostkrise zu lösen, erscheint den EU-Außenministern der internationale Friedensplan, die Road map, die die friedliche Koexistenz von zwei Staaten, Israel und Palästina, anstrebt. Mangels Alternativen beschwören die EU-Minister - fast schon verzweifelt - die Road map immer wieder.
Beschlüsse werden in Lapeenranta aber nicht gefasst: Man trifft sich informell, also ohne feste Tagesordnung - manche Minister kommen sogar ohne Krawatte an die finnische Seenplatte nach Südkarelien.