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Ehrenmorde in Deutschland

Martin Koch30. Januar 2013

In Deutschland gibt es pro Jahr 12 bis 15 dokumentierte sogenannte "Ehrenmorde". Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich viel höher. Welche Rolle spielt dabei die Religion? Und wie können solche Taten verhindert werden?

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Demonstration nach der Ermordung von Arzu Ö. (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Vor dem Landgericht Detmold sitzt Fendi Ö. auf der Anklagebank. Der 53-Jährige soll die Ermordung seiner eigenen Tochter in Auftrag gegeben haben - bei seinen fünf anderen, erwachsenen Kindern. Die vier Söhne und eine Tochter wurden im vergangenen Jahr wegen des Mordes an ihrer Schwester Arzu Ö. zu Haftstrafen verurteilt. Jetzt geht es um die Rolle des Vaters. Bei einem Schuldspruch droht ihm lebenslange Haft.

Dr. Milad Karimi, Universität Münster, Zentrum für Islamische Theologie (Foto: M. Karimi)
Dr. Milad Karimi: Islam hat nichts mit "Ehrenmorden" zu tunBild: by-sa/Ahmad Milad Karimi

Der Kurde war dagegen, dass seine damals 18-jährige Tochter einen deutschen Freund hatte. Als Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Jesiden hätte sie nur mit einem anderen Jesiden eine Beziehung haben dürfen. Als sich die junge Frau weigerte, sich von ihrem Freund zu trennen, musste sie im November 2011 sterben.

Keine religiösen Motive

In vielen Presseberichten werden sogenannte "Ehrenmorde" in einen Zusammenhang mit dem Islam gebracht, weil Täter und Opfer aus islamisch geprägten Ländern kommen. Doch für den Islamwissenschaftler Milad Karimi von der Universität Münster ist klar, dass die sozio-kulturelle Herkunft aus stark patriarchalen Gesellschaften dafür verantwortlich ist, dass Menschen Familienmitglieder umbringen, um so vermeintlich das Ansehen der Familie zu retten. Das gebe es in Italien und Spanien genauso wie in Afghanistan, Pakistan oder in der Türkei. Die Religion ist es sicher nicht, betont er im Gespräch mit der DW: "Der Islam kann gar nichts damit zu tun haben, weil die theologische Prägung des Islams so verfasst ist, dass Leben bewahrt werden soll. Das Leben ist heilig. Gott ist Leben. Der Koran ist ein Buch für das Leben."

Die Düsseldorfer Rechtsanwältin Gülşen Çelebi hat schon häufig muslimischen Frauen vor Gericht beigestanden, die Opfer von Gewalt und Unterdrückung waren. Immer wieder stellt sie fest, dass viele von ihnen vom öffentlichen Leben nahezu ausgeschlossen sind, nur in den traditionellen Strukturen leben und sich nicht trauen, aus diesen Strukturen auszubrechen. Deshalb sei Aufklärung so wichtig, sagt sie gegenüber der DW: "Man muss den betroffenen Frauen zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, ihnen zu helfen. Man muss auch die Familienstrukturen verstehen, um helfen zu können." Wichtig sei es, in Gemeinschaften wie zum Beispiel die jesidische hineinzugehen und dort Alternativen aufzuzeigen zu den traditionellen patriarchalischen Strukturen.

Rechtsanwältin und Schriftstellerin Gülsen Celebi (Foto: imago stock&people)
Rechtsanwältin Gülşen Çelebi: Aufklärung ist wichtigBild: imago stock&people

Als Negativ-Beispiel für nicht erfolgte Integration nennt sie den Vater der ermordeten Arzu Ö. Er stehe stellvertretend für Viele, die vor Jahrzehnten als Gastarbeiter ins Land geholt wurden in der Erwartung, sie würden anschließend wieder in ihre Heimat zurückkehren - was sie wegen ihrer Familien dann aber nicht taten: "Dieser Mann lebt hier mit seinen alten Strukturen, weil man ihm keine neuen Strukturen in die Hand gegeben hat. Und dann bekommt er mit, dass seine Tochter nach diesen neuen Strukturen leben möchte, die er aber nicht kennt. Vor allem, was man nicht kennt, hat man Angst", sagt Gülşen Çelebi.

Ein langer Weg

Der Weg zu einer Veränderung muss, da sind sich Experten einig, über die Jugend führen. In Berlin, Duisburg und einigen anderen Städten gibt es Projekte, die sich mit großem Erfolg speziell an Jungen mit muslimischem Hintergrund wenden, um sie dazu zu bewegen, sich von traditionellen und frauenfeindlichen Vorstellungen zu lösen. Und auch die kommende Generation von islamischen Theologen habe das Potenzial, verkrustete Strukturen aufzubrechen, erzählt Milad Karimi: "Wissen Sie, es ist so toll. Am Montag kommen meine Studenten und sagen 'Am Wochenende habe ich mit meinen Eltern gesprochen. Die sind total verblüfft, sie verstehen mich nicht - und dann haben wir stundenlang bis in die Nacht diskutiert!' und das ist toll, das ist, als würden wir die Eltern mitnehmen."

Doch es wird noch viel Zeit vergehen, bis Eltern ihre Kinder nicht mehr verstoßen oder ihnen sogar wegen eines zu weltlichen Lebensstils nach dem Leben trachten, vermutet Gülşen Çelebi. Vielleicht in dreißig Jahren, so hofft sie, werde man nicht mehr über das Problem "Ehrenmorde" reden müssen. Bis dahin empfiehlt sie allen jungen Frauen, die unter dem archaischen Rollenverständnis in ihren Familien leiden, sich sofort Hilfe zu holen: "Sofort das Jugendamt aufsuchen, eventuell einen Anwalt dazuschalten - auf keinen Fall allein versuchen, das Problem zu lösen."