Keine Kritik in "Goldenen Zeiten"
20. Oktober 2015Zehn Jahre ist es her, dass ein chinesisches Staatsoberhaupt Großbritannien besuchte. 2005 empfing der damalige Premier Tony Blair Chinas Präsident Hu Jintao. Nun besucht dessen Nachfolger Xi Jinping für vier Tage das Vereinigte Königreich. Von den Gastgebern wird er mit allen Ehren empfangen: Ein Dinner mit der Queen steht auf dem Programm, genauso wie ein Besuch im Parlament und natürlich bei Premierminister David Cameron in der Downing Street No. 10. Der Gast aus China wird im Buckingham-Palast nächtigen.
"Für Präsident Xi sind die Bilder, die das Publikum in China sehen wird, besonders wichtig", sagt Steve Tsang von der Universität Nottingham im Interview mit der DW. "Es gibt keinen optisch eindrucksvolleren Staatsbesuch als den Empfang bei Queen Elizabeth II."
Deals im Wert von 40 Milliarden Euro
Der Grund für die britische Charmeoffensive: London hofft auf Milliardeninvestitionen aus China. Während des Besuchs von Xi soll ein Abkommen zwischen den Staaten geschlossen werden, das den Weg für einen von China mitfinanzierten Atomreaktor in Südengland frei macht. Als nächstes könnte China selbst Atomanlagen in Großbritannien bauen, wie Schatzkanzler George Osborne angedeutet hat. Sicherheitsexperten warnen jedoch eindringlich davor, strategisch wichtige Infrastruktur in die Hände Chinas zu geben.
Die Briten werben zudem für chinesische Investitionen in einen Hochgeschwindigkeitszug von der Hauptstadt in den Norden des Landes. Außerdem will die Regierung London zum führenden Standort für chinesische Finanztransaktionen außerhalb Chinas machen - eine Position, die unter anderem auch der Finanzplatz Frankfurt anstrebt.
Nach Angaben des Büros von Premier Cameron geht es bei der Xi-Visite um Deals in einer Gesamthöhe von 40 Milliarden Euro und um die Schaffung von knapp 4000 Arbeitsplätzen. "Dies wird ein sehr wichtiger Moment für die britisch-chinesischen Beziehungen", sagte Cameron im Vorfeld des Besuchs. "Es ist eine echte Möglichkeit, unser Verhältnis zu vertiefen."
Eiszeit und Tauwetter
Die Beziehungen zwischen Großbritannien und China waren in den vergangenen Jahren angespannt. 2012 traf Cameron den Dalai Lama, sehr zum Ärger der chinesischen Regierung. Der britische Premier war für anderthalb Jahre Persona non grata in Peking. London war von dem Ausmaß der Eiszeit überrascht. "Wir standen länger in der Schmuddelecke, als das Außenministerium vorhergesagt hatte", zitiert die BBC einen hochrangigen Londoner Regierungsbeamten.
Mittlerweile hat sich die Lage entspannt. Der chinesische Botschafter in London, Liu Xiaoming, spricht gar vom Beginn eines "Goldenen Zeitalters" in der Beziehung beider Staaten. Das liegt vor allem an der China-Politik von Finanzminister Osborne. Großbritannien war eines der ersten westlichen Länder, die Mitglied der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) wurden. Mit dem Schritt nahmen die Briten sogar den Unmut ihres wichtigsten Verbündeten USA in Kauf. Die von China initiierte AIIB steht im Wettbewerb mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds.
Bei seinem China-Besuch im September sagte Osborne, Großbritannien wolle "Chinas bester Partner im Westen" sein. Der Schatzkanzler besuchte unter anderem die Unruheregion Xinjiang. Dort kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen der muslimischen Minderheit der Uiguren und chinesischen Sicherheitskräften. Die Uiguren sehen sich kulturell, sozial und wirtschaftlich benachteiligt und durch die systematische Ansiedlung von ethnischen Han-Chinesen zunehmend an den Rand gedrängt. Die Regierung in Peking dagegen nimmt für sich in Anspruch, den Uiguren viele Freiheiten einzuräumen und den Lebensstandard in Xinjiang zu heben. Gleichzeitig wirft die Führung uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor.
Großbritannien wolle die Entwicklung der Region unterstützen, sagte Osborne in Xinjiang – ausgerechnet genau ein Jahr, nachdem der gemäßigte uigurische Bürgerrechtler Ilham Tohti von einem chinesischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Mit Kritik an der chinesischen Regierung hielt er sich jedoch zurück. Dafür musste er sich heftige Kritik von Menschenrechtsgruppen gefallen lassen. In britischen Medien war von einem Kotau vor der chinesischen Regierung die Rede.
China verbittet sich Kritik
Auch im Vorfeld des Besuchs von Xi Jinping steht Downing Street in der Kritik. Medien, Menschenrechtsorganisationen und die Labour-Partei werfen der Regierung vor, Unrecht in China nicht zum Thema zu machen. "Ein engeres wirtschaftliches Verhältnis zu China ist im Interesse Großbritanniens. Doch kein Verhältnis lohnt den Verrat britischer Grundwerte", kommentierte die "Times". Während Xis Aufenthalt in London sind verschiedene Demonstrationen geplant. Prinz Charles, der mit dem Dalai Lama befreundet ist, wird nicht am abendlichen Bankett teilnehmen.
Doch die chinesische Seite macht selbstbewusst deutlich, dass Kritik nicht erwünscht ist. Nachdem Labour-Chef Jeremy Corbyn ankündigte, beim Staatsbankett auch das Thema Menschenrechte anzusprechen, lud Botschafter Liu Xiaoming ihn zu einem Treffen ein. In einem BBC-Interview sagte Liu: "Ich denke, die Briten sind Gentlemen und sehr klug. Sie wissen, wie man sich bei solchen Anlässen benimmt. Glauben Sie, die Labour-Partei wird die Menschenrechte bei einem Staatsbankett ansprechen? Ich glaube nicht."