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Kenia geht gegen Muslime vor

Philipp Sandner5. Februar 2014

Im Kampf gegen den Islamismus greift Kenias Polizei zu drastischen Mitteln. Nach der Verhaftung von über hundert jungen Muslimen in Mombasa gehen die Mütter auf die Barrikaden.

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ein Mann wird von der kenianischen Polizei festgenommen Foto: REUTERS/Joseph Okanga
Bild: Reuters/Joseph Okanga

Eine Schar wütender Frauen drängt sich vor den Türen des Gerichtsgebäudes im Zentrum von Mombasa. "Betrunken und mit Stiefeln in die Moschee einzudringen und sogar kleine Kinder zu treten - das ist keine Art, Muslime zu verhaften", empört sich eine. Eine andere sucht ihren Sohn: Seit gestern wisse sie nicht, wo er ist. "Wir haben ein Recht, zu wissen, wo unsere Kinder sind", stimmt eine dritte ein. "Habt ihr sie ermordet?"

Die Szene ereignete sich am Montag (03.02.2014), einen Tag, nachdem die kenianische Polizei eine muslimische Versammlung in der Musa-Moschee in der kenianischen Hafenstadt gewaltsam auflöste. Dabei war es zu Zusammenstößen gekommen. Mindestens zwei der mehreren hundert Anwesenden und ein Polizist waren ums Leben gekommen. Über hundert junge Muslime befinden sich seitdem in Polizeigewahrsam.

Keimzelle des Terrorismus?

Die Polizeiaktion vom Sonntag hat eine Vorgeschichte. Die Musa-Moschee in Mombasa hat den Ruf, Anlaufstelle für besonders radikale Muslime zu sein. Gerüchten zufolge dient sie islamistischen Gruppen als Instrument, um Jugendliche für terroristische Aktionen zu gewinnen. Im August 2012 wurde der islamistische Geistliche Aboud Rogo ermordet, der in der Moschee gepredigt hatte. Sein Nachfolger Ibrahim Ismail kam im Oktober 2013 ums Leben, als sein Auto unter Beschuss geriet - Täter unbekannt. Als Reaktion kam es in Mombasa zu gewalttätigen Ausschreitungen, Islamisten steckten eine Kirche in Brand. In der kenianischen Presse wurde darüber spekuliert, dass eine Anti-Terror-Einheit der Polizei für die Bluttat verantwortlich gewesen sein könnte. Beide Prediger galten als radikal, Aboud Rogo stand wegen seiner Verbindungen zur somalischen Al-Shabaab-Miliz auf internationalen Sanktionslisten.

Für Sonntag hatte eine muslimische Gruppe in sozialen Netzwerken zu einer Versammlung in der Musa-Moschee eingeladen. Es sei keine besondere Veranstaltung gewesen, glaubt Katrin Seidel von der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung in Kenia. Derartige Versammlungen habe es in den vergangenen Wochen und Monaten häufiger gegeben. "Sie war in keinster Weise geheim und es war klar, dass viele junge Leute aus der Region daran teilnehmen würden." Doch gerade diese jungen Leute sind offenbar der Regierung ein Dorn im Auge. Sie würden in der Moschee zu Terroristen ausgebildet - so eine weit verbreitete Meinung in Kenia. Offenbar hatten am Sonntag Teilnehmer der Veranstaltung eine Al-Shabaab-Flagge an der Moschee gehisst.

ein keniansicher Polizist mit der beschlagnahmten Al-Shabaab-Fahne Foto: REUTERS/Joseph Okanga
Konfiziert: Al-Shabaab-FahneBild: Reuters

Spirale der Gewalt

Die Angst vor dem Terror sitzt tief in Kenia. Gerade einmal drei Monate sind vergangen, seit Islamisten das "Westgate"-Einkaufszentrum in Kenias Hauptstadt Nairobi überfielen. Mehr als sechzig Menschen kamen dabei ums Leben. Es war der schlimmste Akt islamistischen Terrors, seit kenianische Truppen Ende 2011 als Teil einer afrikanischen Friedensmission in Somalia einmarschierten, um gegen die islamistische Al-Shabaab zu kämpfen. Ende Januar sprachen die Sicherheitsdienste eine neue Terrorwarnung für Kenia aus.

Der Polizeischlag gegen die Moschee stößt auch im gemäßigten Islam auf herbe Kritik. "Es sind unterschiedliche Muslime, die hier beten", sagt ein Moscheebesucher der DW. "Die Polizei sollte gezielt diejenigen verfolgen, von denen sie weiß, dass es Terroristen sind." Der Vorsitzende des islamischen Forums für Menschenrechte, Al-Amin Kimathi, äußert sich im DW-Interview besorgt über den Vorfall: "Das ist eine Aktion, die den jetzigen Zustand der Unsicherheit noch verschlimmern wird, anstatt ihn zu beruhigen, wie das die Polizei zu glauben scheint."

Polizisten dringen mit Stiefeln in die Musa-Moschee ein Foto: REUTERS/Joseph Okanga
"Ein Ärgernis": Polizisten dringen mit Stiefeln in die Moschee einBild: Reuters

Kimathi spricht von einem Ärgernis für die ganze muslimische Gemeinschaft Kenias. "Es ist klar, dass es Terrorismus gibt", sagt er. Doch die große Mehrheit der Muslime lasse sich nicht verleiten, zu Mittätern zu werden. Dass es den Islamisten gelinge, Jugendliche anzuwerben, habe mit deren spezifischer Lebenssituation zu tun: "Denen fehlt die Lebensgrundlage. Viele junge Menschen haben keine Arbeit." In diesem Umfeld, fürchtet Kimathi, könne aggressives Vorgehen der Polizei die terroristischen Strömungen stärken. Die Jugendarbeitslosigkeit sieht auch Katrin Seidel von der Heinrich-Böll-Stiftung als einen Hauptgrund für den Zulauf der Islamisten. Islam und Christentum hätten eine lange Geschichte des friedlichen Miteinanders in Kenia, sagt sie. Einen konkreten Anlass für das Einschreiten der Polizei am Sonntag sehe sie nicht.

Ein Beweis der Stärke?

Seidel vermutet jedoch, dass die neu angestoßene Polizeireform bei den Zusammenstoßen in der Musa-Moschee eine Rolle spielt. Bei dem Westgage-Anschlag im September hatten die unklaren Verantwortlichkeiten zwischen verschiedenen Polizeieinheiten und dem Militär ein solches Chaos verursacht, dass ein kenianischer Polizist ums Leben kam; daraufhin war der lange stockende Reformprozess wieder in Gang gekommen. Auch manche Führungskraft musste den Schreibtisch räumen. "Die Polizei steht unter dem Druck, sich behaupten zu müssen. Die Aktion am Sonntag war ein Versuch, ihre Rolle für die nationale Sicherheit deutlich zu machen", sagt Seidel.

Kinder hinter Gittern Foto: REUTERS/Joseph Okanga
Unter den Verhafteten sind auch viele KinderBild: Reuters/Joseph Okanga

Die Polizei selbst äußerte sich lange nicht zu den Ausschreitungen. Erst am Dienstagnachmittag trat Mombasas Polizeichef Nelson Marwa vor die Presse - und machte deutlich, dass ihm an Vermittlung nicht viel zu liegen scheint: "Vielleicht ist es nicht die Lösung, die Moscheen zu schließen", sagte er, "aber das wird unser letztes Mittel sein."