Kenia: Streit vor der Wahl
7. Juli 2017Der Wahlkampf in Kenia ist geprägt von Misstrauen. Gerade gab Präsident Uhuru Kenyatta bekannt, nicht an zwei geplanten Fernsehdebatten mit seinem Herausforderer Raila Odinga teilnehmen zu wollen. Bei der Debatte vor vier Jahren hatte sich Kenyatta von den Moderatoren ungerecht behandelt gefühlt. Kurz nach der Ankündigung zog auch Odinga sich zurück. Unabhängig davon, ob die Fernsehdebatten doch noch stattfinden, ist der Vorgang symptomatisch für einen Wahlkampf, in dem das Gespräch über politische Entwicklung und Reformen im Hintergrund steht. Der 8. August ist für die Kenianer ein Super-Wahltag: Sie stimmen nicht nur über den Staatschef ab, sondern auch über Gouverneure, Senatoren und Bezirksregierungen.
Die beiden Lager um Kenyattas Partei Jubilee und Odingas National Super Alliance (NASA) definieren sich vor allem ethnisch und regional. Und beide Lager wittern systematische Benachteiligung durch Anhänger des politischen Gegners in den Medien und Wahlinstitutionen. Bei einer Prüfung des Wählerverzeichnisses durch die Unternehmensberatung KPMG wurden zwar mehr als 80.000 Verstorbene aus den Listen entfernt - es sei jedoch möglich, dass noch eine Million Tote im Wählerverzeichnis stünden, hieß es von Seiten des Unternehmens. Beide Parteien werfen dem Gegner vor, Unregelmäßigkeiten in ihren Kerngebieten für Wahlfälschungen nutzen zu wollen.
"Ethnische und politische Polarisierung"
Bereits bei den beiden vergangenen Wahlen wurden die Ergebnisse angezweifelt: 2007 kamen bei Unruhen nach der Wahl mehr als 1000 Menschen ums Leben. 2013 focht Raila Odinga das Wahlergebnis erfolglos vor Gericht an. Da die NASA befürchtet, die Wahlkommission könnte die Auszählung zugunsten der Regierung manipulieren, hat die Partei angekündigt, die in den Wahllokalen ermittelten Ergebnisse parallel selbst zusammenzuzählen. Sollte sie zu einem anderen Ergebnis kommen als die Wahlkommission, sind Unruhen programmiert.
Die Wahlbeobachtermission der Europäischen Union hat ihre Arbeit bereits aufgenommen. Es sei "kein Geheimnis", dass man sich Sorgen mache über einen möglichen Ausbruch von Gewalt, sagt Chef-Wahlbeobachterin Marietje Schaake. Auch Kenias Nationale Kommission für Zusammenhalt und Integration (NCIC), die nach den Unruhen 2007 gegründet wurde, um die Gefahr ethnischer Konflikte zu reduzieren, sieht die derzeit angespannte Lage mit großer Sorge. Die stellvertretende Vorsitzende Irene Wanyoike diagnostiziert "eine steigende ethnische und politische Polarisierung im ganzen Land, eine Zunahme an hetzerischen Aussagen durch die politische Klasse und ihre Anhänger."
Die NCIC nennt 20 der 47 Landkreise Kenias als potentielle Brennpunkte für Gewalt bei den Wahlen. In den betroffenen Gebieten lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes. Polizei-Sprecher Charles Owino sagt, man arbeite mit der NCIC und dem Geheimdienst zusammen, die Sicherheitskräfte seien gut vorbereitet, und man gehe von friedlichen Wahlen aus. Auch Gefängniswärter, Wildhüter und Polizei-Rekruten sollen mithelfen, einen sicheren Ablauf der Wahl zu gewährleisten. Kenianische Medien berichten, es sei vorsorglich Tränengas in die zu erwartenden Brennpunkte geliefert worden.
Wandel durch die Jugend
Die Frage sei nicht, ob es zu Gewalt komme, sondern in welchem Umfang, sagt der Leiter des Ostafrika-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Ulf Terlinden. Im verbleibenden Monat vor der Wahl könne noch einiges getan werden, um eine Eskalation zu verhindern: Politiker, deren Rhetorik die Lage derzeit weiter anheize, sollten das Prozedere anerkennen und das Wahlergebnis akzeptieren, wie auch immer es ausfällt. Die Zivilgesellschaft sollte dabei unterstützt werden, den Zusammenhalt zu betonen. Die Sicherheitskräfte sollten Demonstrationen zulassen, solange sie friedlich bleiben. Und Vertreter aus dem Ausland sollten sich schon jetzt darauf vorbereiten, im Falle eines Disputs zwischen den Parteien zu vermitteln.
Während beide Lager sich siegessicher geben, sagen Umfragen einen knappen Wahlausgang voraus. Ohnehin sind Prognosen schwierig, denn die Anzahl der registrierten Wähler ist im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren um 36 Prozent gestiegen - auf fast 20 Millionen. Ob die vielen Neuwähler den bekannten Mustern folgen und nach Volkszugehörigkeit abstimmen, zeigt sich erst am 8. August. Die meisten von ihnen sind junge Leute. Ulf Terlinden sieht darin einen Ansatz für einen Wandel des politischen Systems in Kenia: "Die jungen Menschen haben die größten Probleme mit der Arbeitslosigkeit und im Bildungsbereich. Und sie haben die Chance, aus dem alten, sehr stark ethnisch-regional geprägten Denken herauszutreten. Der Trend ist auf jeden Fall da."
Mitarbeit: Jacob Bomani