Kerry in der Kritik
8. April 2014"Das hat Kerrys Ruf beschädigt", sagt Jim Phillips, Nahost-Experte der konservativen Washingtoner Heritage Foundation im Interview mit der Deutschen Welle. Das vorläufige Scheitern des vom US-Außenminister mit hohem persönlichen Einsatz betriebenen Friedensprozesses zwischen Israel und den Palästinensern zeige, "dass er die Situation falsch gedeutet und die Aussicht auf erfolgreiche Verhandlungen überschätzt hat“, so Phillips. Außerdem habe John Kerry "fürchterlich viel Zeit" in einen Prozess investiert, der hierfür noch nicht reif gewesen sei, und dabei drängendere Probleme vernachlässigt.
Nach acht Monaten rastloser Pendeldiplomatie, mehr als einem Dutzend Reisen in die Region und unzähligen nächtlichen Verhandlungsrunden hatte Kerry Ende vergangener Woche die Notbremse gezogen: Im Angesicht des möglichen Scheiterns kündigte er einen "Realitätscheck" für den Friedensprozess im Nahen Osten an. Doch es dürfte vor allem ein "Realitätscheck" für ihn persönlich werden, so schreibt die "New York Times".
Kerry malt sich die Welt schön
Und das könnte unangenehm für Kerry werden, dem der republikanische Senator John McCain gegenüber der Deutschen Welle unterstellte, er male sich die Welt schön und ignoriere die Realität. Kritik an Kerry brandet seitdem nicht nur bei den oppositionellen Republikanern auf, sondern wird auch hinter vorgehaltener Hand von Mitgliedern der Obama-Regierung geäußert.
Präsident Barack Obama sah sich indes gezwungen, seinem Außenminister öffentlich den Rücken zu stärken: "Ich bewundere, wie John das alles handhabt“, wird er zitiert. Die Unterstützung mag Kerry zu Hause helfen, Ansehen und Durchsetzungsfähigkeit im Ausland bekommt er dadurch erst einmal nicht zurück. Obama hatte Kerry im Nahost Friedensprozess weitgehend die Bühne überlassen und nur im letzten Monat in Gesprächen mit Abbas und Netanjahu versucht, den amerikanischen Druck in Richtung Einigung weiter zu erhöhen.
Auch Fortschritte erzielt
Matthew Duss vom Center for American Progress sieht es als Handicap an, dass die USA wegen vereinbarter Geheimhaltung nicht öffentlich über ihre Erfolge sprechen konnten. Anders als Jim Phillips bewertet er Kerrys Rolle grundsätzlich positiv. "Insbesondere die Bestandsaufnahme der Sicherheitslage durch General Allen war ein kluger Schachzug. Damit wurde einer der größten israelischen Sorge Rechnung getragen, nämlich der Sicherheit nach dem Ende der Besetzung." Um die Jahreswende habe sich dadurch ein Zeitfenster für eine mögliche Einigung geöffnet.
Duss sieht Kerrys Hauptversäumnis darin, "dass er das Fehlen jeglichen Vertrauens unterschätzt hat". Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sei bereits geschwächt in den Friedensprozess hineingegangen, isoliert in seiner Regierung und innerhalb der palästinensischen Gruppierungen. Und auch wenn Premierminister Benjamin Netanjahu noch am Sonntag bekräftigte, Israel sei "bereit, die Gespräche fortzusetzen": Sein Willen zu ernsthaften Verhandlungen wurde bis zuletzt von Experten bezweifelt.
Und diese Skepsis erwies sich laut Duss als berechtigt, nachdem sich die israelische Regierung in der vergangenen Woche weigerte, wie versprochen eine weitere Gruppe palästinensischer Gefangener freizulassen. Nicht zuletzt diese Weigerung trieb Abbas dazu, einen letzten Trumpf auszuspielen und für den "Staat Palästina" Beitrittsdokumente zu einer Reihe internationaler Vereinbarungen und Konventionen zu unterzeichnen, was im Fall der jeweiligen Aufnahme einer Anerkennung der palästinensischen Staatlichkeit gleichkäme. Israel und die USA hatten dies immer abgelehnt.
Welche Autorität hat Abbas?
Kerry übersah Phillips zufolge, dass die Abbas-Regierung keine Autorität in dem von der radikalislamischen Hamas beherrschten Gazastreifen hat. "Die Hamas kann jede Vereinbarung mit einer neuen Runde Raketenterror torpedieren. Und das reduziert Israels Bereitschaft, Konzessionen zu machen“, unterstreicht der Experte.
Duss sieht es als "weisen" Schritt Obamas, dass er seinen geschwächten Außenminister vorerst aus der Schusslinie nimmt und die Vermittlung im israelisch-palästinensischen Tauziehen erfahrenen Diplomaten überträgt. Das bringt Zeit, die eigene Rolle zu überdenken und setzt die Akteure in der Region unter Druck. Bei Netanjahu zeige das Vorgehen bereits Wirkung. Der israelische Regierungschef sei offensichtlich sehr besorgt über die Konsequenzen eines Scheiterns, so Duss zur Deutschen Welle.
Ist die Zeit reif für den Frieden?
Israelis und Palästinenser haben die Taktung ihrer Treffen jetzt tatsächlich wieder erhöht, um die Friedensgespräche drei Wochen vor Ablauf der festgelegten Frist doch noch in die Verlängerung zu führen. Jim Phillips warnt davor, das aus seiner Sicht falsche Instrument der Fristsetzung erneut anzuwenden. "Es wäre ein Fehler, künstliche Deadlines zu setzen, selbst bei einer Rahmenvereinbarung", sagt er mit Blick auf Kerrys Festlegung, dass die Verhandlungen bis Ende April erfolgreich abgeschlossen sein müssten.
"Immer und immer wieder haben die USA verfrüht auf eine endgültige Vereinbarung gedrängt", betont Phillips und sieht Kerry in einer langen Reihe amerikanischer Präsidenten und Außenminister, die ihr politisches Prestige einbrachten und am Ende mit leeren Händen dastanden: "Wenn wir zurückblicken auf Clinton, das zweite Camp David, die Bush-Administration, die Indianapolis-Gespräche, Obama in seiner ersten Amtszeit und jetzt Kerry in der zweiten ...". Er glaube nicht, dass die Bedingungen für eine Friedensvereinbarung schon reif seien, meint Phillips.