Kuranyi: "DFB macht Özil zum Sündenbock"
9. Juli 2018Leider gibt es ein aus meiner Sicht trauriges Thema, das gerade in Deutschland immer noch diskutiert und auch hier vor Ort in Russland durchaus wahrgenommen wird. Die Problematik um Mesut Özil ist nicht gerade erfreulich und ist offenbar auch nicht so einfach zu stoppen. Ich kann die neue Dynamik bei diesem Thema nicht nachvollziehen. Mesut hat sicher vor der WM einen großen Fehler gemacht. Und er macht es mit seinem Schweigen nicht besser.
Allerdings hatten Verantwortliche des DFB und die Spieler der Nationalmannschaft die Angelegenheit bereits für beendet erklärt. Dann sollte man meiner Meinung nach auch dabei bleiben. Und weil es nicht so gut gelaufen ist und die Kritik am Nationalteam anhält, versucht man nun, sich einen Spieler herauszupicken und öffnet erneut eine Schublade, die bereits geschlossen war. Es wäre glaubwürdiger gewesen, wenn man von DFB-Seite gleich nach "Erdogate" Kritik geübt oder irgendwelche Konsequenzen gezogen hätte.
Nun soll Mesut scheinbar der alleinige Schuldige für eine missratene WM sein. Das finde ich schlecht. Da wird jemand nach vorne geschoben, um vielleicht von den eigenen Fehlern abzulenken. Das alles wirkt auf mich ehrlich gesagt eher wie ein Ablenkungsmanöver. Ich hoffe, dass diese Diskussion bald beendet wird und wir uns wieder erfreulicheren Dingen wie dem Fußball zuwenden können. Und der spielt nicht nur hier in Moskau mittlerweile eine große Rolle.
Die WM war ein großer Gewinn für Russland
Diese WM war schon jetzt ein großer Gewinn für ganz Russland. Auf dem riesigen Fanfest am Sonntag in Moskau war zu sehen, dass Russland innerhalb kürzester Zeit zu einem Fußballland geworden ist. Das habe ich mir in dieser Form nicht vorstellen können. Die "Sbornaja" hat es in ihren Spielen sehr gut gemacht, aber auch die russischen Fans haben sich hervorragend benommen und haben einen Enthusiasmus entwickelt, den man im Vorfeld nicht erahnen konnte.
Da habe ich mit meiner Einschätzung vor dem Turnier - wie einige andere auch - vollkommen daneben gelegen. Daran merkt man, was Fußball alles verändern und bewegen und vor allen Dingen, wie er die Menschen zusammenbringen kann. Ich habe Russland noch nie so fröhlich und gut gelaunt erlebt wie in den vergangenen drei Wochen. Und ich bin in dieser Zeit wirklich viel herumgekommen.
Schickt ausgerechnet Thierry Henry die Franzosen nach Hause?
Ich freue mich besonders, dass mein Weltmeister-Tipp Kroatien immer noch möglich ist. Die Mannschaft hat es verdient, so weit zu kommen, auch wenn sie ein bisschen Glück im Elfmeterschießen hatte. Ich habe meinem alten Kollegen Ivan Rakitic noch einmal ganz persönlich viel Glück und Erfolg gewünscht und hoffe, dass die Kroaten die Engländer schlagen werden. Für mich können sie den Titel immer noch holen.
Aber natürlich sind auch Frankreich und Belgien richtig starke Teams. Dass die Belgier mit Thierry Henry einen Franzosen als Co-Trainer auf der Bank sitzen haben, der mit der Equipe Tricolore bereits Weltmeister geworden ist und jetzt die Franzosen nach Hause schicken soll, finde ich sehr spannend. Es wird ein tolles Spiel - mal sehen, wer da den Tick besser sein wird.
Noch vier packende Spiele, dann ist die WM auch schon wieder vorbei. Aber ich freue mich nach diesen dann vier intensiven und in vieler Hinsicht sehr überraschenden Wochen auch schon ein bisschen auf den Urlaub. Und der wird ganz ohne Fußball verbracht.
Kevin Kuranyi begleitet die WM in Russland als DW-Kolumnist und TV-Experte der ARD. Er besitzt drei Staatsbürgerschaften von WM-Teilnehmern: Deutschland, Panama und die seines Geburtsland Brasilien. Für die DFB-Elf hat er 52 Spiele absolviert, wurde 2008 mit ihr Vize-Europameister. Nach einem Zerwürfnis mit Bundestrainer Joachim Löw, das Kuranyi im DW-Interview als "größten Fehler, den ich in meiner Fußballkarriere gemacht habe", bezeichnete, spielte er fünf Jahre lang in Russland und beendete 2017 seine aktive Laufbahn.
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