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KI: Wenn Chatbots Journalisten ersetzen

21. Juni 2023

Europas größtes Verlagshaus will Journalisten durch Künstliche Intelligenz ersetzen. Übernehmen jetzt die Chatbots?

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Ein Computerbildschirm, auf dem die Website ChatGPT des Unternehmens OpenAI zu sehen ist
Rekord-Wachstum: In nur zwei Monaten konnte ChatGPT 100 Millionen Nutzer gewinnenBild: MARCO BERTORELLO/AFP/Getty Images

Europas größtes Verlagshaus Axel Springer will eine Reihe von redaktionellen Aufgaben durch künstliche Intelligenz (KI) ersetzen. In einer E-Mail, die am Montag (19. Juni) an die Mitarbeiter verschickt wurde, teilte Springer mit, man müsse sich "leider auch von Kollegen trennen, die Aufgaben haben, die in der digitalen Welt durch KI und/oder Prozesse ersetzt werden". Es gehe etwa um Redaktionsleiter, Blattmacher, Korrektoren, Sekretariate und Foto-Redakteure.

Der geplante Stellenabbau bei Springer, wo unter anderem die Marken Bild und Die Welt beheimatet sind, befeuert Ängste, dass KI die Medienbranche weltweit durcheinanderwirbeln wird. Chatbots wie ChatGPT könnten in Zukunft für das Schreiben von Nachrichten eingesetzt werden und damit menschliche Journalisten überflüssig machen.

KI hat unsere Kultur gehackt

"Zum ersten Mal schafft die Maschine selbst Sprache", sagt Ranga Yogeshwar, einer der führenden unabhängigen Wissenschaftsjournalisten in Deutschland. Auf dem Global Media Forum der DW in Bonn sprach Yogeshwar darüber, wie KI die Erstellung von Inhalten verändert. "Die Maschine hat unsere Kultur, unsere Zivilisation gehackt", so Yogeshwar.

Laut Digital News Report des Reuters Institute könnte 2023 zum "Durchbruchsjahr für künstliche Intelligenz und ihre Anwendung im Journalismus" werden. Dem Bericht zufolge gehören KI-Transkriptionstools in Nachrichtenredaktionen bereits zum Alltag. Viele Newsrooms nutzen sie auch für die Auswahl von Geschichten, die sie Nutzern empfehlen für die Erstellung von Untertiteln und für die Umwandlung von Text in gesprochene Sprache.

Was KI-Systeme wie ChatGPT schon alles können

Einige Medienunternehmen experimentieren zudem mit virtuellen Nachrichtensprechern. Und Apps wie "Artifact" bieten den Lesern schon heute KI-generierte Zusammenfassungen von Online-Texten zahlreicher Nachrichtenportale.

KI entlastet Journalisten

Der positive Blick: KI könnte Routineaufgaben übernehmen und damit Journalisten ermöglichen, sich auf investigative Recherchen, Reportagen und tiefgehende Analysen zu konzentrieren. "Ich denke, wir werden mehr und mehr kleine Nachrichtenorganisationen sehen, die in der Lage sind, in der Riege der Großen mitzuspielen", sagt Nilesh Christopher. Er ist Südasien-Korrespondent von "Rest of World", einem Online-Portal, das sich mit den Auswirkungen neuer Technologien auf die Gesellschaft befasst.

GMF 2023 | Edith Kimani mit Nilesh Christopher und Ranga Yogeshwar
Nilesh Christopher (Mitte) und Ranga Yogeshwar (rechts) auf dem DW Global Media Forum in BonnBild: Philipp Boell/DW

Auf dem Global Media Forum der DW in Bonn nannte Christopher das Open-Source-Recherchekollektiv "Watchdog Sri Lanka" als Beispiel. "Sie sind keine große Organisation - nur fünf bis sechs Redakteure. Aber sie waren in der Lage, all ihre Texte in ein Open-Source-System für maschinelles Lernen einzuspeisen", sagte Christopher. "Und jetzt haben sie eine Chat-Schnittstelle, über die man fragen kann: Was ist in Sri Lanka passiert, seit der ehemalige Präsident Rajapaksa ins Land zurückgekehrt ist? Und das ist die Zukunft, die ich mir wünsche".

Christopher wies darauf hin, dass nur Journalisten den Kontext von Nachrichten liefern könnten. Der Mensch sei der KI überlegen, wenn es um Kreativität, kritisches Denken oder ethisches Urteilsvermögen gehe. "Der Journalist wird weiter im Mittelpunkt stehen. Wir können nicht ersetzt werden", so Christopher.

KI produziert Fake News

"Wir haben ein neues Werkzeug, das bestimmte Prozesse beschleunigen kann", stimmt der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar zu. "Mit der KI haben wir einen Katalysator, der viel mehr Inhalte produzieren wird, als es Menschen können."

Diese Inhalte könnten jedoch irreführend oder gefälscht sein. "Von nun an können wir Inhalten nicht mehr trauen", sagt Yogeshwar. Das gelte nicht nur für aktuelle Berichte, sondern auch für Ereignisse aus der Vergangenheit. "KI kann die Geschichte buchstäblich verändern, und wer soll das überprüfen können?" Yogeshwar plädiert dafür, dass Politiker KI regulieren sollten, bevor sie die Grundfesten demokratischer Gesellschaften erschüttert.

Viele Journalisten hoffen, dass Nutzer irgendwann genug haben werden von Geschichten, die Computer ersponnen haben. Und stattdessen Berichte hören, sehen und lesen wollen, die echte Menschen erzählen. Aber selbst wenn sich dies bewahrheiten sollte, könnten Tausende von Redakteuren bereits ihren Job verloren haben.

KI: Alle Macht den Maschinen?