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Kiews Offensive und die Folgen für die Gasversorgung der EU

Arthur Sullivan
19. August 2024

Beim ukrainischen Vorstoß auf russisches Gebiet geht es auch um die Kontrolle über einen wichtigen Gasknotenpunkt. Russisches Gas wird trotzdem nicht mehr lange durch die Ukraine fließen.

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Gaspipeline mit Absperrventil im russischen Sudscha
Der russische Gasknotenpunkt in Sudscha liegt im Gebiet des ukrainischen Vormarschs in der Region KurskBild: Maxim Shipenkov/dpa/picture alliance

Durch den Vormarsch der Ukraine in der russischen Region Kursk ist der Gasknotenpunkt in Sudscha stark in den Fokus gerückt.

Nur wenige Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt liegt hier auf russischem Gebiet ein wichtiger Verteilungspunkt für Erdgas, das nach Europa exportiert wird. Das Gas aus Sibirien kommt hier an, bevor es über die Ukraine in EU-Länder wie Ungarn, Österreich und die Slowakei gepumpt wird.

In der vergangenen Woche veröffentlichte eine ukrainische Militärbrigade ein Video ihrer Soldaten in den Büros des russischen Gaskonzerns Gazprom in Sudscha und erklärte, dass die Station unter ihrer vollen Kontrolle sei. Russland beharrt dagegen darauf, dass die Ukraine keine volle Kontrolle über die Anlage habe.

Anfang dieser Woche wurden von Radio Free Europe/Radio Liberty Satellitenbilder veröffentlicht, die offenbar erhebliche Schäden an einigen der Einrichtungen nach den Kämpfen in dem Gebiet zeigten.

Gazprom erklärte jedoch in der vergangenen Woche, dass es weiterhin Gas aus Sudscha über die Ukraine pumpe, während Netzbetreiber in Österreich und Ungarn erklärten, dass die Versorgung nicht unterbrochen worden sei.

Was könnte mit dem Knotenpunkt in Sudscha während der Kämpfe passieren?

Weder die Ukraine noch Russland scheinen den Gastransport über Sudscha derzeit beenden zu wollen - vorausgesetzt, die entsprechende Infrastruktur wird nicht beschädigt.

Gasknotenpunkt Sudscha in der russischen Region Kursk
Sudscha: Schlüssel für die verbleibenden russischen Gaspipeline-Lieferungen in die EUBild: Maxim Shipenkov/epa/dpa/picture-alliance

Benjamin Hilgenstock von der Kiewer Wirtschaftshochschule sagt, dass die Ukraine, wenn sie den Durchfluss von russischem Gas beenden wollte, dies jederzeit von ihrem eigenen Territorium aus tun könnte, so dass es keinen Grund gibt, die Station in Sudscha zu diesem Zweck zu erobern.

"Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das relevant ist", sagt er der DW. "Wenn die Ukraine den Transit von russischem Gas stoppen wollte, könnte sie das tun."

Sudscha ist der einzige Transitknotenpunkt in Russland, der noch Gas in Richtung Ukraine weiterleitet. Im Mai 2022, wenige Monate nach der russischen Invasion in der Ukraine, beendete Kiew die Gaslieferungen über den Knotenpunkt Sochraniwka im Osten der von Russland kontrollierten ukrainischen Region Luhansk.

Wie lange wird russisches Gas noch durch die Ukraine nach Europa fließen?

Im Dezember 2019 schlossen Moskau und Kiew ein fünfjähriges Abkommen über die Durchleitung von russischem Gas durch die Ukraine, an dem die staatlichen Unternehmen Gazprom und Naftogaz beteiligt sind.

Der Vertrag läuft im Dezember 2024 aus, und Kiew hat schon lange signalisiert, dass es ihn nicht verlängern will. Russland sagt, dass es weiterhin Gas liefern wird, bis das Abkommen ausläuft.

Wird das Abkommen nicht verlängert, wird kein russisches Gas mehr durch die Ukraine fließen. Hilgenstock zufolge scheint es jedoch weder im Interesse der Ukraine noch Russlands zu sein, die Lieferungen vorher einzustellen.

"Die europäischen Länder, die noch immer russisches Gas durch das ukrainische Pipeline-System erhalten, wissen, dass es dafür ein Ablaufdatum am Ende des Jahres gibt", erklärt er. "Ich denke nicht, dass sie sehr glücklich wären, wenn irgendetwas mit dem Gasfluss in den verbleibenden viereinhalb Monaten passieren würde."

Wenn es um die Durchleitung von russischem Gas geht, scheint für Kiew der wichtigste Aspekt zu sein, für die EU-Länder als verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden, der sich an bestehende Gesetze hält.

Ein Mitarbeiter mit Hund unterwegs auf dem Gelände der Gas-Station im russischen Sudscha im Winter
Nicht erst seit der ukrainischen Offensive auf russischem Gebiet ist die Energie-Infrastruktur im Visier der KriegsparteienBild: Maxim Shipenkov/epa/dpa/picture-alliance

Nach Angaben der ukrainischen Zentralbank erhielt Kiew im vergangenen Jahr 1,4 Milliarden Euro aus russischen Gastransitgebühren und in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres 355 Millionen Euro. "Im Großen und Ganzen ist das für die ukrainische Seite zu vernachlässigen", sagt Hilgenstock und fügt hinzu, dass die Ukraine das Gasabkommen Ende 2024 nicht erneuern werde. "Es geht einfach zu Ende. In einer normalen Situation wäre es in irgendeiner Weise verlängert worden. Aber in diesem Fall wird es einfach nicht dazu kommen."

Warum kommt russisches Gas immer noch nach Europa?

Als der Krieg in der Ukraine begann, waren die europäischen Staats- und Regierungschefs gezwungen, sich mit der seit langem bestehenden Abhängigkeit von russischem Gas und Öl auseinanderzusetzen. Ein besonderes Problem war die Abhängigkeit bei Erdgas: Im Jahr 2021 stammte mehr als ein Drittel des importierten Erdgases in der EU aus Russland.

Die EU zögerte, Sanktionen gegen russisches Gas zu verhängen und ärgerte sich offen darüber, dass man nicht genügend Vorräte hatte. Einzelne Länder haben ihre Importe von russischem Gas jedoch mittlerweile drastisch reduziert. Nach Brüsseler Angaben sank der Anteil von russischem Pipelinegas an der Gesamtmenge von importiertem Gas von 40 Prozent im Jahr 2021 auf etwa 8 Prozent im Jahr 2023.

Bezieht man jedoch auch Flüssigerdgas (LNG) mit ein - Erdgas, das abgekühlt und verflüssigt wird, um es per Schiff transportieren zu können -, so betrug der Gesamtanteil des russischen Gases am Gesamtgas in der EU im vergangenen Jahr 15 Prozent.

Nach Angaben des gemeinnützigen Center for Research on Energy and Clean Air (CREA) in Finnlands Hauptstadt Helsinki importierte die EU in der ersten Hälfte des Jahres 2024 russisches LNG im Wert von 3,6 Milliarden Euro und russisches Pipelinegas im Wert von 4,8 Milliarden Euro. Das macht mehr als drei Viertel aller Ausgaben für russische Kohlenwasserstoffe - einschließlich Öl - aus.

Österreich, Ungarn und die Slowakei importieren noch immer Gas über Pipelines aus Russland. Fast das gesamte Erdgas in Österreich kommt aus Russland, aber die Regierung in Wien betont, dass sie aktiv nach Alternativen sucht.

Ungarn und die Slowakei haben beide gute Beziehungen zu Moskau, bereiten sich aber ebenfalls auf ein mögliches Ende der Lieferungen über die Ukraine Ende 2024 vor. Ungarn hat kürzlich ein Gasabkommen mit der Türkei abgeschlossen, wobei dieses Gas über die Turkstream-Pipeline fließt und ebenfalls aus Russland stammt.

Die Slowakei ist nach wie vor besonders abhängig, aber das slowakische Gasunternehmen SPP hat sich nach eigenen Angaben seit mehreren Jahren auf das Risiko eines Stopps der russischen Gaslieferungen vorbereitet und Verträge mit nicht-russischen Lieferanten abgeschlossen.

Abschleppen eines Flüssiggastankers im Treibeis
Russische LNG-Lieferungen in die EU sind trotz des Krieges stark angestiegen Bild: Denis Pomortsev/Zoonar/picture alliance

Hat russisches Gas eine langfristige Zukunft in Europa?

Da die ukrainische Route voraussichtlich bald geschlossen wird, wird Turkstream wahrscheinlich die einzige praktikable Pipeline-Route für russisches Gas nach Europa werden.Damit bleibt LNG der andere Hauptweg, über den russisches Gas nach Europa gelangen wird. Russisches LNG kommt in immer größeren Mengen in die EU. Frankreich, die Niederlande und Spanien gehören zu den größten Abnehmern.

Nach Angaben des Handelsdatenanbieters Kpler ist Russland inzwischen der zweitgrößte LNG-Lieferant der EU. Die LNG-Einfuhren aus Russland machten im vergangenen Jahr 16 Prozent der gesamten LNG-Lieferungen der EU aus, was einem Anstieg von 40 Prozent gegenüber 2021 entspricht.

Ein weiteres Problem ist noch immer die so genannte Umladung. Dabei wird das Gas in europäischen Häfen aufbereitet, bevor es wieder in Drittländer weltweit exportiert wird. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von CREA ergab, dass im Jahr 2023 knapp ein Viertel der europäischen LNG-Importe aus Russland (22 Prozent) auf den Weltmärkten umgeschlagen wurde.

Unterdessen berichtet das in den USA ansässige Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA), dass der Umschlag von russischem LNG in der EU in der ersten Hälfte des Jahres 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 12 Prozent gestiegen ist.

Anfang 2024 beschloss die EU schließlich, Maßnahmen zu ergreifen. Ab März 2025 wird es ein Verbot des Umschlags von russischem LNG in EU-Häfen geben.

Benjamin Hilgenstock ist der Meinung, dass die Entscheidung der EU, russische Gaslieferungen nicht zu sanktionieren, der Hauptgrund dafür ist, dass das russische Gas immer noch in die EU kommt. Gleichzeitig sei es aber wichtig anzuerkennen, wie viel getan wurde.

"Man muss ehrlich sein und zu dem Schluss kommen, dass das, was von den EU-Kohlenwasserstoffimporten aus Russland übrig geblieben ist, nur ein sehr kleiner Teil dessen ist, was ursprünglich da war. Es ist also viel erreicht worden."

 

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.