Kinderrechte in Deutschland
6. Februar 2014"Es gibt viel Gutes zu sagen über Deutschland", erklärt Kirsten Sandberg, die Vorsitzende des UN-Kinderrechtsausschusses. "Aber einzelne Bereiche bereiten uns dennoch Sorge", fügt die Expertin hinzu.
Der Maßstab, an dem Deutschland sich messen lassen muss, ist die Kinderrechtskonvention von 1989. In regelmäßigen Abständen haben sich alle 193 Staaten, die diese Konvention ratifiziert haben, einer Überprüfung zu stellen. Ende Januar war Deutschland wieder an der Reihe und der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen hat soeben seinen Abschlussbericht vorgestellt.
Darin machen die 18 unabhängigen Experten einen großen Handlungsbedarf beim Schutz von Kindern aus, die aufgrund äußerer Umstände einen ohnehin schweren Start ins Leben hatten: Kinder mit Behinderungen, Kinder aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien, Flüchtlings- und Migrantenkinder. Deutschland könne und müsse mehr tun für diese Kinder.
Bei der Vorstellung des Berichts am Sitz der Hochkommissarin für Menschenrechte in Genf war Staatssekretär Ralf Kleindieck aus dem Familienministerium auf ein aufmerksames Publikum gestoßen. Neben den Ausschussmitgliedern saßen zahlreiche deutsche Vertreter im Saal, und auch eine Gruppe von zehn Kindern und Jugendlichen war extra für diesen Termin aus der Bundesrepublik angereist.
"Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Ausschussmitglieder, liebe Kinder aus Deutschland", begrüßte der Staatssekretär die Anwesenden und zählte dann auf, was deutsche Behörden seit der letzten Anhörung im Jahr 2004 alles zum Schutz der Kinderrechte unternommen hatten.
Die Bundesregierung habe sich dieses Mal besser vorbereitet gezeigt, findet Bildungsforscher Lothar Krappmann, der selbst lange Jahre Mitglied im Genfer Kinderrechtsausschuss war. "Damals hatte ich den Eindruck, dass die Regierungsvertreter meinten, es würde reichen, wenn sie sagen, 'wir wollen ein kinderfreundliches Land sein'", erinnert sich Krappmann und lächelt. "Ja, das wollen wir ja auch und sollen wir ja auch, aber es geht hier um mehr Präzision. Kinder sollen nicht nur freundlich behandelt werden, sondern respektvoll und mit Blick auf ihre Rechte."
Die Ausschussmitglieder hatten für die Deutschland-Anhörung einen umfangreichen Themenkatalog mit kritischen Fragen ausgearbeitet: Wie verbreitet ist die Kinderarmut? Schützen deutsche Firmen im Ausland die Kinderrechte? Wie sieht es mit Maßnahmen gegen Gewalt in Familien und gegen Mobbing in der Schule aus? Welchen Diskriminierungen sind Flüchtlingskinder und Kinder in Asylverfahren ausgesetzt? Die jugendlichen Zuhörer im Saal waren beeindruckt von der guten Vorbereitung und den hartnäckigen Fragen der Experten. "Was ich sehr gut fand, dass es erst mal eine freundliche Begrüßung gab und dann sind die Fragen losgeknallt worden", meint der 17-jährige Obeid aus Kassel, "und alle Fragen, die da gestellt worden sind, hätte ich auch gestellt".
Kindeswohl oder Kinderinteressen?
Die Vorstellung, dass Kinder Rechte haben und dass sie durchaus in der Lage sind, ihre Interessen auch selbst zu äußern, müsse in Deutschland erst noch Fuß fassen, bemängelt der UN-Ausschuss. Dem stimmt Lothar Krappmann zu: "Wo wir in Deutschland sagen 'Kindeswohl', da steht in der Konvention der Ausdruck 'best interests of the child' und das bringt zum Ausdruck: Es gibt Interessen auf Kinderseite. Manchmal können sie sie noch nicht gut ausdrücken, sie brauchen Formulierungshilfen, sie brauchen viele zusätzliche Informationen."
Dem kann die zehnjährige Mia aus Offenbach nach ihrem Besuch in Genf nur zustimmen: "Also ich fand's spannend und es war auch interessant, wie die Großen arbeiten in der UN. Die haben komplizierte Wörter benutzt und das war auch ein bisschen anstrengend da zuzuhören, aber eigentlich hat's Spaß gemacht."
Flüchtlingskinder
In seinen abschließenden Bemerkungen hebt das Kinderrechts-Komitee die schwierige Lage von unbegleiteten Minderjährigen hervor. Gemäß deutschen Asyl-Richtlinien könnten Kinder mit 16 Jahren einen eigenen Asylantrag stellen. Dadurch bestehe die Gefahr, dass sie wie Erwachsene behandelt werden und keinen besonderen Kinderschutz mehr genießen, warnt der Ausschuss.
Der spezielle Schutz von Flüchtlingskindern ist ein wichtiges Anliegen der 14-jährigen Gelila aus Wolfratshausen. Sie selbst kam vor drei Jahren aus Äthiopien nach Deutschland. Gelila wünscht sich, "dass die Flüchtlingskinder nicht in Angst leben müssen, und dass sie dann hier, wenn sie ohne Eltern nach Deutschland kommen, und sie dann hier Freunde und Schule und Spaß haben, dass sie nicht mit 18 in ihre Länder zurückgeschickt werden."
Kinder brauchen schnelle Lösungen
Die Bundesregierung sieht den Schutz der Kinderrechte vor allem durch die Tatsache gewährleistet, dass Deutschland ein Rechtsstaat ist. Menschenrechtsexperten sehen das etwas differenzierter. Sie verweisen darauf, dass Kinder in der Regel nicht den Rechtsweg beschreiten, wenn sie sich schlecht behandelt fühlen. Für Minderjährige seien vielmehr schnelle und alltagstaugliche Lösungen gefragt, erklärt Michael Windfuhr, der stellvertretende Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte. "Für Kinder ist es wichtig, dass es schnelle Reaktionen gibt, weil die können nicht jahrelang warten, sonst haben sie einen langen Verlust von Lebenschancen."
Gemeinsam mit anderen Menschenrechtsexperten macht sich Windfuhr für die Einrichtung einer unabhängigen Monitoring-Stelle stark, die über die konkrete Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland wacht. Das fordert der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes von der Bunderegierung schon seit Jahren. Bislang vergeblich.