Deutsche Filmgeschichte Teil 2
26. August 2011Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gelangte der deutsche Film zu Weltruhm. Trotz Inflation, Arbeitslosigkeit und politischem Neubeginn gab es 1919 etwa 3000 Kinos und 350 Millionen Besucher. Der Boom der deutschen Filmindustrie war auch eine Folge des Weltkrieges mit seinen Millionen von Toten auf den Schlachtfeldern von Verdun und anderswo. Gefragt waren beim Publikum Komödien, Unterhaltungs-, Abenteuer- und Kriminalfilme.
Der expressionistische Film
In seinem 1919 uraufgeführten Film "Das Cabinet des Dr. Caligari" erzählt Regisseur Robert Wiene in alptraumhaften Bildern die Geschichte eines wahnsinnigen Mörders. Eine filmische Welt wurde präsentiert, die aus den Fugen geraten war: Schräge und verzerrte Wände, übersteigerte Gesten, expressive Kulissen und Dekorationen machten den Film zum kinematographischen Erlebnis. Bis heute wird der Film als Teil einer existentiellen Unsicherheitserfahrung gedeutet, die aus der Niederlage des Ersten Weltkriegs entstanden ist. Wahn, Verzweiflung, Angst - der expressionistische Film wurde zum deutschen Markenzeichen. Mit dem berühmtesten deutschen Vampirfilm "Nosferatu, eine Symphonie des Grauens" von 1922 erweiterte Friedrich Wilhelm Murnau den ausgeprägten Licht-Schatten-Gegensatz zum dramaturgischen Gestaltungsprinzip.
Die Geburt des Leinwand-Vampirs
Zu den wichtigsten Filmschaffenden gehörte neben den Komödienspezialisten und 1922 nach Hollywood ausgewanderten Regisseur Ernst Lubitsch auch Friedrich Wilhelm Murnau. Seine filmdramaturgischen Innovationen bedeuteten eine Abkehr vom artifiziellen Charakter des Expressionismus hin zum sozialkritischen Film. In "Der letzte Mann" von 1926 wurde der Abstieg eines Portiers zum Toilettenmann gezeigt. Hatte der Protagonist Erfolg, zeigte ihn die Kamera von unten. Während seines Abstiegs hob sich Kamera höher und portraitierte den Portier von oben aus einer Perspektive, die Arroganz vermittelte. Zu den sozialkritischen Filmen zählten auch "Die freudlose Gasse" und "Die Büchse der Pandora" von Georg Wilhelm Papst.
Ein herausragendes Beispiel für die Filme der sogenannten "Neuen Sachlichkeit" lieferte "Menschen am Sonntag", bei dem Billy Wilder, Fred Zinnemann und die Gebrüder Curt und Robert Siodmak mitwirkten. Der mit Laienschauspielern besetzte Film erzählt von einem Sommerwochenende 1929 in Berlin. Poesie und Banalität gehörten zum Stilprinzip des Films. Auch das Genre des Dokumentar- und Experimentalfilms entwickelte sich, darunter fiel auch Walter Ruttmanns dokumentarischer Montagefilm "Berlin, Symphonie einer Großstadt".
Wem gehört die Welt?
Sogenannte Asphalt- und Sittenfilme nahmen sich Themen wie Abtreibung, Prostitution, Homosexualität, Nacktkultur, Drogensucht an und zogen die Kritik konservativer Kreise sowie die Zensur auf sich. Das "Reichslichtspielgesetz" von 1920 führte dazu, dass über 800 Filme während der Weimarer Zeit zensiert wurden.
Die umstrittenen "Preußenfilme" erfreuten sich bei der politischen Rechten großer Beliebtheit. Während der NS-Zeit wurde dieses Genre fortgesetzt. Auf der Linken entwickelte sich die sogenannte "Volksfilm-Bewegung" mit der Ende 1925 gegründeten "Prometheus" als größter "linker" Filmfirma der Weimarer Republik. Diese schuf Klassiker des politischen Films wie "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" und "Kuhle Wampe" über die gleichnamige Zeltkolonie am Berliner Stadtrand aus dem Jahre 1932. Zwei Filme aus der Perspektive der Arbeiterklasse.
Monumentale Mythen bei Fritz Lang
Mit dem Beginn des deutschen Tonfilms ab 1929 stellten sich rasch große nationale und internationale Erfolge ein - vor allem durch Werke wie Josef von Sternbergs "Der blaue Engel" mit Marlene Dietrich und "Berlin - Alexanderplatz". Unter den Regisseuren, die während der Weimarer Republik zu Weltgeltung kamen, war Fritz Lang. Mit seinen monumentalen Kinofilmen "Der müde Tod", "Die Nibelungen" und dem gesellschaftskritischen, im Berliner Milieu spielenden Verbrecherfilm "Dr. Mabuse" schuf Lang Meisterwerke des deutschen Stummfilms, darunter "Metropolis". Langs Kameramann und Tricktechniker Eugen Schüfftan brachte hier sein revolutionäres Spiegeltrick-Verfahren erstmals zum Einsatz.
"Metropolis" war zweifellos Langs bekanntester Film. Das Drehbuch hatte er mit seiner Ehefrau Thea von Harbou verfasst. Das 1927 uraufgeführte Werk lebte von seiner Widersprüchlichkeit zwischen vorwärtsgewandter Technologie und rückwärtsgerichteter Ideologie. "Mittlerin zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein", heißt es am Schluss des Films, worauf sich Unternehmer und Arbeiterschaft die Hände reichten. Jahre später äußerte sich Lang eher skeptisch über das harmonisierende Filmende. Gleichzeitig aber zeigte "Metropolis", was blinde Fortschrittsgläubigkeit anrichten kann: Selbstzerstörung und Katastrophe.
M - eine Stadt sucht einen Mörder
1931 kam Langs wohl brillanteste Arbeit in die Kinos: "M – Eine Stadt sucht einen Mörder". Peter Lorre spielt einen krankhaften Kindermörder, der mit einer gepfiffenen Melodie aus Peer Gynt jeweils seine nächste Tat ankündigt. Das war die Zwangshandlung eines Gehetzten und Sinnbild des deutschen Kleinbürgertums. In "M" konstruiert Lang eine Gesellschaft, in der sich Polizei und Verbrecherorganisation verbünden, um den Mörder zur Strecke zu bringen. Eine Gesellschaft, ohne Vertrauen in den Staat, die ebenso zerstörerisch ist wie der Kindermörder.
Nicht nur filmästhetisch wird dem deutschen Kino der Weimarer Jahre Weltniveau zugesprochen. Auch bei der philosophischen und publizistischen Beschäftigung mit dem Gegenstand Film waren deutsche Autoren und Kritiker maßgeblich beteiligt, darunter Rudolf Arnheim, Lotte Eisner und Siegfried Kracauer.
Autor: Michael Marek
Redaktion: Jochen Kürten