Warum kann nicht die ganze Welt Angela Merkel wählen?
Wenige Tage vor den Bundestagswahlen ist Zeit um zu verstehen, was Deutschland für Generationen von Indern bedeutet. Vorab gesagt: Deutschland steht für Qualität. Und dies trotz des Volkswagen-Fiaskos, gefolgt von der Nachricht, dass auch andere deutsche Autohersteller geschummelt haben.
Die deutsche Präsenz in den Metropolen Indiens führt nicht nur zu Staus, sondern ist auch ohrenbetäubend laut. Wenn Sie sich wie ein Oberboss fühlen, mit einem Ego größer als das von Präsident Trump, wissen Sie, dass es nur einen einzigen Weg gibt, um sich in Indien bemerkbar zu machen: mit einem wunderbaren Audi, einem BMW, stark wie ein Wasserbüffel oder einem Monster-Mercedes. Stellen Sie sicher, dass die Straßen des Landes ständig verstopft sind. Aber selbst das ist noch nicht genug. Alle drei Hersteller haben sich allergrößte Mühe gegeben, das indische Bedürfnis nach Lautstärke zu befriedigen und die Auto-Hupen noch weiter aufgedreht. So kann man jeden Inder in der Umgebung zu einem glücklichen Gehörlosen machen.
Vor drei Monaten war der indische Ministerpräsident bei einer transkontinentalen Gruppen-Umarmung in Hamburg. Und die Gastgeberin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, war hier in den TV-Nachrichten. Aber fragen Sie meine Landsleute nach den bevorstehenden Wahlen in Deutschland und 99,99 Prozent der Inder werden Sie verwirrt anschauen.
Enttäuschung in der Griechenland-Krise
Frau Merkel ist ein lebendes Paradoxon. Während ihrer Kanzlerschaft stand sie für Stabilität und Vernunft. Ihre Sternstunde hatte sie, als sie entschied, dass eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen darf. (Leider führte das auch dazu, dass die faschistische AfD wiederbelebt und die Regierungskoalition bedroht wurde.)
Aber viele von uns, die ihren politischen Scharfsinn schätzen, ihre nachdenklichen Antworten und ihre Fähigkeit, mit extrem komplexen Problemen umzugehen, waren - um es milde auszudrücken - sehr enttäuscht, als sie sich in der griechischen Finanzkrise so hart und unflexibel zeigte. Fiskalische Disziplin ist zweifellos ein absolutes "Muss". Aber diejenigen, die in Griechenland und in anderen südeuropäischen Ländern am meisten leiden, haben die Wirtschaftskrise nicht verursacht. Erinnern wir uns an US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der bewiesen hat, dass man eine zerrüttete Volkswirtschaft mit Geld und Unterstützung auch wieder beleben kann. Ein anderes Beispiel: Auch wenn die Entscheidung der Regierung, die Atomkraft zu beenden, bemerkenswert und umweltfreundlich war, ist es doch katastrophal, dass Deutschlands Geschäft mit der Kohle noch immer in vollem Gange ist und dieser Strom sogar exportiert wird.
"Bastion der Vernunft"
Wenn Angela Merkel gewählt wird, wird sie vor schwerwiegenden Problemen stehen. Denn Polen, Ungarn und einige andere osteuropäische Länder scheinen vergessen zu haben, wie viele Millionen sie seit ihrem Beitritt von der EU bekommen haben. Nun wollen sie die richterliche Unabhängigkeit abschaffen und verfolgen die regressivsten nationalistischen Agenden. Auch die Zukunft der deutsch-türkischen Beziehungen bereitet Kopfschmerzen.
Merkel muss zusammen mit Emmanuel Macron und anderen jedoch eine Tatsache ansprechen, die - wenn überhaupt - nur selten artikuliert wird: Die größte Stärke der EU ist, dass sie ein Gegengewicht zu den USA darstellt. Kein Gegengewicht, wie es die UdSSR war, sondern eine Bastion der Vernunft, der Menschlichkeit, der ökonomischen Selbstständigkeit - die den Armen eine helfende Hand reicht und ihnen ihre Würde zurückgibt.
Merkel für alle
Das Wahlergebnis in Deutschland scheint bereits festzustehen: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass CDU und Angela Merkel weiterhin an der Macht bleiben. Ich beschränke mich deshalb auf politische Wahrheiten, die immer gültig sind. Erstens: Eine Demokratie braucht eine starke Opposition, damit die herrschende Partei nicht abhebt und gezwungen ist, ihre luftigen Versprechen in wirkliches Handeln umzusetzen. Zweitens: Egal gut oder populär der gewählte Regierungschef oder die -chefin auch sein mag - nach der zweiten Amtszeit sollte Schluss sein. Eine Demokratie braucht frische Ideen und eine lebendige politische Kultur. Wenn Frau Merkel wiedergewählt wird, wird sie zum vierten Mal im Amt sein. Das sollte uns nachdenklich stimmen.
Aber schauen Sie sich auf der anderen Seite nur das aktuelle Weltgeschehen an: ein verrückter Größenwahnsinniger regiert zur Zeit die USA, Großbritannien kann nach seinem Brexit-Beschluss nicht einmal sagen, was sein eigenes Interesse ist, osteuropäische Länder sind glücklich darüber, ihre demokratischen Werte aufzugeben. Und mein eigenes Land, Indien, wird von einem Hindutva-Nationalismus, der politischen Nationalismus und religiösen Hinduismus verbindet, regiert.
Einstweilen verkneife ich mir deshalb lieber meine kritischen Worte und wünsche mir, dass nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt Angela Merkel als ihre Bundeskanzlerin wählen könnte.
Der indische Schriftsteller Kiran Nagarkar, geboren 1942 im heutigen Mumbai, schreibt auf Englisch und Marathi. In seinen Büchern ("Krishnas Schatten", "Ravan & Eddie", "Gottes kleiner Krieger") beschäftigt sich der Autor mit dem urbanen Indien, Extremismus und religiösen Spannungen.