Klöster beten im Livestream
2. August 2020"Eigentlich hatten wir immer Gäste in der Kapelle. Als dann wegen Corona Mitbeter bei uns nicht mehr zu Gast sein konnten, kam uns die Idee mit dem Livestream." Sister Walburga ist Benediktinerin aus Minster Abbey in Kent im Süden Englands, die jüngste von elf Nonnen dort. Seit bald 17 Monaten ist Sister Walburga auf Twitter. Es ist unterhaltsam, sie hat über 5370 follower. Und sie sorgt dafür, dass das Stundengebet der Schwestern auf Youtube live zu verfolgen ist. Samt stetem Hinweis bei Twitter.
Technisch ist das einfach. Das Bild gibt nicht viel her, aber der Klang der singenden Schwestern ist gut. "Wir haben uns extra im Kirchenraum woanders hingesetzt, damit es besser klingt", sagt sie der Deutschen Welle. Für Walburga und ihre Mitschwestern sei diese Möglichkeit der Teilhabe "sehr wichtig" geworden. "Wir hatten wieder Zuhörer, Mitbetende. Wir teilen unser Gebet zu Gott." Mal sind es 30, mal 50 Zuschauer. Mal kennen sie das Kloster, mal wohnen sie in einem ganz anderen Teil des Landes. Und die Schwestern verschicken auf Wunsch die Texte des Stundengebets per Mail. Walburga: "Alle Schwestern sehen das positiv, sogar unsere Älteste, die 94 ist".
Im Livestream ganz traditionell beten
Keine Gäste mehr im Kloster, keine Mitbetenden mehr bei den Gottesdiensten. Der Shutdown traf bei kirchlichen Angeboten nicht nur Pfarrgemeinden und sehenswerte Kathedralen. Auch Klöster mussten ihre Pforten geschlossen halten. Doch eine ganze Reihe von Ordenshäusern machte aus der Not eine Tugend und streamte mehrmals am Tag ihr sogenanntes Stundengebet, das traditionelle Gebet in Klöstern. "Würden wir wieder machen", sagen viele, die sich da engagierten. In einer Reihe von Klöstern in Deutschland dauert die Möglichkeit zur Online-Teilnahme noch an. Dabei ist das Stundengebet, zu dem sich manches Kloster fünf Mal am Tag versammelt, im Gegensatz zu anderen Traditionen anspruchsvoll und wirkt auf Fernstehende tendenziell langatmig.
"Unser Start war der 21. März - nach etwa drei Tagen Probebetrieb", sagt Pater Maximilian von der Benediktinerabtei Münsterschwarzach der Deutschen Welle. "Wir hatten keine Erfahrung mit einem Livestream", erläutert er. So habe sich der Konvent erst einmal mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Und "bis zu einer qualitativ annehmbaren Übertragung brauchte es viele Probieren und Nachjustieren". Live dabei sind nach Angaben des Paters bei den einzelnen Gebetszeiten etwa 70 bis 120 Personen. Aber nach ein, zwei Tagen gebe es jeweils hunderte weitere Abrufe.
"Dank und Lob"
Pater Maximilian berichtet über das Feedback der Zuschauer: "Jede Menge Dank und Lob", hilfreiche Hinweise zu technischen Problemen. Und neben sehr positiven Rückmeldungen gab es auch Spenden für den Livestream. Immerhin: Wer daheim mitbetete und ein Gebets-Anliegen einbringen wollte, das er angesichts geschlossener Kirchen sonst nirgends loswurde, konnte ein eigens eingerichtetes Online-Formular auf der Internetseite nutzen. "Das wurde auch sehr rege genutzt."
Die Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK) listet auf ihrer Internetseite Streaming-Angebote diverser Klöster auf. Die Gemeinschaften, sagt DOK-Pressesprecher Arnulf Salmen, hätten "gezwungenermaßen" Erfahrungen mit neuen Kommunikationsformen gemacht. Diese Erfahrungen hätten sich dann als fruchtbar erwiesen. Salmen: "Zum Teil sind sie sehr professionell ans Werk gegangen, zum Teil mit ganz einfachen Eigenmitteln." Mal nutzen sie Facebook, mal Youtube, mal Twitter, mal Zoom. Und wenn ein Kloster nicht so genau weiß, wie das technisch läuft oder wie man bei Youtube die für eine Live-Übertragung notwendige Mindestzahl an Nutzern erreicht, irgendjemand in der eigenen Community hilft dann schon.
Auf der DOK-Liste finden sich derzeit nur Männerklöster. Und überwiegend sind es bedeutende Konvente, die noch recht groß sind. Neben Münsterschwarzach stehen da unter anderem die Benediktiner-Abteien im oberbayerischen St. Ottilien und im westfälischen Gerleve, die Prämonstratenser in Roggenburg bei Ulm, die Zisterzienser in Bochum-Stiepel. Im deutschen Sprachraum kommt die Benediktiner-Abtei Heiligenkreuz im Wienerwald hinzu, die ihre fünf täglichen Gebetszeiten als Audio überträgt. Aber es sind - wie das Beispiel aus Kent mit Sister Walburga zeigt -eben nicht nur die großen Einrichtungen mit Know-How und technischer Unterstützung.
"Spirituelles Angebot wachhalten"
Viera Pirker findet das Streaming-Engagement der Orden "sehr spannend". Eigentlich sei das Stundengebet von seiner Tradition her gar nicht auf öffentliche Sichtbarkeit hin angelegt. Aber ganz bewusst wählten die Klöster den Weg der Sichtbarmachung und ermöglichten dadurch die Teilnahme, sagt Pirker, die im Bereich Praktische Theologie an der Universität Wien arbeitet und sich seit langem mit Kirche in der digitalen Welt befasst. "Das ist ja nicht als Werbemaßnahme zu verstehen. Die Klöster wollen einfach ganz bewusst dieses spirituelle Angebot wachhalten, die Teilhabe ermöglichen." In diesem Sinne stehe das über den Tag verteilte Stundengebet der Kirche geradezu für die "Verbundenheit der Kirche".
Dafür findet es Pirker auch passend, dass das Stundengebet - anders als die großen Fernsehgottesdienste im öffentlich-rechtlichen Fernsehen - für das Streaming in keiner Weise inszeniert wird. Da könne auch mal jemand mit krächzender Stimme singen oder das Bild wenig ergiebig sein. "Das ist einfach normal. Und die Klöster wagen es, das Normale sichtbar zu machen." Für die Theologin ist dies eine Lehre seit Beginn der Corona-Pandemie: "Das ganze Angebot ist ja alltäglicher geworden und hat seinen Hochglanz verloren. Aber es zeigt lebendige Praxis."
Aus dem Prenzlauer Berg nach New York
Und es sind dann nicht nur katholische Klöster, die streamen. Mitten im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg befindet sich seit gut zehn Jahren in einem 110 Jahre alten Kirchenbau das evangelische "Stadtkloster Segen" der aus der Schweiz stammenden Gemeinschaft Don Camillo. Eine Touristengegend. Gegenüber liegt ein jüdischer Friedhof, daneben findet sich ein modernes Hostel und einer der größten Bio-Supermärkte der Stadt. Irgendwann nach Ostern begannen die sechs Mitglieder der Kommunität, Männer und Frauen, ihr sonntägliches Abendgebet bei Zoom zu streamen. Und selbst wenn mal 35, mal 50 zuschauen - so viele dürften angesichts der Corona-Verhaltensregeln nie in das Gotteshaus.
"Das war für uns", sagt Georg Schubert von der Kommunität, "eine wichtige Erfahrung. Einige Sonntage war gar kein Gottesdienst möglich. Nun konnten wir Wege suchen, dass Menschen zur gleichen Zeit das gleiche tun." Der Live-Charakter war den Männern und Frauen des Stadtklosters wichtig. Und auch hier überraschte das Feedback die Menschen im Kloster. Einer schaut regelmäßig zu und betet mit, der vor Jahren in einem der Gästezimmer des Segensklosters wohnte und heute in New York lebt. Aber es meldete sich auch dankbar eine Frau aus der Nachbarschaft, die zur Corona-Risikogruppe zählt und sich nicht in das Gotteshaus hineintraut. Schubert möchte das wöchentliche Streaming "vom Aufwand her unbedingt weitermachen. Es ist doch richtig, wenn wir als Kirche so zu den Leuten gehen und nicht einfach erwarten, dass sie immer zu uns kommen."