Klagen gegen Montenegro
28. Dezember 2004Bonn, 27.12.2004, DW-RADIO/Serbisch, Mustafa Canka
Die Angehörigen von Staatsbürgern Bosnien-Herzegowinas, die 1992 aus Montenegro deportiert und daraufhin in der Republika Srpska ermordet wurden, haben sich dazu entschlossen, gegen die montenegrinische Polizei zu klagen. Bisher haben vier Familien aus Bosnien-Herzegowina gegen Montenegro geklagt, und der geforderte Schadenersatz übersteigt vier Millionen Euro. Es zeichnet sich ab, dass etwa hundert nächste Angehörige von Personen, die gesetzeswidrig verhaftet und aus Montenegro im Frühjahr 1992 deportiert wurden, noch klagen könnten.
Diese Aktion, die das UN-Kriegsverbrechertribunal als "Kriegsverbrechen und schweren Verstoß gegen internationale Menschenrechte" bezeichnet, führte das Innenministerium Montenegros unter Mithilfe der Armee Jugoslawiens. Auch der damalige Präsident Montenegros, Momir Bulatovic, sagt heute, es handle sich um "einen tragischen Fehler der montenegrinischen Polizei". Unterdessen wertet der damalige und derzeitige montenegrinische Premier, Milo Djukanovic, diesen Fall nicht, er sagt vielmehr, "die Staatsorgane werden sich nach Möglichkeit in die Lösung dieses Falls einschalten".
Dagegen erklärte der Pressesprecher der regierenden Sozialdemokratischen Partei, Branislav Radulovic, gegenüber DW-RADIO, es sei im Interesse Montenegros, die ganze Wahrheit über diesen Fall aufzudecken, die Opfer zu entschädigen und die Schuldigen zu bestrafen. "Montenegro muss seinerseits alles unternehmen und demonstrieren, dass kein Verbrechen – und insbesondere so ein schweres – ungelöst bleibt, bis die Täter dieser wahrlich grausamen Straftat der Gerechtigkeit zugeführt und bestraft sind. Das ist das Mindeste, was wir für die Opfer tun können. Es ist aber auch sehr verantwortungsbewusst gegenüber den künftigen Generationen in Montenegro, in deren Bewusstsein treten muss, dass jede derart schwere Straftat am Ende doch ans Tageslicht tritt und alle Täter vor Gericht gestellt werden."
Die offiziellen montenegrinischen Organe zeigen allerdings wenig Bereitschaft, diesen Fall zu lösen. Denn auf den Antrag des Anwalts der Angehörigen der ermordeten Staatsbürger Bosnien-Herzegowinas, Dragan Prelevic, auf Akteneinsicht, hieß es, in diesem Fall seien die Akten nicht mehr aufbewahrt worden. Sie waren im Besitz des montenegrinischen Parlaments, dem höchsten gesetzgebenden Organ. Die Antwort des Parlaments klingt unglaubwürdig, zumal 1992 eine Arbeitsgruppe des montenegrinischen Parlaments den Versuch unternahm, die Rolle der Polizei bei der Deportation der bosnisch-herzegowinischen Flüchtlinge zu klären.
Helena Vucetic, hohe Funktionärin des oppositionellen Liberalen Bundes Montenegros (LSCG), konstatierte, die Vernichtung des Parlamentsarchivs aus den Kriegsjahren stelle ein neues Verbrechen an unschuldigen Opfern dar. Sie sagte gegenüber DW-RADIO: "Unser Standpunkt dazu ist bekannt, und wir haben als erste Partei im montenegrinischen Parlament eine große Kampagne initiiert, um die Verantwortung montenegrinischer Staatsfunktionäre für diese beschämende Aktion zu klären. Dieser Tage haben wir erfahren, dass die Stenogramm-Aufzeichnungen im Parlament vernichtet wurden, wie es auch der Generalsekretär zugegeben hat. Wir erinnern jedoch daran, dass die LSCG das gesamte Archivmaterial zu diesem Fall besitzt – einschließlich der Videoaufnahme der Parlamentssitzung zu diesem Tagesordnungspunkt."
Wenn alles seinen rechtmäßigen Gang nimmt, sollte jedenfalls nach dem Versprechen des montenegrinischen Premiers das Verfahren der Staatsbürger von Bosnien-Herzegowina gegen Montenegro Anfang kommenden Jahres in Podgorica beginnen. (md)